Bad Dürkheim. Mit Worten ist sie eigentlich nur schwer zu beschreiben – und einzigartig ist diese Veranstaltung wahrscheinlich bundesweit. Wenn sich an einem Montagmorgen Tausende Menschen zu einem Frühschoppen verabreden, dann kann das wohl nur auf dem Dürkheimer Wurstmarkt geschehen. Seit 4.15 Uhr strömten die Menschen trotz eines bereits intensiven Auftaktwochenendes auf den großen Platz vor dem Dürkheimer Riesenfass. Bereits um 7 Uhr postete der Dürkheimer Bürgermeister Christoph Glogger auf seinem Facebook-Account ein Bild, das die ungeschminkte Wahrheit zeigte und letztlich eine Nachricht transportierte – Weinschorle und „Lewwerworschd“ sind angerichtet.
Der Literarische Frühschoppen ist zurück – und mit ihm die Begeisterung der Pfälzer für eine Rieslingschorle zu einer Uhrzeit, zu der manch anderer Schwierigkeiten hat, ein Honigtoastbrot Richtung Mageneingang zu pressen. Ungeschliffen, roh, mitunter derb und deftig – wer sich der feinen Poesie verschrieben hat, der ist beim „Lidderarische“, wie die gemeine Dürkheimerin das Happening nennt, an der falschen Adresse. Natürlich werden schon früh am Morgen die vermeintlich ruhmreichen Taten des 1. FC Kaiserslautern besungen. Und selbstverständlich mischt sich Fußball-Liedgut schnell mit den Texten des wahrscheinlich bekanntesten pfälzischen Liedermachers Kurt Dehn.
Mit Songs wie „Im Himmel gibt’s känn Worschdmarkt mehr“ oder „De schännschde Verein ist de Winzerverein“ streichelte er bereits zu Lebzeiten die Seele der Dürkheimer. Als Bernd und Alexander Wehrum um 10.46 Uhr zu Ehren Dehns als erstes Lied „Ich hab’ heute Abend wieder Sitzung“ anstimmen, da singt die Pfalz erstmals aus einer Kehle. Vergleichbar ist das in puncto Heimatliebe wohl nur mit Grönemeyers „Bochum“, wenn das ganze Ruhrstadion grölt.
Als hätte es Corona nicht gegeben
Inhaltlich hat sich der Literarische Frühschoppen in den vergangenen Jahren verändert: Das Gesicht dieser Veranstaltung war über lange Zeit der altersbedingt erkrankte Reinhard Brenzinger – der sogenannte Dürkheimer Barde. So gab es in früheren Zeiten auch mal leisere und bedächtigere Töne. Herzschmerz war aber immer Programm. „Moi Derkem“ (Mein Dürkheim) heißt das Lied, das Brenzinger bekannt machte. Janina Huber, Dürkheimerin und vor einigen Jahren als Deutsche Weinkönigin in der ganzen Region unter ihrem Mädchennamen Janina Huhn bekannt, zitierte Brenzingers Liedzeilen zur Begrüßung. Da hatte der eine oder andere dann doch kurzzeitig „Pipi“ in den Augen. Das erledigt sich schnell, als das Duo Wehrum einige Bonmots über Saarländer zum Besten gibt. Auch wenn mancher Spruch tatsächlich unter der Tür durchpasst – Witze auf Kosten von Saarländern haben offenbar auch nach drei Jahren Wurstmarkt-Pause nicht an Wirkkraft verloren.
Gedichte oder persönliche Anekdoten kommen beim Literarischen Frühschoppen eher nicht mehr vor. Dafür gibt es inzwischen einen eigenen Termin während des Wurstmarkts, der beim breiten Publikum aber weniger Anklang findet und insofern eher den Liebhabern der pfälzischen Mundart vorbehalten ist.
Wer Mundart und Gesang in der Pfalz zusammenbringen will, der kommt seit einigen Jahren an einer Band nicht vorbei: Die „Anonyme Giddarischde“ und in besonderer Weise Frontmann Edsel sind weiterhin in aller Munde, wenn es darum geht, die Seele des Landstrichs zwischen Rhein und Haardtrand gut zu beschreiben. Mit ihrem „Palzlied“ haben sie sich schon vor Jahren unsterblich gemacht. Als Edsel gegen 12 Uhr am Mittag die inzwischen mehr als 6 000 Menschen rund um die Bühne zur „Frühmesse“ begrüßt, erreicht die Stimmung ihren vorläufigen Höhepunkt.
Gläser kreisen wieder
Dicht an dicht sitzen die Menschen dort, wo vor einem Jahr nicht mal ein Haushalt hätte sitzen dürfen. Corona ist am Montagmorgen kein Thema mehr. „Die Durststrecke ist vorbei“, hatte Huber schon am Morgen euphorisch ins Mikrofon gerufen. Mancher nahm das wirklich wörtlich und schüttete schon am Morgen vier oder fünf Weinschorle in sich hinein. Noch vor zwölf Monaten hätte man sich gehütet, aus einem gemeinsamen Glas zu trinken. Auch in dieser Hinsicht hat die Corona-Zeit offenbar viele Menschen nicht sehr verändert. Die Gläser kreisten an vielen Tischen wie eh und je.
Ohnehin ist es ein glänzender Montag: Marktmeister und Tourismus-Chef Marcus Brill kommt angesichts des Wetters und der guten Stimmung ins Schwärmen. Der Wunsch, den Wurstmarkt so ursprünglich wie möglich feiern zu können, sei sehr groß gewesen, sagte er, nachdem der Frühschoppen vorbei ist. „Annerschdwu is annerschd unn halt net wie in de Palz“, klingt es noch länger in den Ohren.
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