Mannheim. „Haltet euch bereit!“, heißt es am Montagmorgen gegen 7.40 Uhr an der Abfahrt der Kurt-Schumacher-Brücke zum Luisenring. Insgesamt fünf Umweltaktivisten und -aktivistinnen stehen zu dem Zeitpunkt noch am Straßenrand. Die Anspannung steigt und ist spürbar. Zuvor hatten sie sich orangene Warnwesten angezogen und Sekundenkleber untereinander verteilt. Mit der nächsten Rotphase der dortigen Ampelanlage geht es los auf die Straße.
Nur wenige Sekunden später sitzen die fünf Personen der Bewegung die "Letzte Generation“ auf dem Luisenring. Vier der Aktivisten sind jeweils mit einer Hand am Asphalt festgeklebt. Nur der 73 Jahre alte Michael Scheurer hat keinen Sekundenkleber aufgetragen. "Um eine Rettungsgasse bei einem eventuellen Notfall bilden zu können", erklärt Raul Semmler, der die Aktion mitgeplant hat und Sprecher der Klimaaktivisten für Mannheim und die Region sowie Schauspieler und Drehbuchautor ist. Dem 37-Jährigen ist es wichtig, zu betonen, dass bei den Protesten auf Sicherheit geachtet wird und niemand zu Schaden kommen soll - weder die eigenen Leute noch die Verkehrsteilnehmer.
Nicht viel Zeit vergeht, bis der morgendliche Berufsverkehr zum Stillstand kommt. Nach Angaben der Polizei reichte der Stau zeitweise bis zur Anschlussstelle Ludwigshafen Oggersheim-Süd/ Bruchwiesenstraße auf der A 650 zurück. Viele Autofahrerinnen und -fahrer steigen aus, schauen sich die Lage an. Ein paar von ihnen gehen vor zu den Aktivisten, um ihnen die Meinung zu geigen. Diskussionen entstehen. „Ihr bestraft uns“, sagt einer. Ein anderer wirft ein, dass die Leute zur Arbeit müssten. Das müsse er selbst auch, hebt der 40-jährige Aktivist und Ingenieur Stefan Lux hervor. Doch: „Es gibt wichtigeres als meine Arbeit.“
Der Protest traf beim Großteil der Verkehrsteilnehmer jedoch nicht gerade auf Verständnis. Eine 56 Jahre alte Autofahrerin ist brüskiert: „Wegen solchen Leuten wird es die letzte Generation sein.“ Auch sie muss wie so viele, die im Stau feststecken, zur Arbeit. Und wie so viele von ihnen ist auch sie für den Klimaschutz, hält die Herangehensweise der Bewegung aber nicht für zielführend. Es gebe andere Lösungen. Sie verweist auf ihr Elektroauto.
„Man hegt nur Groll“
„Die sollen sich – auf gut Deutsch gesagt – einfach verpissen“, sagt ein 48-Jähriger, der mit seinem Wagen im Stau steht. „Man hegt nur Groll“, führt er aus. Er habe nichts dagegen, auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Es müsse auch etwas dagegen getan werden. Auch gegen Demonstrationen habe er nichts. „Aber nicht auf diese Weise. Das ist der falsche Weg“, erläutert er. Einfach mal die Heizung abdrehen oder den Strom abstellen, wäre in den Augen des 48-Jährigen eine Lösung. Eine 47 Jahre alte Frau sagt, dass die Aktivistinnen ihr Anliegen nicht auf dem Rücken anderer austragen sollen. Sie hätten auch vor dem Grosskraftwerk Mannheim oder bei Unternehmen protestieren können. So sehen das viele. Das weiß auch Semmler: „Die Fragen der Leute sind immer die gleichen.“ Meistens würden die Aktivisten aufgefordert, vor Energiekonzernen zu protestieren.
Das jedoch bringe nicht die erhoffte Aufmerksamkeit. Jahrelang hätten sie es mit den Mitteln der „Fridays for Future“-Bewegung versucht, doch das habe nicht wirklich geholfen, so Semmler. Die 31-jährige Aktivistin Penelope Frank schlägt in die gleiche Kerbe: “Ich hocke mich hier hin, da sich trotz über drei Jahren "Fridays for Future" sich nur minimal was geändert hat“, erklärt sie. Und tatsächlich sind nicht alle von der Aktion Betroffenen gegen die Straßenblockade. Ein Verkehrsteilnehmer kommt nach vorne. Er klatscht mit Semmler ab und spricht seinen Zuspruch für den Protest aus. „Ich hoffe, der Kleber hält gut“, sagt er noch, bevor er wieder nach hinten zu seinem Wagen geht.
In der Zwischenzeit ist auch die Polizei eingetroffen, weswegen sich die Situation schnell beruhigt. Semmler und seinen Leuten geht es gut, wie er bestätigt. Die Aktivisten werden über ihre Rechte aufgeklärt. Die Beamtinnen und Beamten gehen dabei äußerst ruhig und deeskalierend vor. Semmler betont: „Zum Glück war die Polizei schnell da.“ Er habe damit gerechnet, dass die Situation mehr eskaliere. Deswegen seien die Aktivisten auf die Behörde angewiesen, erklärt der 37-Jährige. Sobald die Beamtinnen eintreffen, beruhige sich die Lage im Normalfall. So auch diesmal. Nun hofft Semmler, dass „die Leute sich mit der Thematik beschäftigen.“ Im Allgemeinen sieht er die Aktion als Erfolg. Aufmerksamkeit sei geschaffen worden.
Gegen 8.45 Uhr erhebt dann einer der Beamten das Megafon. Es habe sich kein Leiter zu erkennen gegeben, weswegen die Versammlung nun aufgelöst werde. Freiwillig bewegen sich die Aktivistinnen jedoch nicht von Ort und Stelle. Können sie auch schlecht. Also rücken die Beamten gegen 9 Uhr mit einem Lösungsmittel an, womit sie die Hände der Aktivisten behandeln, um diese von der Straße zu bekommen. Anschließend werden sie weggetragen. Ein kleiner Applaus brandet auf, als die Beamtinnen die Situation auflösen.
„Bis nächstes Mal“
Laut Polizei besteht gegen die Aktivisten nun der Tatbestand der Nötigung und der Verdacht des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Die fünf Aktivistinnen werden vorläufig festgenommen. “Herr Semmler, bis nächstes Mal“, sagt ein Beamter freundlich und lachend, aber mit ironischem Unterton, während es für den Aktivist und seine vier Mitstreiter gegen 9.15 Uhr in den Polizeiwagen und anschließend zur Wache geht. Währenddessen fängt der Berufsverkehr auf dem Luisenring nach rund eineinhalb Stunden wieder an zu rollen.
Mit ihren Aktionen fordert die "Letzte Generation" nach eigenen Angaben eine "Lebenserklärung von Grünen-Minister Robert Habeck". Es soll demnach keine neue fossile Infrastruktur aufgebaut werden. Somit sollen auch keine neuen Öl-Bohrungen in der Nordsee durchgeführt werden. Stattdessen müsse ein sofortiger massiver Ausbau erneuerbarer Energien erfolgen. Zeitgleich zu der Aktion in Mannheim fanden Proteste in fünf weiteren deutschen Städten statt.
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