Krieg in der Ukraine - Etwa 450 Menschen sind in Schwetzingen und Weinheim vorübergehend in Sammelunterkünften zu Hause / Staatssekretär sagt harte Zeit voraus

Ukrainische Geflüchtete in Schwetzingen: Letzte Zuflucht Kreissporthalle

Von 
Stephan Alfter
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Notunterkunft für 200 geflohene Menschen aus der Ukraine in der Schwetzinger Kreissporthalle. © Norbert Lenhardt

Schwetzingen. Swetlana Kolesnic steht der Krieg ins Gesicht geschrieben. Die Haut fahl, die Stimme brüchig, ihre Augen leer. Die Strapazen der vergangenen Tage haben gezehrt an der ohnehin schmalen Frau. Jetzt ist sie in Sicherheit. Kein Flughafen in der Nähe, der als strategisches Ziel von der russischen Armee zerbombt wird. Keine fehlgeleitete Rakete, die versehentlich in einer Wohnsiedlung einschlägt. Morgens um 6 Uhr geschah das an jenem Tag, an dem sie mit ihrer Tochter aufbrach, um ihre 250 000 Einwohner zählende Heimatstadt Rovno nahe der Grenze zu Belarus auf der Route über Polen mit dem Bus zu verlassen.

Vom Stress und der Nervosität sei die Elfjährige krank geworden, berichtet die 48-jährige Ukrainerin in russischer Sprache. Ein Mann, der gerade Lebensmittel vorbeibringt, übersetzt. Schauplatz für diese Szene vom Freitagvormittag ist die Kreissporthalle in Schwetzingen.

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Doreen Kuss steht wenige Meter weiter und gibt ein Fernsehinterview. Die Dezernentin für Ordnung und Gesundheit im Rhein-Neckar-Kreis will der medialen Öffentlichkeit einen kurzen Einblick geben, in das, was in den vergangenen Tagen ihr Haupttätigkeitsfeld war. Ein atmendes System wollte sie mit ihren Mitarbeitern schaffen, eine erste Anlaufstelle für ziellos gestrandete Kriegsgeflüchtete wie Swetlana Kolesnic und ihre Tochter.

Rund 200 Menschen haben in der Schwetzinger Sporthalle in den vergangenen Tagen eine vorübergehende Bleibe gefunden.

Kuss lobt die Zusammenarbeit der kommunalen Familie, hebt die Kooperation mit dem Schwetzinger Oberbürgermeister René Pöltl hervor, dankt dem in Schwetzingen lebendenden Staatssekretär André Baumann für den konstruktiven Austausch mit dem Land. Baumann spricht seinerseits von der größten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg, der man sich auch im Rhein-Neckar-Kreis stellen müsse. Er sieht schwere Zeiten auf die Kommunen zukommen, die in den kommenden Wochen die Geflüchteten unter sich aufteilen müssen.

Kreis sucht Unterkünfte

  • In einem Kraftakt haben haupt- und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer am Donnerstag, 17. März, und Freitag, 18. März, in Weinheim rund 250 und in Schwetzingen 200 Betten und Spinde aufgebaut.
  • Zudem musste für Sicherheitsdienst, Essensverpflegung, Testmöglichkeiten und Weiteres gesorgt werden.
  • Nun ist der Kreis auf der intensiven Suche nach alternativen Unterbringungsmöglichkeiten in den zugehörigen Kommunen. sal

 

Rund 200 Menschen haben in der Schwetzinger Sporthalle in den vergangenen Tagen eine vorübergehende Bleibe gefunden. Weitere rund 250 Menschen sind auf ähnliche Weise in Weinheim untergebracht worden. In Sinsheim soll es nun noch eine zusätzliche Einrichtung dieser Art geben. Es sind wohl etwas mehr als 2000 Menschen aus der Ukraine, die bisher im Kreis angekommen sind, schätzt Kuss. Viele seien bereits privat untergebracht.

In der Halle reiht sich ein Hochbett an das andere. Wären da nicht die hellen Tücher, die als Sichtschutz gespannt sind, man würde sich zwangsläufig an eine Kaserne erinnert fühlen. Es sind vorrangig Mütter und ihre Kinder, die hier Zuflucht finden. Zwei etwa fünfjährige Jungs versuchen sich mit einem Ball am Basketballkorb, andere rennen durch die engen Gänge zwischen den Betten.

Der Krieg ist in unserem Leben angekommen.
René Pöltl Schwetzinger Oberbürgermeister

Ein Mädchen sitzt auf ihrem Bett und malt bunte Bilder. Dass Kinder nachts traumatisiert und weinend aufwachten, erlebe man derzeit nicht, sagt ein Sozialarbeiter, der sich der Probleme annimmt. Am Samstag komme ein Kinderarzt, kündigt er an.

„Der Krieg ist in unserem Leben angekommen“, betont René Pöltl draußen vor der Tür. Allein in Schwetzingen sind es inzwischen mehr als 100 Ukrainer und Ukrainerinnen, die privat versorgt werden. Pöltl gibt Lob an Doreen Kuss zurück. Hier würden rund um die Uhr aktuelle Vorgänge ausgetauscht. Kritik adressiert er nicht an den Kreis oder das Land. „Der Bund muss Gas geben“, sagt er und verweist auf schlechte Koordination. Gleichzeitig betonen alle Politiker die riesige Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung. Dass die Anteilnahme am Schicksal der Ukrainer eventuell größer ist, als das im Jahr 2015 der Fall war, als Geflüchtete aus Eritrea oder Syrien kamen, führt Pöltl unter anderem auf die Nachbarschaft in Europa zurück.

Unten, in der Halle, führen Frauen unterdessen Videotelefonate. In ukrainischer und russischer Sprache berichten sie von ihrem Zufluchtsort. Sie heben die Displays hoch, um ihren Gesprächspartnern zu zeigen, wie es aussieht in der Bettenburg Kreissporthalle. Viele private Dinge haben sie nicht bei sich. Alles passt in die schmalen Metallschränke, die als Aufbewahrungsraum dienen. Höchstens zwei bis drei Wochen sollen Ankömmlinge hier ausharren müssen, ehe sie in eine geeignete Unterkunft gelangen. Karl Winkler, Leiter der Koordinierungsstelle Flüchtlinge im Landratsamt, spricht von einem zweiten Wohnungsmarkt, der gerade entstehe. Es gebe einige Angebote von Vermietern, an die man bis jetzt nicht rangekommen sei.

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Oberbürgermeister Pöltl berichtet seinerseits von den ersten ukrainischen Kindern, die bereits den Schulunterricht besuchten. Eine Schulpflicht gebe es für die Einreisenden indessen erst nach sechs Monaten. Im Hintergrund laufen Prozesse, die sich mit der Arbeitserlaubnis und dem Aufenthaltsstatus der Erwachsenen befassen. Einiges laufe besser als im Jahr 2015.

Ohne Angela Merkel zitieren zu wollen, sagte Pöltl dann schließlich einen Satz, der nicht bei allen immer auf uneingeschränkte Euphorie stieß: „Wir schaffen das“. Swetlana Kolesnic hört diesen Satz zum ersten Mal.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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