Speyer. Gegen eine Frau aus dem Orden der Niederbronner Schwestern, die bis heute in Speyer lebt, wird nicht länger im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch ermittelt. Begründet ist das in Aussagen eines heute 36-jährigen Mannes, der während einer Vernehmung durch Beamte des Polizeipräsidiums Rheinpfalz gesagt hat, dass er gegenüber der Redaktion des „Mannheimer Morgen“ im Frühjahr die Unwahrheit gesagt hat. Diese Aussagen und ein Brief hatten die Ermittlungen der Justiz ins Rollen gebracht.
Das 36-Jährige hatte damals bei insgesamt acht Treffen mit dem Verfasser dieses Textes mehrfach wiederholt, dass er während seiner Zeit im Speyerer Kinderheim Engelsgasse zwischen 1994 und 1995 von einer Schwester vergewaltigt worden sei. Bis ins Detail hatte das vermeintliche Opfer - mit dem Rücken vor einer aktivierten Filmkamera sitzend - beim vierten Treffen beschrieben, wie einzelne Nächte dort abgelaufen seien. Alles das war gelogen. So sagt es der Mann heute, und so gibt es der Leitende Oberstaatsanwalt Hubert Ströber auf Anfrage wieder. Er habe sich seinerzeit im Zuge der vorangegangenen Veröffentlichungen „hinreißen lassen“, so begründet der heute 36-Jährige seine damalige Vorgehensweise gegenüber den Ermittlern. Erzählt hatte er seine Geschichte zunächst einer Bekannten, die den „Mannheimer Morgen“ im Februar auf die Vorwürfe ihres Bekannten hingewiesen hatte.
Auf die Frage der Redaktion, ob er bereit sei, seine vermeintlichen Erlebnisse öffentlich zu erzählen, bat er sich aus, anonym zu bleiben, aber die Aussage im Falle einer gerichtlichen Befragung unter Eid zu wiederholen. Dies bestätigte er ebenfalls mehrmals.
Brief an Missbrauchsbeauftragten
Intensiv hakte diese Redaktion bei ihm nach, ob er sich der Tragweite seiner Aussagen bewusst sei. Dass eine Schwester in dieser Weise beschuldigt wird, hatte es bisher im Bistum nicht gegeben. Mehr noch: Trotz seiner Rechtschreibschwäche war es ihm wichtig, einen Brief an den Missbrauchsbeauftragten des Ordens der Niederbronner Schwestern zu schreiben, um auf sein Schicksal aufmerksam zu machen. Ihm gehe es nicht um Geld, sagte er damals. In Anerkennung des Leids zahlt der Orden heute - je nach Schwere der Vorwürfe - mehrere 10 000 Euro an Missbrauchsopfer.
Betroffene äußert sich nicht
Wie im Frühjahr berichtet, handelt es sich bei dem früheren Heimkind um einen Menschen, der früh Erfahrungen mit Drogen gesammelt hatte und zwischenzeitlich auf der Straße lebte. Bis heute trinkt er regelmäßig. Seine Zeit im Heim sei bitter gewesen; er habe mehrfach Fluchtversuche unternommen. Er sei von der in Rede stehenden Ordensfrau regelmäßig geschlagen worden - unter Verwendung unterschiedlicher Gegenstände.
So schilderten es im Zuge der Recherche dieser Zeitung auch weitere frühere Bewohner des Kinderheims, das die Ordensfrauen im Spätjahr 1995 verließen. Bezichtigt wurde von ihnen immer dieselbe Schwester, die zunächst als weltliche Erzieherin und später als Schwester seit den 1970er Jahren in der Engelsgasse gearbeitet hatte. Als „Hexe“ war sie allen ein Begriff. Die Betroffene hat sich - trotz der über Monate im Raum stehenden Vorwürfe - nie dazu geäußert, lediglich einen Anwalt benannt, so der Leitende Oberstaatsanwalt. Theoretisch könnte sie ihren früheren Zögling wegen Verleumdung anzeigen. Auch das ist bisher nicht geschehen, wie Ströber sagt. Er teile indessen die Ansicht, dass der Mann mit seinem Aussageverhalten tatsächlichen Opfern von sexuellem Missbrauch einen Bärendienst erwiesen habe. Ströber würde dennoch nicht seine Hand ins Feuer legen für den Wahrheitsgehalt der einen oder der anderen Variante seiner Aussagen zum sexuellen Missbrauch. Eine eventuelle Anklageerhebung gegen die Ordensfrau, die sich auf diese Darlegungen stütze, sei indes nicht mehr möglich, weil sie das zentrale Beweismittel seien.
Den Anlass für die Recherchen zu sexuellem Missbrauch hatte der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann im Dezember 2020 selbst geliefert, als er den früheren Generalvikar Rudolf Motzenbäcker als Täter nannte. Öffentlich geworden waren Vorwürfe aus den 1960er und 1970er Jahren, in denen sich der hochrangige Geistliche an Kindern aus dem Kinderheim vergangen haben soll. Auch hier gestalteten sich die Recherchen als schwierig und widersprüchlich.
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