Mannheim. Dominique Stites wählt am 20. Juli 2019 wieder und wieder die Nummer ihres Sohnes Damon. Er hat einige Stunden zuvor das Haus seiner Eltern in Bobenheim-Roxheim verlassen, um Freunde zu besuchen. Stites macht sich Sorgen. Sie hat gerade erfahren, dass es einen Unfall gegeben haben soll. Jemand aus Damons Clique. Die Minuten verstreichen. Wieder wählt sie seine Nummer. Dann nimmt endlich jemand ab.
„Es war ein Rettungssanitäter. Er hat mir gesagt, dass er gerade meinen Sohn reanimiert“, sagt Stites über viereinhalb Jahre später. Sie sitzt in der Kanzlei des Wormser Rechtsanwalts Frank K. Peter und erinnert sich an den Tag, der alles verändert hat - an den Tag, an dem ihr Kind bei einem tragischen Unfall starb. Der Unfallfahrer muss sich ab 28. November vor dem Landgericht in Landau verantworten.
Stites hat in vielen Gesprächen versucht, zu rekonstruieren, was am 20. Juli 2019 geschah: Damon trifft sich zunächst mit den Kumpels, mit denen er verabredet ist - zwei Brüdern. Dann kommt ein weiterer junger Mann dazu, er ist im Auto seines Vaters unterwegs. Die drei jungen Männer steigen zu ihm in den BMW. Sie fahren nach Lampertheim, holen den Cousin des Fahrers ab, um in die Waschanlage zu fahren. Damon und seine beiden Kumpels sitzen auf der Rückbank, er hat sich angeschnallt.
Zwei Menschen sterben
Ihr Weg endet auf der Bundesstraße 44 zwischen Lampertheim und Mannheim-Sandhofen. Dort kracht der BMW mit mindestens 130 Stundenkilometern gegen einen Baum. Vielleicht war er noch schneller, laut Sachverständigen könnte er bis zu 155 Stundenkilometer erreicht haben. Damon, der zehn Tage zuvor 19 Jahre alt geworden ist, stirbt. Auch sein guter Freund, der mit ihm hinten im Auto sitzt, erliegt seinen schweren Verletzungen. Der Bruder des Freundes überlebt, aber er wird lebensgefährlich verletzt, liegt im Wachkoma - und wird sein Leben lang ein Pflegefall bleiben. Während Stites wieder und wieder die Nummer ihres Sohnes wählt, verständigt der Unfallfahrer seine Angehörigen - und die strömen zur Unfallstelle. 30 bis 40 Menschen versammeln sich vor dem Fahrzeugwrack, tummeln sich inmitten der Autoteile und der vielen Einsatzkräfte. Einige von ihnen weinen, andere schreien, brechen zusammen.
Frühere Raserfahrten
Der Unfallfahrer und sein Beifahrer tragen auch Verletzungen davon, können aber schon bald wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden. Und dann passiert etwas, das Dominique Stites kaum fassen kann: Die Staatsanwaltschaft Frankenthal wertet den Unfall, bei dem ihr Sohn starb, als Augenblicksversagen. Sie beantragt, den Fahrer zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung zu verurteilen. Per Strafbefehl, das heißt in einem verkürzten Verfahren ohne Hauptverhandlung. Ein Richter am Amtsgericht folgt der Argumentation - und verurteilt ihn zur sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung. Außerdem muss der Unfallfahrer 2000 Euro für soziale Zwecke zahlen und seinen Führerschein für ein Jahr abgegeben.
„Es kann doch nicht sein, dass man zwei Menschenleben auslöscht und es kaum eine Strafe dafür gibt“, sagt Stites. Zumal schon zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sein soll, dass der Unfallfahrer bereits häufiger zu schnell unterwegs gewesen war. Viel zu schnell. Stites und ihr Anwalt Frank K. Peter tragen Videos zusammen, die dies dokumentieren. Darauf zu sehen: ein Tachozähler, der 231 Stundenkilometer anzeigt, während das Auto durch die 70er-Zone zwischen Worms und Bobenheim-Roxheim rast. Im Fahrzeuginnern lacht jemand, Bässe wummern, die Stimmung ist gelöst.
„Schon als der Strafbefehl beantragt wurde, muss der Staatsanwaltschaft bekannt gewesen sein, dass der Unfallfahrer bereits in der Vergangenheit seinen Führerschein abgeben musste“, sagt Rechtsanwalt Frank K. Peter. Doch der Behörde unterläuft ein weiterer - ein schwerer - Fehler, der auch dem Richter nicht auffällt, sagt Frank K. Peter: Der Unfallfahrer war zum Tatzeitpunkt 20 Jahre alt, gilt vor Gericht als Heranwachsender, weil er zwar volljährig war, aber das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. „Die Verurteilung eines Heranwachsenden zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung über den Strafbefehl ist gar nicht zulässig“, sagt der Rechtsanwalt und schüttelt den Kopf.
Wiederaufnahme der Ermittlungen
Wegen der neuen Video-Beweise nimmt die Staatsanwaltschaft Frankenthal die Ermittlungen wieder auf. Weil der Unfallfahrer aber bereits rechtskräftig am dortigen Gericht verurteilt wurde, muss der Fall nun an einem anderen Gericht neu aufgerollt werden - und so beginnt der Prozess am Dienstag, 28. November, vor dem Landgericht in Landau. Dort muss sich der Mann nun wegen eines verbotenen Autorennens und Körperverletzung mit Todesfolge verantworten. Wird er deshalb verurteilt, drohen ihm mindestens drei Jahre Haft. Gegenstand der Verhandlung ist ausschließlich der tödliche Unfall. Die Raserfahrten, die auf den Videos zu sehen sind, werden nicht weiter juristisch verfolgt. Grund dafür ist Paragraf 154 der Strafprozessordnung. Demnach kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Tat absehen, wenn die Strafe dafür angesichts einer zu erwartenden Strafe für eine andere Tat nicht beträchtlich ins Gewicht fällt - und genau dies ist hier geschehen.
„Meinem Mandanten tut alles unendlich leid“, sagt Rechtsanwalt Rüdiger Weidhaas aus Bad Dürkheim, der gemeinsam mit seinem Sohn und Kanzlei-Kollegen Maurice Weidhaas die Verteidigung des Mannes übernommen hat. Dominique Stites fällt es schwer, das nach der Sichtung der Videos zu glauben. Und: „Ganz egal, wie der Prozess ausgeht, er bringt uns Damon nicht zurück“, sagt Stites. Sie wischt über das Display ihres Smartphones. „Das ist das letzte Bild von Damon“, sagt sie. Auf dem Bildschirm ist ein junger Mann zu sehen, dunkle Haare, schwarzes Shirt, die Andeutung eines Lächelns. Er taxiert einen Greifvogel mit seinem Blick. „Wir waren auf dem Mittelaltermarkt in Frankenthal, die Vögel hatten es ihm angetan.“ Sie streicht das Bild zur Seite und zeigt auf ein Familienfoto: Damon, seine Eltern und sein jüngerer Bruder im Walt Disney World-Themenpark in Florida bei einem Familienbesuch in den USA zwei Monate vor seinem Tod.
Zehrender Prozess
„Damon war ein hilfsbereiter Jugendlicher“, sagt Dominique Stites. Endlich hatte er herausgefunden, was er beruflich machen wollte. „Er hat lange hin- und herüberlegt und hat schließlich einen Ausbildungsplatz als Mechatroniker bekommen.“ In Bobenheim-Roxheim spielte er Fußball im Verein, war gern mit anderen zusammen. „Wir vermissen ihn sehr“, sagt Stites. Auch nach über viereinhalb Jahren sei der Schmerz über seinen Tod nur schwer auszuhalten. „Man muss lernen, damit zu leben, aber durch den Prozess kommt vieles hoch“, sagt die Mutter, die versuchen will, an jedem der vier Prozesstage im Gericht zu sein. Dort hofft sie auf Gerechtigkeit. Und sie will versuchen, mit dem Unfall abzuschließen, auch wenn der Verlust ihres Sohnes immer wehtun wird. „Wir trauern um Damon, um all die Dinge, die wir nicht mehr zusammen tun können und die er nie erleben wird“, sagt sie.
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