Ludwigshafen. Es hätte eigentlich keines weiteren Beweises aus Ludwigshafen bedurft, dass es dringenden Handlungsbedarf im deutschen Bildungssystem gibt. Zu schlecht schneidet Deutschland im internationalen Vergleich ab: Bei der jüngsten PISA-Studie 2022 landete Deutschland nur im Mittelfeld. Die Kompetenz der 15-Jährigen beim Lesen, in Mathematik und Naturwissenschaften fiel auf die niedrigsten Werte, die je gemessen wurden. Überraschend ist das angesichts der besorgniserregenden Zustände an der Karolina Burger Realschule Plus in Ludwigshafen nicht. Womöglich steht die dortige Bildungseinrichtung sogar exemplarisch für den Umgang der Schulaufsichtsbehörden mit der sich zuspitzenden Problematik respektlosen, zunehmend aggressiven und sogar gewalttätigen Verhaltens auf deutschen Schulhöfen. Während die Polizei dort trotz nahezu wöchentlicher Strafanzeigen keine besondere Auffälligkeit feststellen möchte, greift das 60-köpfige Lehrerkollegium nun vielleicht zum letzten Strohhalm und überlegt unseren Informationen zufolge, sich kollektiv krankzumelden. Und die Schulaufsicht? Duckt sich vorerst weg.
Weiterführende Schulen sind zunächst Lernorte und keine Erziehungsanstalten“
Seit Monaten sind die Ängste des Lehrkörpers um Leib und Leben der Behörde bekannt. Teilweise sind Lehrkräfte schon länger arbeitsunfähig. Ein Brief dazu ging im Juni raus, nachdem im Mai eine Lehrerin vor dem Lehrerzimmer mit einem Messer bedroht worden war. Von einer Schule, die Lernort sein soll, kann nach der Lektüre des Schreibens nicht mehr die Rede sein. Vielmehr zeigt sich hier beispielhaft und ungeschminkt das gesamtgesellschaftliche Problem scheiternder Integration und Wertevermittlung ab dem frühen Kindesalter. Ein unrühmliche Rolle spielen dabei sowohl die Eltern, die Bildungspolitiker und - im konkreten Fall - ein Schulleiter, der an keinem Tag seit Dienstantritt im vergangenen Jahr Herr der Lage war und sich auch beim Amokalarm vergangene Woche vor seiner Verantwortung drückte, als er für Kollegen nicht erreichbar war.
Heben wir die Vorgänge auf eine höhere Ebene: Wenn Deutschland in den kommenden Jahren seine wirtschaftlichen und sozialen Probleme lösen möchte, darf es keine neuen Rütli-Schulen geben. Weiterführende Schulen sind zunächst Lernorte und keine Erziehungsanstalten. Dazu bedarf es in Zeiten erhöhter Zuwanderung mindestens einer zweiten Lehrkraft in jedem Klassensaal. Wer dieses Geld heute nicht investiert, wird später ein vielfaches davon ins Sozialsystem stecken müssen. Um das zu wissen, muss man keine Schulbank gedrückt haben.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Schule vor dem Kollaps: Warum jetzt gehandelt werden muss
Die Probleme an einer Ludwigshafener Schule zeigen: Ohne mehr Personal drohen in Zeiten erhöhter Zuwanderung langfristige Folgen für unser Bildungssystem, meint MM-Redakteur Stephan Alfter.