Ludwigshafen. „Die dritte Welle wird Christoph 112 noch einige Zeit beschäftigen, weil die Covid-Patienten jünger werden und sehr lange intensivmedizinisch behandelt werden müssen“, berichtet Matthias Münzberg. Der Leiter der Abteilung für interdisziplinäre Rettungs- und Notfallmedizin an der Berufsgenossenschaftlichen (BG) Klinik in Ludwigshafen ist auch verantwortlich für die beiden dort stationierten Rettungshubschrauber.
„Wenn jemand wochenlang beatmet werden muss, steht er nicht einfach von seinem Intensivbett auf, sondern muss anschließend noch Therapien und Reha-Behandlungen durchlaufen, was weitere Verlegungsflüge bedeuten kann“, ergänzt Johannes Horter, der stellvertretende Ärztliche Leiter des ADAC-Luftrettungszentrums in Ludwigshafen.
Routinierter geworden
In mehr als einem Jahr Arbeit unter Corona-Bedingungen habe man sehr viel Erfahrung gesammelt und die Krankheit Covid-19 besser verstanden. Auch das Team der fliegenden Intensivstation sei routinierter geworden. Derzeit heben 16 Notfallmediziner mit den beiden Rettungshubschraubern ab. Dabei bestehe das Christoph-112-Team aus acht, speziell für die anspruchsvollen Transporte von Covid-19-Patienten und intensivmedizinisch erfahrenen Ärzten, die sich abwechseln. Hinzu kommen Piloten und Notfallsanitäter. Wie oft Christoph 112 und sein kleinerer Bruder Christoph 5 abheben, sei unterschiedlich. „Es gibt Tage, da starten wir fünf bis sieben Mal und dann einen Tag überhaupt nicht. Im Durchschnitt kommen wir täglich auf drei Einsätze. Das hat aber auch mit dem Wetter zu tun, wir können nur bei Sichtflugbedingungen abheben, weil wir ja manchmal auch auf einem Dorfplatz landen müssen“, schildert Münzberg. Denn auch die Intensivstation in der Luft, - die vor allem für die Verlegung von Covid-19-Patienten da ist - werde bei Unfällen und internistischen Notfällen eingesetzt.
Einsätze nehmen zu
Seit Mitte Februar verzeichnen die Ärzte tatsächlich mehr Einsätze im Zusammenhang mit Covid-19. „Im März und April sind die Anfragen für die Verlegung von Corona-Patienten weiter gestiegen“, berichtet Münzberg. Häufig müsse ein Schwerkranker von einer normalen Intensivstation in eine größere Klinik gebracht werden, die eine ECMO-Behandlung durchführen kann - also über ein externes Gerät zur Unterstützung der Lungenfunktion verfügt.
Insgesamt sei die Auslastung des Hubschraubers gleich geblieben. Allerdings hat die dritte Welle aus Sicht der Mediziner eine andere Qualität bekommen: „Die schwerkranken Menschen sind jünger geworden - das hat sich verändert.“ Zu Beginn der Pandemie habe man meist Menschen über 70 Jahre geflogen, nun seien es Personen um die 50 Jahre.
Dienstbereit ist der Hubschrauber von acht bis 20 Uhr: „Jeder Einsatztag beginnt mit einem Team-Briefing, in dem es um die regionale und überregionale Covid-Lage, um Wetterbedingungen und die Ausrüstung geht“, erzählt Horter. „Wie bei einem Linienflieger der Lufthansa haben wir unsere Checklisten, die wir systematisch abarbeiten und dabei verschiedene Situationen durchspielen“, ergänzt Münzberg. Neben der Kontrolle der medizinischen Ausrüstung müsse die Mannschaft vor allem mit der Schutzausrüstung umgehen können. „Wir tragen einen Vollanzug mit Visier und im Hubschrauber ist der Platz sehr beengt, deshalb muss jeder Handgriff sitzen und es ist gut, alles einmal ausprobiert zu haben, ehe man in den Einsatz geht.“
Fliegende Intensivstation
- Die ADAC Luftrettung hatte Christoph 112 – benannt nach der Notrufnummer – aus dem Reservepool ihrer Hubschrauberflotte im April 2020 nach Ludwigshafen entsandt. Der Helikopter ist der erste bundesweit alarmierbare Rettungs- und Intensivtransporthubschrauber. Verantwortlich für seine Stationierung an der BG Klinik in Ludwigshafen zeichnet das Land Rheinland-Pfalz. Christoph 112 kann an sieben Tagen pro Woche bereitgestellt und auch von anderen Ländern, der Bundeswehr und weiteren Bundesbehörden angefordert werden. Derzeit ist der zusätzliche Hubschrauber von 8 bis 20 Uhr im Dienst. Technisch ist er auch für Flüge in der Dunkelheit geeignet. Im Bedarfsfall könnte er nach Angaben von ADAC-Sprecher Jochen Oesterle bis zu 24 Stunden zum Einsatz kommen.
- Christoph 112 sei aufgrund seiner Ausstattung bestens geeignet für den Transport schwer lungenkranker Patienten und könne so für intensivmedizinische Verlegungen von Corona-Patienten eingesetzt werden, die auch während der Verlegung beatmet werden müssen. An Bord befinden sich während der Einsätze Notfallsanitäter des Deutschen Roten Kreuzes sowie speziell ausgebildete Ärzte der Abteilung für interdisziplinäre Rettungs- und Notfallmedizin der BG Klinik.
Die Belastung für die fliegenden Retter bewege sich dauerhaft auf hohem Niveau, „da die Christoph-112-Einsätze zum normalen Dienst in der Klinik dazukommen. ,On top’ wie man so schön sagt. Das funktioniert nur, wenn man gut zusammenarbeitet und viel kommuniziert“, betont Münzberg. „Nach jedem Einsatztag klären wir, was nicht optimal gelaufen ist und was uns gerade beschäftigt“, so Horter. Bislang komme man mit der Belastung zurecht. „Krise managen können wir, dafür sind wir ausgebildet worden. Notfallmedizin ist unsere DNA.“
„Ein Kollateralschaden der Pandemie ist, dass sich das Einsatzspektrum der Notfallmedizin verändert hat, weil die Transportwege länger werden“, erklärt Horter. „Ich bin am Samstag zu einem verunglückten Radler im Hunsrück geflogen und in der Umgebung gab es keine Klinik, die einen Schwerverletzten aufnehmen konnte, weil alle mit anderen Notfällen voll ausgelastet waren. Am Ende habe ich ihn mit nach Ludwigshafen genommen“, nennt Münzberg ein Beispiel. Kollegen in ländlichen Regionen erlebten immer häufiger, „dass sie Traumapatienten in der nächst gelegenen Klinik nicht abgenommen bekommen. Man kann ein Unfallopfer aber nicht stundenlang mit dem Rettungswagen über Landstraßen schaukeln, diese Zeit haben Schwerverletzte einfach nicht“, betont Horter. Und weil die Notfallversorgung in Deutschland auch während der Corona-Krise optimal bleiben soll, „brauchen wir auch Christoph 112, der Unfallopfer, Herzinfarkte und Schlaganfälle viel schneller und schonender in die geeignete Klinik transportiert“, so Münzberg.
Kritik an Salamitaktik
Genehmigt und finanziert ist der zweite Hubschrauber für den Standort in der Metropolregion Rhein-Neckar bis 30. Juni. „Wenn wir uns etwas wünschen dürften, wäre das ein Ende der Salamitaktik“, sagen die beiden Hubschrauberärzte. Die Verlängerung der Stationierung erfolge immer nur für einen sehr kurzen Zeitraum. „Das macht die Planung der Ressourcen für alle schwieriger. Eine mutige Verlängerung bis zum Jahresende oder wenigstens bis September würde uns sehr helfen“, sagt Münzberg.
„Politik und Krankenkassen müssen langfristig denken. Diese scheibchenweise Planung ist in etwa so, als wenn die EU 500 000 Impfdosen bestellt und dann mal weitersieht“, betont Horter. „Wir wissen genauso sicher, dass die dritte Welle sich für uns noch hinziehen wird, wie wir im November wussten, dass die dritte Welle kommt.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-metropolregion-notfallaerzte-krise-managen-koennen-wir-_arid,1792038.html