Rhein-Neckar. Mila Küssner (42) ist tief bewegt von der Anteilnahme, die ihre ukrainischen Landsleute zur Stunde in der Region erfahren. Die ausgebildete Opernsängerin, die seit Jahren in Bad Dürkheim lebt, ist derzeit Tag und Nacht in Gedanken bei Verwandten und Freunden in ihrer Heimat, während im Rhein-Neckar-Raum inzwischen Dutzende Ukrainer Zuflucht suchen.
Die großen Ankunftszentren in Heidelberg, Mannheim und Speyer sind seit Kriegsbeginn im Erwartungsmodus. Eine seriöse Schätzung darüber, wie viele Menschen tatsächlich kommen könnten, traut sich in den Landeshauptstädten Stuttgart und Mainz noch niemand zu. „Die Lage ist dynamisch“, sagte etwa Stefanie Dorsch, Sprecherin im rheinland-pfälzischen Ministerium für Familien, Frauen, Kultur und Integration, auf Anfrage dieser Redaktion am Dienstag. Gleichwohl sind es derzeit nicht Hunderte Menschen, die in den großen Auffanglagern ankommen. Timm Herre, Sprecher der Heidelberger Stadtverwaltung, verweist auf die 90 Tage, die sich Ukrainer in der EU aufhalten können, ohne sich irgendwo zu melden. Sie könnten etwa bei Freunden oder Familienmitgliedern unterkommen, die wie Mila Küssner bereits länger in Deutschland zu Hause sind. In Heidelberg wohnen beispielsweise 500 Ukrainer. Im Internet kursierte zudem am Dienstag ein Aufruf, der nach privaten Betten für Kriegsflüchtlinge suchte. Dort hatten sich deutschlandweit bereits mehr als 100 000 Menschen bereiterklärt, Leute aus der Ukraine aufzunehmen.
Umgang mit Flüchtlingen
- Grundsätzlich werden Geflüchtete seitens des Bundes nach dem Königsteiner Schlüssel (proportional zur jeweiligen Einwohnerzahl) auf die Länder verteilt, wo sie vorübergehend in Landeserstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Von dort werden sie – wiederum nach dem Königsteiner Schlüssel – auf die Stadt- und Landkreise verteilt. Die Stadt Mannheim rechnet darüber hinaus mit direkten Zugängen nach Mannheim über Verwandte oder soziale Netzwerke.
- Die Erstaufnahmeeinrichtungen bieten psychosoziale Betreuungsmöglichkeiten für traumatisierte Flüchtlinge an.
- In Baden-Württemberg leben regulär rund 16 600 ukrainische Staatsbürger. Rund zwei Drittel davon sind Frauen. Das Durchschnittsalter der ukrainischen Staatsangehörigen im Südwesten lag zuletzt bei knapp 42 Jahren.
- In Rheinland-Pfalz lebten zum Stichtag 31. Januar insgesamt 5692 Ukrainer. Bemerkenswert ist der hohe Frauenanteil von rund 67 Prozent.
Die Hilfsbereitschaft ist groß und somit auch nicht ganz unproblematisch. Denn sie muss koordiniert werden. Herre versucht, das mit seinen Kollegen etwa auf der Homepage der Stadt zu kanalisieren und darzustellen. Nicht einfach ist die Lage insgesamt wegen der Erschwernisse durch die Corona-Pandemie.
20 Geflüchtete in Quarantäne
Nach Angaben des Regierungspräsidiums Karlsruhe befinden sich im Ankunftszentrum Heidelberg 20 Flüchtlinge in Quarantäne. Aus der Ukraine ist bekannt, dass nur etwa 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung dort immunisiert sind. Deshalb wird den Menschen seitens der Landesregierung und auch der Stadt Heidelberg ein Impfangebot unterbreitet, wie die jeweiligen Pressestellen mitteilen. Gleichzeitig führen die nur langsam sinkenden Inzidenzen dazu, dass die Gesamtanzahl der in den Ankunftszentren zur Verfügung stehenden Betten noch begrenzt ist. Abstand soll hier weiterhin möglich sein. Das führt nun wiederum dazu, dass man sich auf rheinland-pfälzischer Seite um weitere Unterbringungsmöglichkeiten bemüht.
Dazu gehört nach Auskunft des zuständigen Ministeriums auch die Nutzung von Traglufthallen, die sich am Dienstag in Planung befanden. Innerhalb kürzester Zeit sei es so möglich, 4000 weitere Betten zur Verfügung zu stellen. Beteiligen an der Unterstützung wollen sich auch Städte wie Frankenthal und der Landkreis Germersheim. Der Frankenthaler Oberbürgermeister Martin Hebich sagte: „Wir stehen solidarisch hinter den Menschen in der Ukraine und möchten Bedürftigen ein gutes Ankommen in Frankenthal ermöglichen.“ In ganz Rheinland-Pfalz sind zum Zeitpunkt Ende Februar 2768 Personen aus unterschiedlichen Herkunftsländern in fünf Erstaufnahme-Einrichtungen untergebracht.

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Frage nach privatem Wohnraum
In Baden-Württemberg sind dies 2600 Personen bei einer Regelkapazität von 6440 Plätzen. Wegen der Corona-Beschränkungen stehen in ganz Baden-Württemberg zurzeit nur 1250 Betten für weitere Geflüchtete bereit. Erweiterungen seien möglich, so das Stuttgarter Justizministerium auf Anfrage. Bis Dienstagnachmittag waren lediglich 34 Personen aus dem Kriegsgebiet im „Ländle“ angekommen.
Auch die Mannheimer Stadtverwaltung beobachtet die Flüchtlingsbewegung sehr genau und ist auf eine mögliche Ankunft von Geflüchteten im Mannheimer Stadtgebiet vorbereitet, wie eine Sprecherin am Dienstag mitteilte. Die zuständigen Dienststellen seien im engen Austausch miteinander sowie mit Einrichtungen des Katastrophenschutzes. Man habe bereits eine „Taskforce“ eingerichtet (wir berichteten bereits im Lokalteil), um eine schnelle Erstunterbringung und Versorgung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu organisieren. In Heidelberg ist man derweil dabei, eine Anlaufstelle zu organisieren, die Geflüchtete aus der Ukraine dezentral in der Rudolf-Diesel-Straße mit den notwendigen Informationen und sogar mit Lebensmitteln und Kinderspielzeug versorgt. Timm Herre betonte, dass es dabei nicht um eine Unterkunft gehe, sondern um eine Hilfsstation. Die Stadt habe aus den Erfahrungen im Jahr 2015 gelernt und wolle einiges anders machen als damals, so Herre. Wenn die Anlaufstelle nicht benötigt werde, solle sie schnell wieder schließen können.
„Dieser Krieg ist auch ein Bruderkrieg“, sagte die Dürkheimerin Mila Küssner gegenüber dieser Redaktion. Söhne der gleichen Familie kämpften gegeneinander, auch sie habe einen Neffen bei den russischen Streitkräften. . .
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Ukraine-Krieg: In der Flüchtlingsfrage demonstriert die EU endlich Einigkeit