Darmstadt. Was passierte am 29. Juni 1986 mit Jutta Hoffmann? Um diese Frage kreist der Prozess vor dem Landgericht in Darmstadt, der den gewaltsamen Tod der 15-Jährigen aus Lindenfels im Odenwald juristisch aufarbeiten soll. Angeklagt ist der 62-jährige Peter F., er soll Jutta Hoffmann vor über 37 Jahren in einem Waldstück in ihrem Heimatort getötet haben. Der gebürtige Bensheimer ist wegen Mordes angeklagt, Mord gehört zu den wenigen Straftaten, die nie verjähren.
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt davon, dass Peter F. Jutta Hoffmann zunächst vergewaltigte und sie dann ermordete, um die Sexualstraftat zu vertuschen. Staatsanwältin Eva Heid forderte am Mittwoch eine lebenslange Haftstrafe für den 62-Jährigen.
Ein DNA-Treffer führte Ermittler nach über drei Jahrzehnten im Spätsommer 2020 zu dem mehrfach vorbestraften Sexualstraftäter. Was danach folgte, sei „ein langer Weg“ gewesen, sagte Staatsanwältin Heid am Mittwoch in ihrem Plädoyer. Jedes kleinste Detail sei ausgeleuchtet worden, und die Ermittler entschieden sich dazu, manche Dinge in diesem Fall anders zu machen, in „kreativer Art und Weise“. "Wir haben fast alle Möglichkeiten der Strafprozessordnung ausgeschöpft", sagte Heid. Was das bedeutete, erfuhr die Öffentlichkeit an zehn Verhandlungstagen peu à peu:
Wegen Sexualstraftaten verurteilt
Nach über drei Jahrzehnten untersuchten Ermittler des LKA alte Beweismittel auf DNA-Spuren - und landeten einen Treffer, der sie zu Peter F. führte. Der mehrfach vorbestrafte Sexualstraftäter befand sich damals - im Jahr 2020 - im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus in Norddeutschland. Der Grund dafür: Peter F. hatte über eine Annonce im Internet eine Babysitterin für sein zweijähriges Kind gesucht, das es nicht gab. Eine Studentin meldete sich, verabredete sich mit ihm, F. schlug ein Kennenlerntreffen mit dem Kind vor, und bei diesem Treffen versuchte er, die Frau zu vergewaltigen, die sich massiv wehrte und fliehen konnte.
Bereits zuvor verbüßte F. Haftstrafen wegen anderer Vergewaltigungsfälle. Eine Frau solle er mit einer Gaspistole, eine andere mit einem Messer bedroht, sie stranguliert und an der Heizung festgebunden haben.
Sein erstes bekanntes Opfer entging Anfang der 80er-Jahre nur knapp einer Vergewaltigung, später soll Peter F. ihr Drohbriefe geschrieben haben, in denen er seine Gewaltfantasien ausführte.
Verdeckter Ermittler eingeschleust
Weil die LKA-Mitarbeiter wussten, dass die DNA-Spur allein nicht beweiskräftig genug war, entschieden sie sich dazu, einen verdeckten Ermittler im Umfeld des 62-Jährigen einzuschleusen, der sich als ehrenamtlicher Mitarbeiter eines Tierheims ausgab, in dem Peter F. regelmäßig einen Hund ausführte.
Peter F. fasste Vertrauen zu „Mirko“, so der Deckname des Mannes. Beide gingen regelmäßig spazieren, trafen sich in dessen Strandhaus. Auch am 22. März 2023, wo „Mirko“ die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“ abspielte – und beobachtete, wie Peter F. nervös wurde, seine Hände knetete, während die Fernsehsendung um den Cold Case Jutta Hoffmann kreiste.
Ermittlerin Tanja Becker war im Studio zu Gast, sprach über Spuren, die nach Norddeutschland führten, und lancierte einen Hinweis: „Es gibt eine Mitteilung darüber, dass der Name Peter eine Rolle spielen könnte“.
Im Netz soll Peter F. nach Hinweisen gesucht haben, so Heid. Und zurück in der Psychiatrie, habe die Ausstrahlung ihn weiter beschäftigt. Einem Pfleger gegenüber sprach F. über Details, die sich auf keiner Internetseite fanden, die der Angeklagte – so die Auswertungen der Ermittler – über sein Smartphone besuchte. So soll er etwa ein Messer als Tatwaffe benannt haben.
Viele offene Fragen
Seit Mitte November wird der Fall in Darmstadt verhandelt, doch auch kurz vor Schluss zeigte sich am Mittwoch, dass viele Fragen bislang unbeantwortet geblieben sind. Rechtsanwalt Andreas Sanders aus Darmstadt, einer der beiden Verteidiger des Angeklagten, sprach in seinem Plädoyer von einer „aneinandergereihten Indizienkette, die willkürlich und kreativ“ von der Staatsanwaltschaft zusammengesetzt worden sei.
Welche Indizien? Da wäre etwa der Spaten, der in den 80er-Jahren im Fall Jutta Hoffmann von der Polizei sichergestellt wurde. Am Stiel fanden Ermittler im Sommer 2020 eine DNA-Spur, die mit der DNA von Peter F. übereinstimmte. Mit dem Spaten soll der mutmaßliche Täter die Grube ausgehoben haben, in der er Jutta Hoffmanns Leichnam verscharrte. Aber wie und wann kam der Spaten zur Polizei? Und wie kam die DNA-Mischspur – wahrscheinlich eine Hautschuppe von Peter F. - an den Stiel? Und vielleicht noch wichtiger: Wann?
Weitere Indizien in dem Fall: Blutspuren an Jutta Hoffmanns Kleid, ein Rippenknochen, der einen glatten Schnitt aufwies– womöglich ein Hinweis auf eine Verletzung mit einem Messer. Jutta Hoffmanns Gürtel, der ihr womöglich um den Hals gelegt worden war. Und: Anhaltspunkte dafür, dass sich Peter F. im Sommer 1986 in Südhessen aufhielt.
Kritik an Methoden der Ermittler
„Im Grunde wissen wir nichts“, sagte Sanders in seinem Schlussvortrag. Man wisse nicht, wie Jutta Hoffmann zu Tode gekommen sei, und auch nicht, ob sie tatsächlich vergewaltigt worden sei.
Der Rechtsanwalt kritisierte die Methoden der Ermittler scharf. Seiner Ansicht nach seien die Erkenntnisse des verdeckten Ermittlers nicht verwertbar, weil die Täuschung seines Mandanten zu schwer wiege, Grenzen eindeutig überschritten worden seien. Aber: Die Frage nach der Verwertbarkeit werde ohnehin obsolet, so Sanders, weil während der Hauptverhandlung so viele Zweifel geblieben seien. Und so forderte er gemäß dem strafprozessualen Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ einen Freispruch für Peter F.
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