Rhein-Neckar. Unkontrollierbare Zustände wie in der Silvernacht in Berlin. Dazu die Angst vor Anschlägen von extremistischer Seite und krassen Alkoholexzessen. Wer nach Gründen für eine schärfere Kontrolle von Großveranstaltungen sucht, der wird sie finden. Auf der Strecke könnte ein lang gehegtes Brauchtum bleiben. Für Jürgen Lesmeister (67) wäre das etwas Furchtbares, wie er im Gespräch ausdrückt. Er übt Kritik an der Politik in Rheinland-Pfalz.
Herr Lesmeister, opfert die Politik gerade einen Teil der langen Fasnachtskultur in der Rhein- Neckar-Region?
Jürgen Lesmeister: Ja, davon kann man ausgehen. Es geht ja um die Straßenfasnacht, die im Südwesten Deutschlands einen sehr großen Teil unserer Brauchtums einnimmt. Das betrifft sehr viele Vereine. Ich glaube, dass sich die Politik das gar nicht so richtig vorstellen konnte, welche Auswirkungen das geänderte Polizeiordnungsbehördengesetz auf uns hat.
Christian Baldauf, Fraktionsvorsitzender der CDU im rheinland-pfälzischen Landtag, hat der Regierung in Mainz kürzlich Regulierungswahn vorgeworfen. Haben Sie ihn angerufen und ihm zu diesem Statement gratuliert?
Lesmeister: Nein, ich habe bisher mit keinem Politiker darüber gesprochen. Es kommt auch jetzt gerade erst geballt bei uns an.
Präsident Lesmeister
- Die Vereinigung Badisch-Pfälzischer Karnevalvereine wurde 1937 gegründet.
- Sie ist die zweitgrößte Vereinigung dieser Art in Deutschland und sitzt in Speyer.
- Unter dem Dach gibt es 370 Vereine und 80 000 Mitglieder.
Was bedeutet das, „jetzt gerade“? Die Fasnacht steht kurz bevor.
Lesmeister: Vielen Vereinen ist es jetzt erst bewusst geworden, als man Umzüge bei den Ordnungsbehörden angemeldet hat.
Aber hätte man da nicht früher drauf kommen können, angesichts der Diskussionen, die es schon im Sommer gab - beispielsweise bei der Deidesheimer Kerwe oder beim Gimmeldinger Mandelblütenfest?
Lesmeister: Ja, in Anbetracht der Tatsache, dass es das Gesetz seit 2021 schon gibt, hätte man darauf kommen können. Aber dadurch, dass Corona-bedingt bei Karnevalsvereinen wenig stattgefunden hat, ist den Vereinen erst jetzt klar geworden, was da auf sie zukommt.
Verstehen Sie eigentlich die erhöhten Sicherheitsanforderungen? Hat Ihnen als Vertreter der Fasnacht in der Region das mal jemand erklärt?
Lesmeister: Wir haben schon einen Einblick bekommen in dieses Sicherheitskonzept, weil in meinem Ort (Ramstein-Miesenbach bei Kaiserslautern, Anm. d. Red.) ja ein Umzug stattfindet. Wir wollen ja die Sicherheit für die Besucherinnen und Besucher. Wir haben immer gut zusammengearbeitet mit den Behörden und haben schon vor der Verschärfung des Gesetzes versucht, an alles zu denken, was die Sicherheit betrifft.
Würden Sie es nicht als Pflicht der Politik begreifen, auch auf Sie zuzugehen? Sie vertreten doch Hunderte Vereine und Zehntausende Fasnachter?
Lesmeister: Ja, eigentlich wäre es schon deren Pflicht.
Das Polizeiordnungsbehördengesetz ist ja zunächst ein diffuser und bürokratischer Begriff. Müssen wir darunter automatisch verstehen, dass man das unterbinden will, was in Berlin am Breitscheidplatz und im südfranzösischen Nizza in den vergangenen Jahren passiert ist - nämlich Terror?
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Lesmeister: Ja, damit hat es für uns eindeutig zu tun. Und das niemand möchte, dass sich das irgendwo in irgendeiner Form wiederholt.
Nun unterscheiden sich die Herangehensweise in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg. Die Unterschiedlichkeit von Maßnahmen war auch schon in der Corona-Zeit ein Thema in der Bevölkerung. Nervt Sie das?
Lesmeister: Wir sind ja auf beiden Seiten vertreten. Das nervt uns auf jeden Fall. Aber auch schon davor. Jede Kommune entscheidet anders. So konnten wir nie eine einheitliche Handlungsempfehlung herausgeben.
Nun geht es ja nicht nur um eine Gesetzesnovelle, sondern auch um Geld und vor allem Personen, die Ihnen fehlen, um einen Umzug zu organisieren. Welche Beispiele kennen Sie da?
Lesmeister: Nach der Corona-Zeit fehlt uns sichtbar Personal, das beispielsweise zur Sicherung neben einem Umzugswagen herläuft. Sechs Personen links und rechts sind da teilweise gefordert.
Wo sind die Leute? Sind die gestorben oder zu alt?
Lesmeister: Sie haben sich vielleicht auch anders orientiert in der Corona-Zeit. Jugendliche, die wir mit viel Mühe an das Brauchtum herangeführt haben, sagen sich, dass sie lieber Party machen gehen - ohne Auflagen und ohne irgendwas.
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Wir haben jetzt doch noch nicht über die Kosten gesprochen.
Lesmeister: Wir bräuchten bei meinem kleinen Verein in Ramstein-Miesenbach nur zur Anschaffung von mit Wasser gefüllten Containern zwischen 16 000 und 20 000 Euro. Diese Container dienen der Absperrung.
Haben Sie das Geld?
Lesmeister: Nein, das haben wir nicht. Die Container werden von der Gemeinde übernommen. Die weiteren Kosten in Höhe von 15 000 bis 20 000 Euro bleiben bei uns. Wir verkaufen zwar Umzugsplaketten für zwei Euro an vielleicht 6000 Besucher, aber das reicht nicht. Vor einigen Jahren hatten wir für den Einsatz des Roten Kreuzes, das bei Großveranstaltungen präsent sein muss, noch Kosten von 800 Euro. Der jetzige Kostenvoranschlag weist 3700 Euro aus. Wie sollen kleine Vereine all dies stemmen?
Ist das der Anfang vom Ende der Fasnacht?
Lessmeister: Ich möchte es natürlich nicht so drastisch sagen, aber was die Straßenfasnacht betrifft, muss man große Bedenken haben. Wenn das mit den Bestimmungen und Vorgaben so bleibt, dann kann es mit der Straßenfasnacht zu Ende sein. Das wäre für uns ganz schlimm. Die ersten Umzüge gab es hier im 19. Jahrhundert.
Wir reden ja inzwischen oft über den fehlenden Kitt in der Gesellschaft - über den Klebstoff, der die unterschiedlichen Gruppen verbindet. Ist nicht gerade die Straßenfasnacht ein solcher Klebstoff?
Lesmeister: Ja, Fasnacht ist etwas, das die Gemeinschaft über Altersgrenzen hinweg fördert. Die Gemeinschaft steht im Mittelpunkt dieses Brauchtums.
Wenn die Politik nicht zu Ihnen kommt, gehen Sie dann zur Politik?
Lesmeister: Ich denke, wir müssen Kontakt aufnehmen. Das erwarten auch die Vereine von uns. Es gibt für alles Fördertöpfe - warum nicht für uns?
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Straßenfasnacht ist Klebstoff für die Gesellschaft