Corona-Proteste

Freie Pfälzer: Verfassungsschutz rechnet mit abstrakter Gefahr

Von 
Stephan Alfter
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Wie überall in der Region gehen auch in Bensheim Impfgegner und Corona-Protestler auf die Straße. © Thomas Neu

Rhein-Neckar. Die Botschaft heißt nach außen ganz harmlos „Frieden und Freiheit“, aber die Kommunikation innerhalb von Querdenker-Netzwerken wird rauer. Welche Bedeutung hat insofern der Internet-Messenger-Dienst Telegram für die Corona-Proteste, die es auch in der Metropolregion an Montagabenden in nicht geringer Anzahl gibt? Diese Frage beschäftigt auch den Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz. Nicht erst seit die Telegram-Gruppierung „Freie Pfälzer“ auf die Spielfläche getreten ist, versuchen im Mainzer Innenministerium Ermittler herauszufinden, wer hinter den Aufrufen steckt.

Dass es nicht unbedingt Menschen sind, die sich für eine Ausweitung der Maskenpflicht und mehr Impfungen einsetzen, ist kaum verborgen geblieben. Rund 10 000 Menschen erreicht der Chat-Kanal der Pfälzer, indem nahezu pausenlos Bilder und Videos von marschierenden Leuten zwischen Kaiserslautern und Heidelberg verbreitet werden. Diese Bilder von Teilnehmern, die manchmal Kerzen tragen, sollen nichts anderes vermitteln als die Nachricht, dass die Bewegung von Tag zu Tag größer wird.

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Von „friedlichen, gesundheitsfördernden Spaziergängen“ ist dort dauernd die Rede. Dass es sich dabei um Ironie handelt, daraus machen die Initiatoren nicht mal selbst keinen Hehl. Zwinkernde Smileys setzen sie hinter solche Nachrichten. Doch wer sind die Leute, die die Kommunikationsfäden in der Hand halten? Der zugegebenermaßen naive investigative Versuch, darauf als Mitglied der Telegram-Gruppe über die Kommentarfunktion eine Antwort von den „Freien Pfälzern“ zu bekommen, scheitert nach wenigen Minuten kläglich. Man werde anonym bleiben, heißt es von irgendwoher. Und dann ist die eigene Kommentarfunktion plötzlich blockiert.

Moderatoren sind anonym

Der Verfassungsschutz hat da womöglich andere Instrumente. Auf die schriftliche Anfrage dieser Redaktion, was in Mainz über die „Freien Pfälzer“, ihre Hintermänner, über den Aufenthaltsort oder die Größe der dahinter stehenden Gruppierung und ihre Zusammensetzung bekannt ist, antwortet eine Pressesprecherin des Innenministeriums: „Der Verfassungsschutz verfolgt die weitere Entwicklung der „Freie(n) Pfälzer sehr aufmerksam. Eine Identifizierung der Urheber und Betreiber wird insbesondere dadurch erschwert, dass Telegram sehr hohen Wert auf Anonymität legt.“

„Breaking News“ sind das nicht. Tatsächlich ist kaum bekannt, wo Telegram selbst eigentlich zu Hause ist. Die Gründer stammen aus Russland, sehen sich selbst aber als digitale Nomaden. Inzwischen geben die Betreiber an, dass der Firmensitz in Dubai sei. Ein Impressum sucht man aber vergebens.

Anführer nicht zu sehen

Vergebens sucht man auch bei den Corona-Protesten in der Region nach Verantwortlichen oder Anführern. Man trifft sich an Orten, die über das Netzwerk bekannt werden - und dann läuft man los. Zum Beispiel am Wasserturm in Mannheim. In Bad Dürkheim wurde zuletzt gesungen. In Speyer liefen Menschen über die Hauptstraße zwischen Dom und Altpörtel - wieder mit Kerzen in der Hand, wie an St. Martin. Bekannte Gesichter aus dem AfD-Kreisverband und die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst waren mittendrin. Starke Zuwächse an Nutzern verzeichnete Telegram in Deutschland zum Beispiel, als der Sinsheimer Mediziner Bodo Schiffmann noch zu Beginn der Pandemie Videos mit Fantasie-Fakten in Reihe produzierte. Er verwiese auf Telegram-Kanäle.

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Der Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz rechnet auf Anfrage in den kommenden Wochen mit einer steigenden Anzahl von Teilnehmern an Corona-Protesten - und mit einer sich formierenden Gegenbewegung. Somit steige die „abstrakte Gefahr wechselseitiger Straftaten“. Man habe bei den Ermittlungen eine „zunehmende Radikalisierung, vor allem im virtuellen Raum, festgestellt.

Bei „Freie Pfälzer“ handele es sich um eine noch junges Internetphänomen. Das Label sei wohl auf die rechtsextremistische Gruppierung „Freie Sachsen“ zurückzuführen. Zu seiner operativen Arbeit und dezidierten Erkenntnissen will der Verfassungsschutz sich bedeckt halten und lediglich im parlamentarischen Kontrollausschuss berichten. Währenddessen denkt die Telegram-Gruppe „Freie Pfälzer“ über einen zweiten Tag neben dem Montag nach, an dem sie zu „Spaziergängen“ aufruft. Anonym.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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