Bad Dürkheim. An diese Nacht wird sich Olena Yykhymovyeh ihr gesamtes Leben lang erinnern: Nahe ihrem Wohnort Teterivka, der nur wenige Kilometer von Schytomyr im Norden der Ukraine entfernt liegt, schlagen am 24. Februar russische Raketen am Flughafen ein. Fast kann sie aus dem Fenster beobachten, was sich dort anbahnt und was seither die Welt in Atem hält. Sie greift zu ihrem Mobiltelefon und beginnt zu lesen: Wladimir Putin hat die Ukraine angegriffen. Olena Yykhymovyeh ist 42 Jahre alt. Obwohl die große Politik eigentlich nicht zu ihren allerersten Interessensgebieten gehört, ahnt sie bereits seit längerer Zeit, dass irgendwas in der Luft liegt. Dass es derart schnell und rücksichtslos passiert - damit rechnet sie nicht. Über einige Tage hinweg harrt sie von nun an immer wieder mit ihrem Mann und der zwölfjährigen Tochter in einem kleinen geschützten Raum im Keller ihres eigenen Hauses aus, um sich vor dem Beschuss aus dem Norden zu schützen. Am 7. März packt sie einen Rucksack und zwei kleine Taschen. Sie flieht mit ihrer Tochter in einem Bus, den Baptisten organisiert haben. Eine Flucht aus einem Land, das sie noch niemals zuvor verlassen hat.
Die Russen bombardieren auch Schulen und Krankenhäuser.
Nun sitzt sie an einem Tisch in einem Café in der kleinen Bad Dürkheimer Innenstadt. Mit beiden Händen umschließt sie fest die Tasse, aus der sie trinkt. Innerlich bebt die Frau, deren Pony so akkurat und gerade über ihren Augenbrauen hängt wie der neue Eiserne Vorhang zwischen den Nato-Staaten und Russland. Das äußerliche Zittern ihres Körpers versucht sie zu unterdrücken. Sie will stark sein. Doch schon nach den ersten Worten, die sie über die Ereignisse der vergangenen vier Wochen verliert, werden ihre Augen glasig.
Sie spricht von ihrem Mann, der so stark sei. Und von ihrer Tochter, die schon so viel von dem verstehe, was sich gerade um sie herum abspiele. Als sie auf die russische Kriegspolitik und Wladimir Putin zu sprechen kommt, wird blanker Hass spürbar. „Die bombardieren nicht nur militärische Ziele, die richten Raketen auf Krankenhäuser und Schulen“. Mehr als 100 Kinder seien dadurch schon zu Tode gekommen. Dann sagt sie entschlossen: „Wir wollen nicht nur den Frieden, wir wollen gewinnen.“
Mehrmals täglich telefoniert sie mit ihrem Ehemann, mit dem sie seit 2006 verheiratet ist. Sie erwähnt Elon Musk, der über das Satellitenband Starlink eine Internetverbindung für die Ukrainer zur Verfügung stellt, während Putins Truppen die großen Infrastrukturen lahmlegen. Anastasiya, ihre Tochter, habe bei Papa, den zwei Katzen und dem Hund bleiben wollen, erzählt Olena, die gerne binnen zwei Monaten in ihre Heimat zurückkehren würde, um ihre Landsleute zu unterstützen. Am 24. Februar, dem Tag des ersten Bombardements, habe eine russische Freundin aus Kindheitstagen Kontakt zu ihr aufgenommen. „Wie geht es Dir“, habe diese gefragt. Olena schreibt damals nur einen Satz zurück: „Wir haben Krieg und ihr habt uns angegriffen.“ Nun ist Funkstille. Gänzlich abgebrochen ist der Kontakt auch zur Oma, die auf russischer Seite in St. Petersburg lebt. „Sie ist eine Putinistin“, sagt die Enkelin und drückt damit ihre ganze Verachtung aus über die Desinformationskampagnen, die in Russland seit Jahren von Seiten des Staates gefahren werden. „Jeder von uns wusste, dass die uns zurückhaben wollen. Putin stirbt bald - hoffe ich“, sagt Olena über dessen schurkenhaftes Vorgehen 31 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion, das man bisher mit dem Ende des Kalten Krieges gleichsetzte. Olena Yykhymoveh war damals elf Jahre alt. Nun verlassen Hunderttausende ihre Heimat.
Aus Schytomyr stammt auch Mila Küssner, die bereits seit einigen Jahren verheiratet in Bad Dürkheim lebt und gemeinsam mit ihrem Mann zwölf Geflüchtete aufgenommen hat - darunter Olena und ihre Tochter. Die Verbindung kam über Küssners Bruder zustande, der wenige Häuser von Olena entfernt in Teterivka lebt. „Nehmt Eure Sachen und geht“, habe dieser ihr geraten. Nach einer großen Explosion in der Nacht zum 7. März nahm sich die 42-jährige bisherige Mitarbeiterin der Regionalverwaltung den Rat zu Herzen. Alarm-Sirenen heulen jetzt täglich.
„Jeder Ukrainer ist heute ein Verwandter von mir“, drückt sie den Stolz auf ihre Landsleute aus, die sich den russischen Soldaten mutig entgegenstellen. Am Nachmittag wolle sie per Whatsapp wieder mit ihrem Mann telefonieren. Über den Krieg werde man am Telefon aber schweigen. Nun laufen Tränen aus ihren Augen.
Meine Oma, die nahe St. Petersburg wohnt, ist Putinistin.
Vom Nebentisch im Dürkheimer Café steht jetzt eine Frau auf, die das Gespräch gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn mithören kann. Sie wünscht Olena mit bebender Stimme viel Kraft und kann ihre Gerührtheit kaum verbergen. „Ohne unsere Freunde in der EU wären wir verloren“, sagt die Ukrainerin. Sie freut sich über die große Hilfe in Deutschland. Eines Tages wolle sie mit ihrem Mann nach Bad Dürkheim kommen - als Touristin.
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