Mannheim. Am 20. Juli 2019 starben zwei junge Menschen bei einem Autounfall auf der B 44 zwischen Lampertheim und Mannheim-Sandhofen. Der Wagen kam mit mindestens 130 Stundenkilometern von der Straße ab, prallte zunächst gegen einen Pfeiler und dann gegen einen Baum, der durch den Aufprall aus der Erde gerissen wurde.
Die beiden jungen Männer aus Bobenheim-Roxheim im Rhein-Pfalz-Kreis wurden nur 18 und 19 Jahre alt. Ein dritter Fahrzeuginsasse, der Bruder des 18-Jährigen, wurde so schwer am Kopf und an der Wirbelsäule verletzt, dass er sich wahrscheinlich nie von dem Unfall erholen wird. Der Unfallfahrer und sein Beifahrer trugen leichtere Verletzungen davon, konnten nach kurzer Zeit aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Prozess nach Raserunfall: 23-Jähriger angeklagt
Mehr als vier Jahre nach dem Unfall wird der Fall seit Dienstag am Landgericht in Landau erneut juristisch aufgearbeitet. Arif A., der Unfallfahrer, muss sich wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens und gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge vor Gericht verantworten. Und schon am ersten Prozesstag wurden drei Dinge offenbar, die diesen Fall bestimmen: seine Tragik, seine lebensverändernde Bedeutung für so viele Menschen und seine juristische Komplexität. Der erste Verhandlungstag in Landau begann mit einem Antrag von Rechtsanwalt Rüdiger Weidhaas aus Bad Dürkheim, der den 23-jährigen Angeklagten vertritt.
Weidhaas verlas Seite um Seite des Dokuments, mit dem er forderte, das Verfahren gegen seinen Mandanten einzustellen - wegen des sogenannten Doppelverfolgungsverbots, das besagt, dass kein Mensch mehrfach wegen der gleichen Tat verurteilt werden darf. Denn Arif A. wurde im Nachgang des Unfalls bereits rechtskräftig verurteilt.
Gericht in Frankenthal hatte 23-Jährigen per Strafbefehl verurteilt
Ein Richter am Amtsgericht in Frankenthal verurteilte ihn per Strafbefehl - das heißt in einem verkürzten Verfahren ohne Hauptverhandlung - zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung. Außerdem musste der Unfallfahrer 2000 Euro für soziale Zwecke zahlen und seinen Führerschein für ein Jahr abgegeben.
Dabei unterlief der Justizbehörde in Frankenthal ein schwerer Fehler: Als Heranwachsender - A. war zum Zeitpunkt des Unfalls zwar über 18 Jahre alt, hatte das 21. Lebensjahr aber noch nicht vollendet - hätte er nicht über einen Strafbefehl zu einer Freiheitsstrafe, wenn auch auf Bewährung, verurteilt werden dürfen. Und: Schon damals soll es Hinweise darauf gegeben haben, dass der Angeklagte gern maximal Tempo machte, die nicht hinreichend berücksichtigt worden sein sollen.
In Frankenthal sei vieles bekannt gewesen, was seinen Mandanten belaste, sagte Weidhaas am Dienstag in Landau. Etwa, dass er auf der regennassen Fahrbahn viel zu schnell unterwegs gewesen sei, zwischen 130 und 155 Stundenkilometer erreichte. Auch dass die Mutter eines Todesopfers, Dominique Stites, ihren Sohn schon Wochen zuvor davor gewarnt habe, bei Arif A. ins Auto zusteigen. Und so hätte man bereits in Frankenthal zu dem Schluss kommen können, das Ganze anders zu bewerten, so der Rechtsanwalt.
Nach Raserunfall: Mutter des Todesopfers lässt Verfahren neu aufrollen
Tatsächlich trugen Dominique Stites und ihr Rechtsanwalt Frank K. Peter aus Worms nach dem ersten Verfahren aber weitere Beweismittel zusammen, drei Videos, die frühere Raserfahrten von Arif A. dokumentieren, wollten eine Wiederaufnahme des Verfahrens erwirken - mit Erfolg. Und das ist selten, denn es gibt hohe Hürden dafür, dass ein Verfahren wieder aufgenommen wird, weil hier sozusagen die Rechtskraft eines Urteils durchbrochen wird.
Der Vorsitzende Richter Markus Sturm stellte die Entscheidung des Gerichts über den Antrag zurück, nachdem Staatsanwaltschaft und Nebenkläger-Vertreter ihm entgegengetreten waren, etwa mit dem Hinweis darauf, dass Strafbefehle vom Doppelverfolgungsverbot ausgenommen seien.
Und dann brach sich die ganze Tragik des Unfalls vom 20. Juli 2019 Bahn. Während Arif A. sich nicht vor Gericht äußern wollte, weinte Dominique Stites vor Gericht um ihren Sohn Damon und um ihre Familie. „Ich habe ein Kind, das gestorben ist, und eins, das vier Jahre danach total kaputt ist, weil es seinen Bruder verloren hat“, sagte sie. Ihr jüngerer Sohn verlasse das Haus nur noch selten, er habe große Angst, ihm oder seinen Eltern könne etwas passieren. Und er vermisse seinen Bruder, zu dem er eine so tiefe Verbindung gehabt habe.
Opfer des Raserunfalls in Lampertheim kann weder reden, laufen noch essen
Ihren tiefen Schmerz können wahrscheinlich nur die nächsten beiden Zeugen nachempfinden. Die 46-jährige Frau und ihr 45 Jahre alter Mann haben am 20. Juli ihren Sohn verloren, sein Bruder wurde lebensgefährlich verletzt, erlitt unter anderem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, Verletzungen des Rückenmarks, einen Wirbelsäulenbruch. „Er kann nicht reden, nicht laufen, nicht essen“, sagte der Vater.
Er sei ein Pflegefall, brauche Hilfe. Tag und Nacht. Zweieinhalb Jahre habe der junge Mann nur geschrien. Geschrien und geschrien. „Das war für Außenstehende der reinste Horror, und für uns war es die Hölle“, sagte die Mutter. Kein Arzt habe eine Ursache für die lauten Rufe finden können, erst seit der Reha vor einigen Monaten hätten sich die Ausrufe gelegt.
Und irgendwann aufgehört. „Er hat Fortschritte gemacht, und das macht uns Hoffnung“, sagte sie. Mehrere Menschen im Gerichtssaal wischten sich ihre Tränen aus den Augen, schnäuzten sich. Und der Vorsitzende Richter Markus Sturm sagte: „Man kann das wahrscheinlich nicht ermessen, was sie erleiden müssen.“
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