Mannheim. Ihren 90. Geburtstag hat sie noch munter im April gefeiert – Gisela Bilfinger-Spieß. Jetzt ist die letzte Nachfahrin der Bauunternehmerfamilie Bilfinger in kleinem Kreis beigesetzt worden. Sie sei friedlich eingeschlafen, so die Familie.
„Bilfinger-Zimmer“ nannte die gebürtige Mannheimerin, die nach ihrer Heirat 1958 vom Lindenhof auf die andere Rheinseite gezogen war, ihr häusliches „Museum“ mit Fotos, Dokumenten, historischen Aktien. Als eine Journalistin mit Gisela Bilfinger-Spieß 2012 in dem geschichtsträchtigen Raum ein Gespräch führte, kündete an der Wand eine Fotomontage von der gewaltigen, aber gleichwohl grazilen Brücke über den Kleinen Belt zwischen Jütland und der Insel Fünen. „Mit diesem Projekt hat unsere Firma Weltruhm erlangt“, kommentierte die damalige Mittsiebzigerin. Auch andere Brückenansichten zierten das „Bilfinger-Zimmer“. Schließlich galten Flussbauwerke gerade in den Anfangszeiten des Unternehmens als dessen Königsdisziplin.
Besonders stolz war die Wahl-Ludwigshafenerin, die gern betonte, im Herzen Mannheimerin geblieben zu sein, auf ein Tagebuch der Großmutter. In deren handschriftlichen Einträgen berichtete diese über Umzüge der Familie von Großbaustelle zu Großbaustelle. Die Mutter des Vaters schwärmte außerdem von dem „Grün’schen Palais“ in der Mollstraße und meinte damit das Anwesen des damaligen Geschäftspartners August Grün – in jener Ära, als das in Mannheim residierende Unternehmen noch „Grün & Bilfinger AG“ hieß.
Ausbildung am ersten Institut der Fraunhofer-Gesellschaft
Dieser Prachtbau sollte Geschichte schreiben, auch für die junge Gisela Bilfinger. In der von Kriegsbomben getroffenen, aber wieder aufgebauten Doppelvilla – geplant von dem Architekten Hermann Billing, der auch die Kunsthalle am Wasserturm im Jugendstil entworfen hat – sollte die Fraunhofer-Gesellschaft 1954 ihr deutschlandweit erstes Institut eröffnen: für „Angewandte Mikroskopie, Photographie und Kinematographie“. Dass dort die Tochter von Wilhelm Bilfinger, Vorstandsvorsitzender des Bauunternehmens, eine Ausbildung absolvierte, kam nicht von ungefähr.
Der Papa hatte den wissenschaftlichen Leiter, einen Ingenieur-Professor, überredet, eine Lehrstelle zu schaffen. „Dafür gab es damals überhaupt kein Vorbild. Und deshalb hatte ich auch keinen Berufsschulunterricht, führte aber ein Lehrheft“, blickte die erste Fraunhofer-Auszubildende anlässlich des 75. Geburtstages der inzwischen weltweit aktiven Organisation für angewandte Forschung und zum gleichzeitigen 70-Jährigen der eigenen Institute mit Start in Mannheim zurück. Allerdings sollte die Bilfinger-Nachfahrin nicht mehr dabei sein, als das Pionierinstitut in den 1960ern nach Karlsruhe umsiedelte und in einem dortigen Ableger der Gesellschaft aufging. Sie hatte nach ihrer Heirat (wie seinerzeit üblich) gekündigt.
Anders als in dem nostalgischen „Bilfinger-Zimmer“ ist der Konzern nicht mehr am Bau von Brücken beteiligt – wie bei der anno 1950 fertig gestellten Mannheimer Kurpfalzbrücke, die den Neckar überspannt. Inzwischen hat sich Bilfinger zum international tätigen Industriedienstleiter gewandelt.
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