Viernheim. „Täglich fünf Mails von Menschen, die ihren Hund abgeben möchten“, bekommt Nicole Tomera, Leiterin des Hundehauses im Tierheim Viernheim, im Moment. Dem stünden „vielleicht eine, zwei Anfragen pro Monat“ von Menschen gegenüber, die gerne einen Hund bei sich aufnehmen würden. Tomera hält während unseres Gesprächs einen kleinen Chihuahua in den Armen. Der hellbraune Rüde ist diese Woche bei den Mülltonnen neben dem Tierheim angebunden worden.
Der Hund schaut noch etwas schläfrig, weil er gerade eine OP beim Tierarzt über sich ergehen lassen musste. Ihm wird es schnell besser gehen - und seine Chancen stehen sehr gut, dass er in ein passendes Zuhause vermittelt wird. Auch Tierheimleiterin Nicole Dalesio weiß über die Geschichte des ausgesetzten Vierbeiners nichts. Aber an dem kleinen Kerlchen kann man viele Probleme festmachen, die Tierheime gerade umtreiben.
Hohe Tierarztkosten können abschrecken
Möglicherweise waren es die offensichtlich anstehenden OP-Kosten, die die bisherigen Besitzer scheuten - oder einfach nicht bezahlen konnten. „Eine einfache Kastration kostet inzwischen locker 600 Euro“, verweist Dalesio auf die gerade erhöhten Honorar-Ordnungen der Tierärzte. Das müsse man einfach wissen, wenn man in die Knopfaugen eines Welpen schaue, der ins eigene Haus geholt werden soll.
Auch in den anderen Tierheimen der Region, in Weinheim und Heidelberg zum Beispiel, ist das Problem bekannt, bei den Hunden ist die Situation besonders angespannt.
Während der Pandemie hätten sich viele Menschen einen Vierbeiner angeschafft - leider auch viele Anfänger ohne Sachkenntnis. „Der Markt ist leergekauft worden, und viele Vierbeiner kamen über den Auslandstierschutz zu uns“, erklärt Tomera.
Süßes Aussehen als Kriterium
„Wir haben nichts gegen den Auslandstierschutz“, versichert sie. Aber auf die Distanz ein Familienmitglied allein nach dem süßen Aussehen auszuwählen, berge viele Schwierigkeiten. Dabei, sagt die Hundeexpertin, könne man „schon beim Welpen ganz viel sehen“. Frühzeitig unter professioneller Begleitung etwa einer Hundetrainerin seien viele späteren Probleme zu vermeiden. „Stattdessen werden die Tiere einfach abgegeben oder sogar ausgesetzt“ - das macht die beiden Tierheimleiterinnen fassungslos.
Sie haben sogar zwei Hunde bei sich, die nacheinander von derselben Familie abgegeben wurden: erst der eine, und als es mit dem „Nachfolger“ auch nicht klappte, der andere. Es sei dringend notwendig, dass potenzielle Hundebesitzer einen Sachkundenachweis, auch „Hundeführerschein“, nachweisen müssten, bevor sie ein Tier halten dürfen, fordern die Expertinnen. Segen und Fluch zugleich: Das Viernheimer Tierheim besitzt große Expertise im Umgang mit verhaltensauffälligen Hunden. Mit der bundesweit bekannten Hundetrainerin Perdita Lübbe-Scheuermann und dem „Projekt Start ins Neue Leben“ wird erfolgreich an der Resozialisierung solcher meist falsch behandelten Hunde gearbeitet.
In die Vermittlung der Hunde stecken die Frauen viel Energie und Zeit. Wer einen Hund bei sich aufnehmen möchte, bekommt schon in der Vermittlungsphase Unterstützung von einer Hundetrainerin - und auch nach dem Einzug des Vierbeiners gibt es weiter Kontakt.

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Das Ziel: Ein einmal vermittelter Hund soll nicht wieder zurückkommen müssen. „Die Tierheimleitung arbeitet beinahe rund um die Uhr, und das an sieben Tagen die Woche“, spricht Lübbe-Scheuermann von einem „übermenschlichen Einsatz“. Aber: Im vergangenen Jahr sei ein Defizit von 55 000 Euro entstanden. Die gestandene Hundetrainerin ist den Tränen nahe, wenn sie die Situation bilanziert. Sie hat bundesweit Kollegen um Unterstützung gebeten, und alle bieten nun Webinare an, mit denen wenigstens ein paar Euro in die Kasse gespült werden.
Rund 500 Mitglieder hat der südhessische Tierschutzverein. „Es müssten mehrere Tausend sein, um die laufenden Kosten abzudecken“, weiß Lübbe-Scheuermann. Während der Pandemie fielen viele Spenden weg, weil Veranstaltungen nicht organisiert werden durften.
Viernheimer Tierheim: Hoffnung auf Wuzzdog-Festival
„Das Tierheim ist eigentlich als Zwischenstation für die Tiere gedacht, aber inzwischen sind wir oft Dauerstation“, verweist Dalesio auf eine geringe Vermittlungsquote auffällig gewordener Hunde. Dabei könnten einige von ihnen bei richtiger Haltung, „tolle Kerle“ sein. „Wir machen uns wirklich Sorgen, dass wir das Tierheim nicht mehr lange weiterführen können“, sagt Dalesio. „Aber was würde dann aus unseren Tieren?“ fügt sie hinzu - und lässt die Antwort irgendwo bedrückend im Raum schweben.
„Der karitative Tierschutz in Deutschland steht vor dem Kollaps“, warnt auch der Deutsche Tierschutzbund. „Seit Beginn der Corona-Krise erreichen uns vermehrt Anfragen von unseren Mitgliedsvereinen und Tierheimen, die um ihre Existenz bangen“, heißt es beim Tierschutzbund weiter. Und: „Wir werden natürlich alles in unserer Macht stehende tun, um sie auch weiterhin in dieser Notlage bestmöglich zu unterstützen. Doch auch wir sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen.“
Die Viernheimer setzen viel Hoffnung auf das nächste „Wuzzdog-Festival“, das am Samstag, 15. Juli, ab 18 Uhr in der Feierabendhalle stattfindet. Der Eintritt ist frei - Spenden dringend erhofft.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Tierschutz Tierheime leiden doppelt