Frankenthal. Um 15.40 Uhr geht am Mittwoch am Frankenthaler Landgericht ein Raunen durch den Sitzungssaal 20. Es ist der fünfte Verhandlungstag im Prozess um die Messerattacke im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim, bei der im Oktober 2022 zwei Männer getötet und ein weiterer lebensgefährlich verletzt wurden. Der Angeklagte Liban M. - die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord und versuchten Mord vor - bittet um eine Unterbrechung. Weil er beten möchte, sagt er. Die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt lehnt das ab.
Der Prozesstag hat allen Beteiligten viel abverlangt. Seit 10.30 Uhr befragt die Kammer Amiina B. (Name von der Redaktion geändert), die ehemalige Lebensgefährtin des Angeklagten. Um mehr über ihre Beziehung zu M. zu erfahren. Darüber, was für ein Mensch er ist. Und auch, ob er psychische Probleme gehabt haben könnte.
Ein psychiatrischer Sachverständiger hat M. zwar vorläufig als schuldfähig eingestuft, doch immer wieder spricht der 26-Jährige während des Verfahrens von „bösen Menschen“, die er habe aufhalten wollen. Von Nachbarn, die außer ihm niemand sah. Und von Drohungen, die außer ihm selbst niemand hörte.
Angeklagter will unbedingt im Gerichtssaal beten
Mirtha Hütt richtet ihren Blick wieder auf den Bildschirm im Sitzungssaal. Über ihn ist Amiina B. aus einem anderen Gericht irgendwo in Deutschland zugeschaltet. Wo genau, ist nicht bekannt. Und das hat seine Gründe: Nach der Tat im Oktober sei die Ex-Partnerin des Angeklagten rassistisch beleidigt und bedroht worden. Menschen hätten ihr nachgestellt, so die Vorsitzende Richterin. Amiina B. habe mehrfach umziehen müssen, weil man sie nicht in Ruhe gelassen habe. Deshalb habe die Kammer einer Videovernehmung zugestimmt.
Doch bevor die Richterin ihre nächste Frage formulieren kann, insistiert Liban M. Er fordert „sein Recht“ ein, zu beten. Der 26-Jährige stellt der Kammer ein Ultimatum: „Entweder unterbrechen Sie die Verhandlung oder ich fange jetzt und hier an, zu beten“, übersetzt ein Dolmetscher aus dem Somalischen ins Deutsche. Mirtha Hütt erhebt die Stimme: „Ich lasse mich nicht von einem Angeklagten erpressen“, sagt sie. „Sie bleiben sitzen oder ich lasse Sie wieder hinsetzen.“ Liban M. rückt mit seinem Stuhl zurück, mehrere Wachtmeister springen auf, stellen sich um ihn herum auf.
Leise beginnt er zu beten, sein Oberkörper wippt vor und zurück, während Hütt mit ihrer Befragung fortfährt. Zu wichtig ist das, was Amiina B. zu sagen hat. Außer dem Psychiatrischen Sachverständigen könnte sie die Einzige sein, die zuverlässige Hinweise zu seinem psychischen Zustand geben kann.
Das sagt ehemalige Lebensgefährtin über Liban M.
Vor Gericht erzählt sie die traurige Geschichte einer Beziehung, in der viel gestritten wurde. Immer wieder beendete sie das Verhältnis zu Liban M. - mal leise, mal laut. Mal kämpfte er um sie und entschuldigte sich, dann bedrohte, schlug und würgte er sie. Unzählige Male verständige Amiina B. die Polizei. Und kam doch nicht von M. los. Im August 2022 hätten sie und M. in einer Moschee geheiratet. „Ich habe mich überreden lassen“, sagt die Zeugin. Während Liban M. selbst vor Ort war, schaltete Amiina B. sich telefonisch zu. Eine standesamtliche Eheschließung habe es nicht gegeben.
Schon neun Tage nach der Trauung forderte sie die Scheidung. Die Vorsitzende Richterin verliest mehrere Nachrichten, die zwischen den beiden hin- und hergingen. Ein Grund dafür: „Im August hatte sich sein Zustand verschlimmert.“ Als das Paar anbandelte, zunächst 2016, dann wieder 2019, sei ihr aufgefallen, dass M. in Gedanken oft mit sich selbst gesprochen habe.
Doch 2022 sei sein Verhalten immer merkwürdiger geworden. „Er hörte Stimmen. Zuhause in Neustadt hörte er die Stimme eines Geistes, eines Dämons, der ihn verhöhnte“, sagt sie. „Und wenn er bei mir war, dann hörte er die Stimmen meines Nachbarn.“ Stimmen, die sie selbst nie vernommen habe.
Die Rolle des angeblichen Nachbarn
Immer wieder hat Liban M. vor Gericht darüber gesprochen, dass er vom Nachbarn seiner Ex-Partnerin bedroht worden sei. Mehrfach soll ein Mann - der in keiner der Wohnungen im Haus gefunden werden konnte - angekündigt haben, die Frau und ihre Kinder vergewaltigen zu wollen.
Zu Prozessbeginn gab M. an, er sei am 18. Oktober wegen dieses Menschen nach Oggersheim gefahren, mit einem Messer in der Tasche. „Er hat Gesichter an der Wand gesehen, das war ganz schlimm“, sagt Amiina B. Liban M. habe nicht mehr gegessen, weil er Angst hatte, jemand könne ihn vergiften. In dieser Phase habe sie begonnen, zu recherchieren, stieß im Internet auf Begriffe wie Psychosen, Paranoia, Schizophrenie. „Und er merkte selbst, dass etwas nicht stimmte“, sagt sie. „Er bat mich, einen Exorzisten zu suchen, weil er besessen sei.“
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