Streit

In Freisbach treten Bürgermeister und der ganze Gemeinderat zurück

Das ist einmalig: Im pfälzischen Freisbach, südlich von Speyer, wollen alle gewählten Vertreter ihr Amt aufgeben. Nun schaltet sich sogar das Innenministerium ein. Wie es nun weitergeht

Von 
Stephan Alfter
Lesedauer: 
Wenn es in Freisbach keinen Gemeinderat mehr gibt, entscheidet ein Beauftragter der Kommunalaufsicht. Dieser darf nur Pflichtausgaben tätigen. © Ortsgemeinde

Freisbach. 24 Jahre ist Peter Gauweiler schon ehrenamtlicher Bürgermeister in seinem Wohnort Freisbach. Jetzt hat er die Schnauze voll und bekommt für sein Vorgehen sogar Respektbekundungen von Landrat Fritz Brechtel (CDU). Die Gemeinde, die Luftlinie 13 Kilometer südwestlich von Speyer im Landkreis Germersheim liegt, wird nach Lage der Dinge ab Dienstag, 8. August, auch den 16-köpfigen Ortsgemeinderat einbüßen - ein nach Ansicht aller Befragten bisher einmaliger Vorgang in Rheinland-Pfalz.

24 Jahre war Peter Gauweiler Bürgermeister - jetzt hat er die Schnauze voll. © Peter Gauweiler

Es ist die schwierige Haushaltslage, die zur jetzigen Situation geführt hat. Der Ort mit 1200 Einwohnern kann keinen ausgeglichenen Etat vorlegen, weil die Abgaben (Umlagen) an den Kreis Germersheim und die Verbandsgemeinde Lingenfeld (zu ihr gehört Freisbach) derart hoch sind, dass sie nahezu alle Einnahmen auffressen.

Von den rund 1,2 Millionen Euro Einnahmen, die sich aus Grundsteuern und Gewerbesteuern zusammensetzen, ist eine Million Euro als Umlage an die höheren Verwaltungsstrukturen zu entrichten. Ein Gestaltungsspielraum bleibt demnach abzüglich der laufenden Kosten - beispielsweise für den Kita-Betrieb - nicht mehr.

Nur die Spitze des Eisbergs?

Weil der Haushalt defizitär ist, verlangt die Kommunalaufsicht (ähnlich wie zuletzt in Ludwigshafen gesehen), dass der Gemeinderat und der Bürgermeister Steuererhöhungen beschließen. Der höchste verhängbare Steuersatz würde im Endeffekt zwar zu Mehreinnahmen in Höhe von rund 300 000 Euro führen, aber immer noch nicht zu einem ausgeglichenen Haushalt.

Der Gemeinderat hatte zuvor eine leichte Erhöhung der Grundsteuern erwogen, was von der Kommunalaufsicht aber abgelehnt wurde. Im Raum stand wohl sogar die Forderung, die Sport- und Kulturhalle zu schließen. Diese sei mit Landesmitteln saniert worden. Das komme nicht in Frage, so die Haltung Gauweilers, der für seine Freisbacher spricht.

Bürgermeister und Gemeinderat: Nach ihren Rücktritten werden Nachrücker angeschrieben. Notfalls wären in drei Monaten Neuwahlen fällig. © GEmeinde

Nicht zuletzt aus diesem Grund hat das Ortsparlament den schon länger im Raum stehenden Beschluss gefasst, in der kommenden Woche geschlossen zurückzutreten. Die Steuern zu erhöhen, ohne dass es einen Wert für die Menschen im Dorf gibt - das ist mit Gauweiler und den Ortsvertretern, die allesamt parteiunabhängig sind, nicht zu machen.

Zunächst unerwartete Unterstützung bekommen Gauweiler und die Freisbacher Gemeinderäte von höchster Stelle im Kreis. Landrat Fritz Brechtel sagte auf Anfrage dieser Redaktion: „Bürgermeister und Gemeinderat von Freisbach (...) haben meinen Respekt und mein volles Verständnis für diesen drastischen Schritt (...).“ Nach seinem Wissen sei der Fall in Rheinland-Pfalz einmalig. Jedoch befänden sich viele Kommunen im Bundesland in einer ähnlichen Situation. Womöglich sei Freisbach nur die Spitze des Eisbergs.

Kita-Container ohne Möbel

Frank Leibeck, anders als CDU-Landrat Brechtel ein SPD-Mann auf dem Bürgermeistersessel der Verbandsgemeinde Lingenfeld, sieht das ähnlich. „Die Gründe für die Defizite sind nicht immer nur bei den Kommunen zu suchen“, sagt er. Ähnlich hatte auch schon Ludwigshafens Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck argumentiert.

Leibeck findet: Alleine mit strengeren Vorgaben zur Haushaltsführung und zu den vorgegebenen Erhöhungen der Einnahmemöglichkeiten, ob durch Erhöhung von kommunalen Steuern oder Abgaben, kann ein Ausgleich nicht erreicht werden. „Einer Kommune die Haushaltsgenehmigung zu verwehren und damit jedmöglichen Handlungsspielraum zu nehmen, ist aus meiner Sicht der falsche Weg“, so Leibeck. Hier brauche es pragmatischere Ansätze, „sonst verlieren wir noch die letzten Ehrenamtlichen, die sich für eine gute und positive Gemeindegestaltung einsetzen“.

Mehr zum Thema

Kommunales

Mannheimer OB-Wahl: RP weist Einsprüche zurück

Veröffentlicht
Von
Sebastian Koch
Mehr erfahren
Partnerschaft

Warum in Ladenburg bald Savannengräser wachsen

Veröffentlicht
Von
Hans-Jürgen Emmerich
Mehr erfahren
Kindergarten "Rappelkiste"

Warum kürzere Betreuungszeiten in Ilvesheim auch den Eltern helfen könnten

Veröffentlicht
Von
Torsten Gertkemper-Besse
Mehr erfahren

Das sei dann das Schlimmste, was einer Gesellschaft passieren könne, so Leibeck auf Anfrage. Er selbst sehe keine Möglichkeiten, den Schritt zu verhindern, der sich abgezeichnet habe. Auch die Verbandsgemeinde sei finanziell in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt. Derzeit muss jede Ortsgemeinde von ihren Steuereinnahmen 79,5 Prozent an Kreis und Verbandsgemeinde abführen.

Wie soll Gauweiler seiner Pflichtaufgabe als Bürgermeister nachkommen, nun noch eine neue Kita zu bauen, nachdem die existierende zu klein geworden ist? Er stellte einen Antrag auf einen Container als Zwischenlösung. Diesen bekam er genehmigt. Bisher darf er ihn aber nicht möblieren. Er müsse erst begründen, warum er Möbel brauche, hieß es seitens der Genehmigungsbehörde. Dieser Vorgang lässt Gauweiler hörbar die Hutschnur platzen. „Wenn ich nichts mehr gestalten kann, dann kann ich auch zurücktreten“, sagt er.

Innenministerium von Rheinland-Pfalz schaltet sich ein 

Landrat Brechtel warnt davor, nun die Kommunalaufsicht zum Buhmann zu machen. Maßgeblich seien die Zuweisungen an die Gemeinden. „Das Land gibt den Kommunen nicht genügend Geld für die Erfüllung ihrer Aufgaben“, so der Landrat. Dies sehe man am Beispiel Freisbach deutlich. Es gebe massive Kostensteigerungen, etwa in den Bereichen Asyl, Kitas und ÖPNV, und zudem gestiegene Personalkosten durch den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst. Die Kostensteigerungen seien dabei zu einem erheblichen Teil auf vom Land gewünschte oder sogar gesetzlich fixierte, höhere Standards zurückzuführen.

Das Mainzer Innenministerium bedauerte am Abend die Rücktrittsankündigung. Zumal man die Gemeinde demnächst mit einer Million Euro entlasten wolle. Die Forderung eines ausgeglichenen Haushalts sei in der Gemeindeordnung aber nicht neu. Über die gestiegenen Kosten in den genannten Bereichen sagte die Sprecherin des Innenministeriums nichts.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen