Heidelberg. Wie entsteht Krebs und wie können wir ihn heilen? Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg zählt in dieser Frage zu den wichtigsten Einrichtungen auf dem Globus. Und da, wo Spitzenforschung zu Hause ist, da zeigt sich auch ein Bundesgesundheitsminister gerne. Beim Besuch von Karl Lauterbach (SPD) am Dienstag ging es um die Chancen, die in der Verbindung der Krebsforschung mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) liegen. Deutschland könne in Zukunft ein weltweites Zentrum der Krebsforschung auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) werden, so der Minister.
Die einheitliche Datenbasis und die Fülle der Informationen der Krankenkassen gebe es in dieser Form in anderen europäischen Ländern und auch in den USA nicht – in Verbindung mit den Möglichkeiten der elektronischen Patientenakte sehe er großes internationales Potenzial, sagte Lauterbach. Es müsse richtig genutzt werden.
Baby-Boomer steigern Krebsrate
Dafür seien mit dem Digitalgesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz zuletzt die Voraussetzungen geschaffen worden. Deutschland nutze ihre Stärke in den Bereichen KI und Krebsforschung bisher zu wenig. Mittels „Confidential Computing“ – einem Konzept für die sichere Verwendung von Daten – soll es in Zukunft zudem möglich sein, hohe Datenschutz-Standards und KI-Entwicklung zusammen zu bringen.
Weltweit konstatiert man mit der alternden Generation der geburtenstarken Baby-Boomer eine Zunahme an Krebserkrankungen. Lauterbach sprach von einer „Krebswelle, die auf uns zukommt“. Auch in Asien und Afrika verzeichnet die Forschung eine schnelle Zunahme von Krebsfällen.
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Der DKFZ-Vorstandsvorsitzende Michael Baumann betonte, „Künstliche Intelligenz ist eine Revolution, ist ein Durchbruch, den wir systematisch nutzen können“. KI biete einerseits die Chance, die Diagnostik individuell auf einen Patienten anzupassen, andererseits lerne man durch die Möglichkeiten der Datenauswertung enorm viel darüber, wie Krebs entsteht. „Und daraus können wir Rückschlüsse ziehen, wie wir Krebs verhindern können“, sagte er.
DKFZ-Vorsitzender: "70 Prozent der Todesfälle könnten wir verhindern"
Gerade der Früherkennung und der Prävention misst Baumann eine weiter steigende Bedeutung bei der Krebsbekämpfung zu. „70 Prozent der Todesfälle könnten wir verhindern“, ist er sich sicher. Gleichzeitig blickt er darauf, was sich schon getan habe. 70 Prozent der Krebspatienten lebten heute nach Erkennen der Krankheit noch mehr als fünf Jahre. Das sei zu Beginn seiner Ausbildung noch anders gewesen, sagte Baumann am Rande des Besuchs.
Wo Deutschland Fahrt aufnehmen müsse, sei das Feld der Investitionen in Arbeitsfelder der Künstlichen Intelligenz, so der Minister. Da seien die USA gegenüber anderen Teilen der Welt meilenweit voraus. „Wir arbeiten daran“, kündigte Lauterbach an und meinte damit die Schaffung besserer Bedingungen für Start-up-Unternehmen in Deutschland. „Es ist jetzt eine entscheidende Phase, in der sich entscheidet, ob wir abgehängt werden oder Fahrt aufnehmen“, sagte der Rheinländer. Dann könne sich das Blatt im Vergleich mit den Vereinigten Staaten noch wenden – eben aufgrund der breiten Basis von Daten, die im deutschen Gesundheitssystem bereits gebündelt sind.
Karl Lauterbach
- Karl Lauterbach (60) ist seit Dezember 2021 Bundesgesundheitsminister in der Ampelkoalition. Der gebürtige Dürener ist promovierter Humanmediziner.
- Lauterbach war zunächst CDU-Mitglied, 2001 wechselte er zur SPD. Für die Sozialdemokraten sitzt er seit 2005 im Bundestag. Er sicherte sich dabei im Wahlkreis Leverkusen-Köln IV immer das Direktmandat. Dagegen scheiterte Lauterbachs Kandidatur für den SPD-Vorsitz 2019.
- Lauterbach ist geschieden und Vater von fünf Kindern. Ein Markenzeichen Lauterbachs war lange die Fliege. Wie er sagte, trug er sie früher nach dem Vorbild von US-Ärzten, denen Krawatten als unhygienisch gelten.
Thema waren beim Besuch Lauterbachs auch die jüngsten Erfolge, die das Unternehmen Biontech in Mainz verkündet hat. Dort könnte ein Durchbruch mit einem Krebs-Impfstoff gelungen sein, damit Tumore nicht mehr weiterwachsen und teilweise sogar schrumpfen. Darauf weisen erste Studienergebnisse hin. Allerdings ist die Anzahl der behandelten Menschen mit 44 doch noch relativ gering und die sogenannten Durchbrüche sind dann auch nicht als Medikamente am nächsten Tag in der Apotheke zu bekommen, sondern erfahrungsgemäß dauert es noch Jahre, bis die früh gefeierten Therapien tatsächlich in der Breite zu einer Anwendung kommen können.
Apropos Anwendung: In der Krebs-Prävention helfen heute schon Smartphone-Apps wie Sunface. Entwickelt vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen, zeigt sie auf, wie die Haut ohne Sonnenschutz in 25 Jahren aussehen könnte. Vor allem Jugendlichen und jungen Erwachsenen soll es das eigene Hautkrebsrisiko veranschaulichen. DKFZ-Gruppenleiter Titus Brinker wies auf weitere Möglichkeiten der Dermatoskopie im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI hin.
Schließlich widmete sich Lauterbach noch dem sensiblen Projekt „genomDE“. Ärztinnen können dank der Genommedizin Krankheiten inzwischen immer besser diagnostizieren und behandeln sowie individuell angepasste Präventionsmaßnahmen einleiten. Diese personalisierte Medizin bietet erhebliche Vorteile. Allerdings sind Genomdaten auch sensible persönliche Daten, über die auch Aussagen über nahe Angehörige getroffen werden können.
Präzisionsgeräte im EMBL
Den Blick nicht nur ins Innere von lebenden Zellen, sondern sogar in die feinsten Strukturen der Zellorgane richtete der Gesundheitsminister danach bei seinem Besuch des EMBL (European Molecular Biology Laboratory) hoch über Heidelberg.
Im Bildgebungszentrum des von 28 Mitgliedsstaaten getragenen Wissenschaftszentrums haben internationale Forscher die Möglichkeit, an hochauflösenden Mikroskopen zu arbeiten, die es sonst so nirgendwo auf der Welt gibt. Der Molekularbiologe Jan Ellenberg, Leiter der Abteilung Cell Biology and Biophysics am EMBL, erklärte Minister Lauterbach in einem Schnelldurchlauf die Methoden und Arbeitsabläufe. Zuvor hatte der Gast aus Berlin in vertraulicher Runde über das Thema „Chancen und Herausforderungen der Nutzung von KI in den Biowissenschaften“ diskutiert.
Dabei ging es längst nicht mehr nur um deutsche Gesundheitspolitik. Denn an der gut 1,5-stündigen Runde nahmen der britische Parlamentarische Unterstaatssekretär im Ministerium für Gesundheit und Soziales, Lord Nick Markham, teil sowie Vertreterinnen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des britischen Medical Research Council, dem Instituto Italiano di Technologia sowie des KI-Unternehmens Google DeepMind teil. „Die KI ist ein starkes Instrument in der Wissenschaft“, unterstreicht EMBL-Generaldirektorin Edith Heard, „sie wird Entdeckungen beschleunigen, die in der Anwendung hochrelevant sein werden, beispielsweise in der Präzisionsmedizin“.
Bioethische Themen und etwa die Frage, wie und mit welchen Datensätzen KI trainiert wird, sind Fragen, die aus ihrer Sicht im Austausch zwischen Forschung, Politik und Industrie diskutiert werden müssen. Auch nach einem langen Tag mit viel wissenschaftlichem Inhalt lauschte Lauterbach bis zum Schluss sichtlich interessiert und aufmerksam den faszinierenden Details, die die Wissenschaftler aus ihrer Arbeit lieferten, bevor der Tross der dunklen Limousinen mit dem Minister an Bord wieder aus Heidelberg herausrollte.
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