Rhein-Neckar. Am 20. Juli 2019 starben zwei junge Menschen aus Bobenheim-Roxheim (Rhein-Pfalz-Kreis) bei einem tragischen Unfall auf der B 44 zwischen Lampertheim und Mannheim-Sandhofen, ein dritter wurde lebensgefährlich verletzt. Die drei Männer saßen auf der Rückbank eines Wagens, der nach Berechnungen von Experten mit mindestens 180 Stundenkilometern von der regennassen Straße abkam. Er prallte zunächst gegen einen Pfeiler und dann gegen einen Baum, der durch den Aufprall aus der Erde gerissen wurde.
Der Unfallfahrer muss sich seit Ende November unter anderem wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens und gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge vor dem Landauer Landgericht verantworten. Über vier Jahre nach dem Unfall soll es am Donnerstag ein landgerichtliches Urteil geben, dem 23-Jährigen droht eine mehrjährige Jugendstrafe.
Das fordert die Staatsanwaltschaft
Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft wollte Arif A. auf der B 44 maximal Tempo machen, imponieren, zeigen, „was er kann“. Auch soll er einen Kick gesucht haben, als er mit rund 180 Stundenkilometern die Straße „entlangbretterte“, und damit das geltende Tempolimit um 90 km/h überschritt.
Die Staatsanwaltschaft forderte am Dienstag in ihrem Plädoyer eine Verurteilung unter anderem wegen eines illegalen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge und schwerer Gesundheitsschädigung, Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Körperverletzung - und eine vierjährige Jugendstrafe. Außerdem sprach sie sich für ein lebenslanges Fahrverbot aus.
Doch warum zog sich die juristische Aufarbeitung des Falls derart in die Länge?
Arif A. wurde zunächst von einem Richter am Amtsgericht in Frankenthal per Strafbefehl – in einem verkürzten Verfahren ohne Hauptverhandlung – zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Außerdem musste der Unfallfahrer 2000 Euro für soziale Zwecke zahlen und seinen Führerschein für ein Jahr abgegeben.
Und das hätte eigentlich nicht passieren dürfen. Denn A. wurde im System der Justizbehörde offenbar versehentlich nicht als „Heranwachsender“ eingestuft. Wer zwar volljährig ist, aber das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, gilt vor Gericht als Heranwachsender. Und das traf auch auf den zum Unfallzeitpunkt 19-jährigen Arif A. zu, der fälschlicherweise über den Strafbefehl zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde.
Mutter kämpfte für Wiederaufnahme des Verfahrens
Zu dieser Zeit begann ein Ringen um Gerechtigkeit in diesem tragischen und juristisch komplexen Fall. Die Mutter eines Todesopfers, Dominique Stites, trug Videos zusammen, die dokumentieren, das Arif A. bereits Wochen vor dem Unfall wieder und wieder viel zu schnell unterwegs war: mit 135 Stundenkilometern in der Frankenthaler Innenstadt, auf einer Landstraße zwischen Frankenthal und Bobenheim-Roxheim erreichte er 231 km/h. Auf den Videos, die dieser Redaktion vorliegen, wird gelacht, laute Musik wummert aus den Bässen, die Stimmung im Wagen ist gelöst, während jemand die Handy-Kamera auf den Tacho-Zähler hält.
Auch Damon Stites stieg am 20. Juli 219 in den besagten Wagen, einen hochmotorisierten BMW. Er wurde nur 19 Jahre alt. Einer seiner Freunde, der auch auf der Rückbank Platz genommen hatte, starb mit 18 Jahren. Ein dritter Fahrzeuginsasse, der Bruder des 18-Jährigen, wurde so schwer am Kopf und an der Wirbelsäule verletzt, dass er sich wahrscheinlich nie von dem Unfall erholen wird.
Die beiden jungen Männer, die im vorderen Teil des Wagens saßen – Arif A. und sein Cousin -, erlitten leichtere körperliche Verletzungen, die inzwischen ausgeheilt sind.
Tatsächlich erwirkten Dominique Stites und ihrer Anwalt Frank K. Peter über die Videos die Wiederaufnahme des Verfahrens. Und das ist selten, denn es gibt hohe Hürden dafür, dass ein Verfahren wieder aufgenommen wird, weil hier sozusagen die Rechtskraft eines Urteils durchbrochen wird.
Keine Strafverfolgung früherer Raserfahrten
An drei langen Verhandlungstagen arbeitete die Kammer juristisch auf, was am 20. Juli 2019 geschah. Und kreiste dabei immer auch um die Frage: Ist Arif A. ein notorischer Raser?
Die früheren Raserfahrten waren nicht Gegenstand der Hauptverhandlung und werden auch nicht weiterverfolgt. Grund dafür ist Paragraf 154 der Strafprozessordnung. Demnach kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Tat absehen, wenn die Strafe dafür angesichts einer zu erwartenden Strafe für eine andere Tat nicht beträchtlich ins Gewicht fällt – und genau dies ist hier geschehen. Dennoch spielten sie mit in das Gesamtbild hinein.
"Das Gericht hat den Opfern und ihren Angehörigen ein Forum gegeben"
„Dieser Prozess hat gezeigt, dass wir eine solche Hauptverhandlung brauchen, um Recht herzustellen“, sagte Wolfram Schädler in seinem Schlussvortrag am Dienstag. Der ehemalige Bundesanwalt vertrat während des Prozesses Damon Stites‘ Vater, einer von drei Nebenkläger in dem Prozess. „Das Gericht hat den Opfern und ihren Angehörigen ein Forum gegeben“, sagte Schädler. Für immer werde er die Stimme der Mutter des 18-jährigen Todesopfers nachhallen hören, die davon berichtete, wie ihr zweiter Sohn monatelang nach dem Unfall unaufhörlich schrie.
Die 46-jährige Frau und ihr 45 Jahre alter Mann verloren am 20. Juli einen ihrer Söhne, ein weiteres ihrer Kinder wurde lebensgefährlich verletzt. Der junge Mann erlitt unter anderem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, Verletzungen des Rückenmarks, einen Wirbelsäulenbruch. „Er kann nicht reden, nicht laufen, nicht essen“, sagte der Vater zu Prozessbeginn. Er sei ein Pflegefall, brauche Hilfe. Tag und Nacht. Zweieinhalb Jahre habe ihr Sohn nur geschrien. „Das war für Außenstehende der reinste Horror, und für uns war es die Hölle“, sagte die Mutter am ersten Verhandlungstag.
"Auch die Verteidigung hat ein Interesse daran, ein gerechtes Urteil zu finden"
Stefan Beck aus Landau, der Anwalt des Paares, sprach in seinem Plädoyer von fehlender Reue des Angeklagten. Er schloss sich den Forderungen der Staatsanwaltschaft und seines Anwaltskollegen Frank K. Peter, der eine sechsjährige Jugendstrafe für schuld- und tatangemessen hielt, an.
„Auch die Verteidigung hat ein Interesse daran, ein gerechtes Urteil zu finden“, sagte Rüdiger Weidhaas, einer der beiden Verteidiger des Mannes kurz vor Ende des Verfahrens. An der alleinigen Verantwortlichkeit des Angeklagten könne kein Zweifel bestehen, sagte Weidhaas. Und deshalb sei die Verteidigung während des Verfahrens um Demut bemüht gewesen.
„Das, was er auf sich geladen hat, wird er sein ganzes Leben mit sich rumtragen“, sagte Weidhaas. Auch wenn er ein Leben vor sich habe, das die Kinder der Eltern im Gerichtssaal nicht mehr führen könnten.
Der Strafbefehl, sechs Monate auf Bewährung – im Nachhinein sei das undenkbar. „Das ist auch der Verteidigung klar“, sagte der Rechtsanwalt aus Bad Dürkheim. Und doch vertrete er nach wie vor die Ansicht, dass hier ein wichtiger Pfeiler unserer Rechtsordnung einer erneuten Verurteilung entgegen stehe: der Grundsatz „Ne bis in idem“ (lat. nicht zweimal in derselben Sache). Wer einmal wegen einer möglichen Straftat verurteilt wurde, darf nicht erneut wegen dieser Tat vor Gericht gestellt werden.
Einen entsprechenden Antrag hatte Weidhaas zu Beginn des Verfahrens gestellt, um eine Einstellung des Verfahrens zu erwirken – ohne Erfolg. Bereits am ersten Verhandlungstag waren Staatsanwaltschaft und Nebenkläger-Vertreter dem Antrag entgegengetreten, etwa mit dem Hinweis darauf, dass Strafbefehle vom sogenannten Doppelverfolgungsverbot ausgenommen seien, später wies die Kammer um den Vorsitzenden Richter Markus Sturm den Antrag zurück. Und so forderte er Weidhaas eine Jugendstrafe im bewährungsfähigen Bereich.
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