Mannheim. Nach gut zwei Wochen auf der Flucht ist am Freitag ein 25-jähriger Häftling der Mannheimer JVA festgenommen worden. Der Mann habe nach „umfangreichen Fahndungsmaßnahmen“ in einem Weinheimer Hotel ausfindig gemacht werden können, teilten die Behörden mit. Der 25-Jährige, der unter anderem wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls verurteilt worden war, habe sich widerstandslos in das Gefängnis zurückbringen lassen. Weitere Angaben zu den Umständen der Wiederergreifung des Mannes, dessen spektakuläre Flucht am Ludwigshafener Klinikum für Aufsehen gesorgt hatte, machten die Behörden nicht. Der verurteilte Mörder Aleksandr Perepelenko aus der JVA Bruchsal befindet sich hingegen auch zwei Monate nach seiner Flucht in Germersheim noch auf freiem Fuß.
Die Gemengelage mit zwei flüchtigen Straftätern auf einmal hatte zuletzt politisch Wellen geschlagen und die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) unter Zugzwang gesetzt. Verschärft wurde die Situation noch durch einen dritten Fluchtversuch eines Häftlings in der Region. Wie berichtet, versuchte am Donnerstag ein Insasse der JVA Frankenthal bei einem Gerichtstermin in Neustadt zu entkommen. Seine Flucht endete jedoch im Bach. Dennoch scheint das Modell Flucht derzeit Schule zu machen. Wie reagiert die Politik?
Der Fluchtversuch vom Donnerstag versetzt im rheinland-pfälzischen Justizministerium niemanden in Hektik. „Der Vorfall gibt – nicht zuletzt wegen der erfolgreichen Abwendung des Fluchtversuchs – keinen unmittelbaren Anlass, kurzfristig zusätzliche Sicherungsmaßnahmen landesweit anzuordnen“, antwortet eine Sprecherin auf eine Anfrage.
Information an alle JVAs ergangen
Für den Häftling, der zu flüchten versuchte, seien jedoch die Sicherungsmaßnahmen „bereits unmittelbar nach dessen erfolglosem Fluchtversuch und der Rückkehr in die JVA Frankenthal deutlich verschärft“ worden, so die Sprecherin. Im Hinblick auf etwaige Trittbrettfahrer sei auch eine Information an die anderen Justizvollzugsanstalten des Landes ergangen. Daneben habe es erste Überlegungen gegeben, „ob und gegebenenfalls welche weiteren Maßnahmen zusätzlich unterstützend wirken könnten“, sagt die Sprecherin mit Blick auf Aus- und Vorführungen von Gefangenen.
Grundsätzlich sei die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen bei solchen Terminen jedoch immer eine individuelle Einschätzung. Es müsse eine Abwägung zwischen Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit getroffen werden. „Wie der vorliegende Fall eindrücklich zeigt, birgt das Verlassen des baulich, technisch und organisatorisch gesicherten Bereichs einer Justizvollzugseinrichtung aber trotz aller Sicherungsmaßnahmen immer ein gewisses Restrisiko. Ihm gilt es, durch die präventiv angeordneten Maßnahmen möglichst entgegenzuwirken“, so die Ministeriumssprecherin.
In Baden-Württemberg gehen die Konsequenzen nach den beiden geglückten Fluchten der Häftlinge aus den Anstalten in Bruchsal und Mannheim schon weiter. Neben der Verfügung, die Kommunikation über anstehende externe Termine von Häftlingen bei Ärzten, Behörden oder Gericht möglichst auf ein Minimum zu reduzieren, finden derzeit nach Angaben einer Sprecherin weitere Überlegungen statt. „Es laufen derzeit Prüfungen, ob den Anstalten noch konkretere Vorgaben gemacht werden können, um das Risiko einer Entweichung weiter zu verringern.“
Konkret gehe es dabei etwa um die Sicherheitsvorschrift, die die Lösung eines an einen JVA-Bediensteten gefesselten Gefangenen beim Einstieg in ein Transportfahrzeug betrifft. „In Zukunft soll der Zeitpunkt der Fessellösung vor Einsteigen in das Fahrzeug spezifiziert und zeitlich nach hinten verschoben werden“, so die Sprecherin.
Hintergrund ist die Flucht des 25-Jährigen aus Mannheim, der nun wieder gefasst wurde. Denn er war nach einer Behandlung im Klinikum Ludwigshafen an einen Bediensteten gefesselt zum Fahrzeug gebracht worden. Für den Einstieg wurden die Fesseln gelöst, was der Mann ausnutzte und auf den Roller eines bewaffneten Komplizen sprang, der sich unauffällig genähert hatte.
Komplize noch nicht gefasst
Während der Häftling nun festgenommen werden konnte, ist der Komplize nach Angaben der Frankenthaler Staatsanwaltschaft noch nicht ermittelt. Die Behörde prüft weiter Spuren an einem schwarzen Roller, der am Ludwigshafener Ebertpark gefunden wurde. „Wir gehen davon aus, dass es das Fluchtfahrzeug ist“, so ein Sprecher. Auf Gefangenenbefreiung steht eine Haftstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.
Im Zusammenhang mit der Flucht wird indes auch einem Regelverstoß der JVA Mannheim nachgegangen, wie die Justizministerin bereits im Landtag gesagt hatte. Denn statt eines zweiten JVA-Beamten war bei der Vorführung am Klinikum ein Auszubildender dabei – „entgegen ausdrücklicher Vorgaben“, wie die Sprecherin nochmals betont.
Die Sprecherin des baden-württembergischen Justizministeriums legt auch Zahlen zu entkommenen Häftlingen seit 2006 vor. Insgesamt gelang in diesem Zeitraum 27 Strafgefangenen im Land die Flucht, davon mit 14 den meisten bei bewachten Arzt- und Krankenhausbehandlungen. Insgesamt, das zeigt die Auflistung der Zahlen, liegt das Jahr 2023 mit den zwei Fluchten etwa im Schnitt. Dass sie zeitlich und räumlich so eng beieinander liegen, verstärkt den Eindruck jedoch deutlich.
Um Fluchtversuche bei Arzt- und Krankenhausbesuchen zu minimieren, wird im baden-württembergischen Vollzug die Telemedizin ausgebaut, wie die Sprecherin erklärt. „Allein in diesem Jahr hatten wir 7000 telemedizinische Behandlungen.“ Dabei kann ein Arzt auf die Krankenstation der JVA zugeschaltet werden, wobei der Krankenpflegedienst als verlängerter Arm des Mediziners fungieren kann. Arztvorführung damit verbundene Sicherheitsrisiken sollen damit so weit möglich entbehrlich gemacht werden.
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