Bistum Speyer - Unabhängige Aufarbeitungskommission will per Studie nach Strukturen sexualisierter Gewalt suchen / Wird früherer Bischof Friedrich Wetter befragt?

Missbrauch war im Bistum Speyer Teil des Alltags

Von 
Stephan Alfter
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Herzliches Zusammentreffen zweier prominenter Kirchenmänner im Jahr 2006: Friedrich Kardinal Wetter (l.), einst Bischof in Speyer, und Papst Bendikt XIV. © dpa

Speyer. Wie war sexueller Missbrauch in den Einrichtungen des Bistums Speyer möglich? Was hat ihn begünstigt? Und wie konnte er so lange vertuscht werden? Nach den erschütternden Veröffentlichungen und Erkenntnissen der vergangenen 13 Monate bereitet die seit Sommer 2021 formierte „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich des Bistums Speyers“ (UAK SP) nun die Vergabe einer wissenschaftlichen Studie vor. Untersucht werden sollen Strukturen sexualisierter Gewalt in den Einrichtungen und in den Pfarrgemeinden innerhalb des Bistums, das sich über die Pfalz bis ins Saarland erstreckt, zwischen 1945 und heute.

Bekannt geworden war im Dezember 2020, dass beispielsweise der frühere Speyerer Generalvikar Rudolf Motzenbäcker (1998 verstorben) sich hundertfachen Missbrauchs allein an einer Person aus einem Kinderheim in Steinwurfweite zum Dom schuldig gemacht haben soll. Der amtierende Bischof Karl-Heinz Wiesemann hatte das seinerzeit exklusiv der Kirchenzeitung „Der Pilger“ gegenüber geäußert. Daran schloss sich ein bundesweites Medienecho an.

Zwei Speyerer Bischöfe genannt

Die aktuelle Ankündigung der Pressestelle des Bistums vom Dienstag fällt mitten hinein in die in Deutschland hitzig geführte Debatte um weitreichende Verfehlungen hochrangiger Geistlicher, darunter der emeritierte Papst Benedikt XVI. Die Vorwürfe, Missbrauch vertuscht zu haben, machen heute auch vor Friedrich Kardinal Wetter nicht halt. Im jüngst in München veröffentlichen Gutachten (wir berichteten mehrmals) wird Wetter mehrfach genannt. Brisant an dem Dokument ist unter anderem, dass dort mit Joseph Kardinal Wendel ein weitererer ehemaliger Speyerer Bischof erwähnt ist. Wendel war von 1943 bis 1952 hier und ging dann seinerseits nach München.

Unabhängige Aufarbeitungskommission (UAK)

  • Die UAK Speyer besteht aus sieben Personen: Wolfgang Becker (Amtsgerichtspräsident a.D.), Bernd Held, Sprecher des Betroffenenbeirats, sowie einer weiteren vom Betroffenenbeirat gewählten Person, Karl Kunzmann (Vertreter des Katholikenrats im Bistum Speyer), Sonja Levsen (Historikerin), Mareike Ott (Diplom-Psychologin), Bernhard Scholten (Abteilungsleiter a.D. im Sozialministerium Rheinland-Pfalz).
  • Rechtliche Grundlage der Aufarbeitung ist die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, die im Sommer vergangenen Jahres unterzeichnet wurde.

Sein Nach-Nachfolger Wetter ist gebürtiger Landauer und wurde 1968 in Speyer zum Bischof geweiht. 1982 folgte er dem späteren Papst, damals noch Joseph Kardinal Ratzinger, auf den Bischofsstuhl des Erzbistums München-Freising. Wetter war also während der gesamten 70er Jahre in Speyer – der Zeitraum, in den auch die Missbrauchsvorwürfe gegen seinen damaligen Generalvikar Motzenbäcker fallen. Als diese Redaktion den 93-Jährigen vergangenes Jahr im Rahmen einer größeren Recherche für die ARD in einem Münchner Seniorenheim besuchte, um mit ihm über die Missbrauchsvorwürfe in Speyer zu sprechen, schimpfte er auf Journalisten und sagte, dass er sich nicht vorstellen könne, dass Motzenbäcker zu solchen Taten fähig gewesen wäre. Nach 15 Minuten beendete der Kardinal das Gespräch auf dem Flur. Zum ihm vorgeworfenen Fehlverhalten in 21 Fällen sagte Wetter am Dienstag, dass ihm das nicht pauschal vorgehalten werden könne. Wird die Unabhängige Aufarbeitungskommission aus Speyer auch ihn im Rahmen der angedachten Studie nochmals aufsuchen und genauer zu seiner Zeit in Speyer befragen?

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Einen Tag mit Opfern verbracht

Derzeit würden Konzepte für eine solche Studie entwickelt, heißt es in der Pressemitteilung vom Dienstag. Zudem werde die Möglichkeit einer Vorstudie zur Quellenlage in Archiven des Bistums, beteiligter Ordensgemeinschaften ebenso wie in staatlichen Archiven sondiert. Zur Vorbereitung habe die Kommission in ihrer vierten Sitzung einen Tag lang mit Betroffenen über deren Erlebnisse, Erfahrungen und Einschätzungen gesprochen und sich mit den Methoden und Ergebnissen der Gutachten anderer Bistümer auseinandergesetzt.

In den Beschreibungen sei deutlich geworden, dass Missbrauch für viele Kinder, Jugendliche und erwachsene Schutzbefohlene in Einrichtungen und Pfarrgemeinden Teil ihres Alltags war.

Sie seien von Menschen missbraucht worden, die das Vertrauen der Gemeindeleitungen, des Einrichtungsträgers oder anderer wichtiger Persönlichkeiten hatten, wird der Sprecher der Aufarbeitungskommission schon vor Beginn der Studie zitiert.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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