Sie fliehen vor russischen Bomben und Panzern und sie brauchen unsere Hilfe: Die Menschen, die sich aus der Ukraine auf den Weg in die unterschiedlichen EU-Länder machen, lassen fast alles zurück, was sie besitzen, um sich in einem Bruderkrieg außer Lebensgefahr zu bringen. Einige Dutzend sind bereits in unserer Region angekommen und wohnen nun bei Bekannten oder bei Familienmitgliedern. Links und rechts des Rheins bereiten sich gleichzeitig die Ankunftszentren in Mannheim, Heidelberg und Speyer vor. Eine riesige Hilfsbereitschaft wird überall spürbar.
Fast fühlt man sich an 2015 erinnert, als es an deutschen Bahnhöfen zu spontanen Demonstrationen unter dem Motto „Refugees welcome“ (Flüchtlinge willkommen) kam. Dann schlug die Stimmung um. Dass es heute trotz weiterhin nicht überstandener Corona-Krise wieder diese Offenheit und Solidarität gibt, macht Hoffnung. Als es zu Beginn des Jahres 2021 um die Aufnahme von weitaus weniger Vertriebenen aus dem just zuvor abgebrannten bosnischen Flüchtlingslager Lipa ging, da blieben die Herzen der Europäer kalt. Auch damals befanden sich Menschen in humanitären Notsituationen, aber nicht nur der heutige CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sprach sich gegen eine Aufnahme aus. Im Volksmund waren es plötzlich alle wieder Wirtschaftsflüchtlinge - so als habe es die kriegerischen Konflikte in Afrika und in Syrien nie gegeben. Im Mittelmeerraum wurden Schiffe mit Vertriebenen in europäischen Häfen abgewiesen. In der EU konnte man sich kaum einigen: Wer? Wie viele? Wann? Das waren die Fragen.
Ist es nun ein tatsächlicher Paradigmenwechsel, dass die EU in der Phase ihrer bisher größten Krise plötzlich zu einer Phalanx in der Lage ist, die kaum mehr zu erwarten war? Hat der russische Präsident und Kriegstreiber Wladimir Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine etwas erreicht, was in einem Dutzend EU-Gipfel nicht zu erreichen gewesen ist? Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu beurteilen. Aber: Plötzlich ist sich Deutschland seiner gewachsenen militärischen Verantwortung im Nato-Bündnis bewusst. Polen, das in der europäischen Flüchtlingspolitik gerne aus der Reihe tanzte, scheint nun zur Aufnahme einer riesigen Anzahl von Ukrainern bereit - ein Dienst an der direkten Nachbarschaft. Für Putin könnte es in Kiew ein Pyrrhussieg werden. Die demokratischen Systeme, in die er einen Keil treiben wollte, finden durch seine Aggression zu ungekannter Einigkeit - das wäre ein neues EU-Gefühl.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Ukraine-Krieg Ukraine-Krieg: In der Flüchtlingsfrage demonstriert die EU endlich Einigkeit