Das Wichtigste in Kürze
- Die Karolina-Burger-Realschule Plus in Mundenheim erlebt Gewalt, Bedrohungen und Misstrauen.
- Lehrkräfte fordern mehr Sicherheit und Unterstützung von der Schulbehörde.
- Stadt und Aufsichtsbehörde reagieren bisher nicht auf drängende Probleme.
Ludwigshafen. Es ist ein bisher stummer Schrei nach Hilfe, den das Kollegium der Ludwigshafener Karolina-Burger-Realschule Plus im Juni 2025 an die Aufsichtsbehörde sendet. Angst vor Gewalt, Bedrohungen, Beschimpfungen und vor explodierenden Böllern sowie der ständige Einsatz von Polizei und Feuerwehr nehmen zu diesem Zeitpunkt eine nicht geringe Zeit des Unterrichts im Stadtteil Mundenheim ein.
Nur wenige Tage sind im Juni vergangen, seit eine Lehrerin am 28. Mai von einer 16-jährigen Schülerin mit einem Messer bedroht worden ist. Was in dem zehnseitigen Papier steht, das die Lehrer und Lehrerinnen beziehunsgweise der Personalrat im Angesicht dieses Vorfalls verfassen, soll in der rheinland-pfälzischen Schulaufsicht eigentlich alle Alarmglocken zum Schrillen bringen. Zumindest ist das seinerzeit die Hoffnung eines großen Teils des etwa 60 Lehrkräfte starken Kollegiums. Immerhin sind in der Zusammenfassung des Schulalltags Zustände beschrieben, deren Tragweite dazu geeignet sein könnten, die ohnehin brüchige DNA des deutschen Bildungssystems im Jahr 2025 in den Grundfesten zu erschüttern. Ein zweites Mal innerhalb von zwei Jahren könnte nach der Gräfenau-Grundschule eine Bildungsanstalt aus Ludwigshafen mit über 90-prozentigem Migrantenanteil exemplarisch für das Scheitern stehen. Wer das Schreiben liest, das dieser Redaktion exklusiv vorliegt, wird zudem unvermeidlich an das Frühjahr 2006 erinnert, als die im Berliner Stadtteil Neukölln gelegene Rütli-Schule bundesweit traurige Bekanntheit erlangt. Umso erwähnenswerter ist, dass der Brief der Lehrerinnen und Lehrer an die Landesschulbehörde bisher keinerlei Folgen nach sich zieht. Zumindest keine sichtbaren. Das berichten mehrere Lehrkräfte, die an dieser Stelle anonym bleiben, dieser Redaktion.
Schüler droht im Unterricht: „Ich schieße Euch alle ab“
Von Gewalt, von Angst und riesigen Sprachbarrieren ist im Jahr 2006 die Rede. Vieles von damals wirkt fast harmlos, wenn man sich über das vor fünf Monaten verfasste Dokument des Personalrats im Ludwigshafener Stadtteil Mundenheim beugt, aus dem an dieser Stelle nur einige Aspekte wiedergegeben seien. „Frau XY, haben Sie eigentlich keine Angst, wenn Sie mit dem Rücken zur Klasse stehen, dass Sie jemand von hinten absticht?“ Derselbe Schüler: „Ich schieße Euch alle ab.“ Ein anderer Schüler: „Wenn Sie mir nicht die bessere Note geben, steche ich ihre Autoreifen auf.“ Der über den Vorgang informierte Vater erscheint in der Schule und äußert: „Das ist eh ein scheiß Auto. Ist nicht schlimm, wenn da was passiert.“
Der Brief des Personalrats greift nur Vorgänge auf, die sich im vergangenen Halbjahr abgespielt haben, doch die Reihe an Spiegelstrichen, unter denen Vorfälle aufgezählt sind, erscheint endlos. Einmal wird eine Lehrkraft von einem Schüler mit einem Buch beworfen und dabei verletzt. Die Lehrkraft erstattet Anzeige. „In diese Klassen gehe ich immer mit einem mulmigen Gefühl rein“, gestehen Lehrerinnen in dem Schreiben an die Aufsichtsbehörde. Vor allem weibliche Lehrkräfte würden mit sexuellen Beleidigungen überzogen. „Leck meinen Schw …, Du Schl ...“, heißt es da. Eine Schülerin nennt ihre Lehrerin „F ...“, als diese sie des Klassenzimmers verweist. Ein größerer männlicher Schüler baut sich Nase an Nase vor einer weiblichen Lehrkraft auf und sagt nach einem Arbeitsauftrag: „Wer sagt das? Mach‘ ich nicht!“
Rund der Hälfte der Strafanzeigen wegen Körperverletzung
Auch die neuen Medien spielen im Schulalltag eine zweifelhafte Rolle, denn jemand hat einen Fake-Account von einer Lehrkraft erstellt, von dem aus Schüler permanent beleidigt werden. Ein Schüler der fünften Klasse drangsaliert andere Jugendliche jeden Tag. Viele hätten Angst und würden für ihn lügen, steht in dem Schreiben des Personalrats. Dass ein anderer Jugendlicher mit einem Nothammer auf einen Mitschüler einschlägt, ist dort ebenso dokumentiert.
Wer den gesamten Bittbrief aufmerksam liest, dem wird ein Klima permanenter Angst, permanenten Misstrauens und latenter Gewalt vor Augen geführt. Lehrkräfte berichten davon, dass nicht wenige Schüler Messer mit zur Schule brächten, um sich im Notfall gegen andere wehren zu können. Zwei Mädchen prügeln auf dem Schulhof auf ein drittes Mädchen ein, das danach ärztlich behandelt werden muss. Lehrkräfte haben Angst, sich einzumischen, weil sie selbst verletzt werden könnten. Sie fordern, dass alle Klassensäle abschließbar sind. Dass es Kameras im Pausenhof und in den Gängen gibt. Dass die Klassen kleiner werden. Sie wollen größere Präsenz der Schulbehörde, Studientage zur Selbstverteidigung et cetera. Mehr als ein Dutzend Überlastungsanzeigen erhält Schulleiter Oliver Kästel noch vor den Herbstferien vor drei Wochen aus den Reihen der Lehrkräfte. Dabei handelt es sich um ein schriftliches Dokument, das Lehrer verwenden, um ihren Vorgesetzten darüber zu informieren, dass alles drunter und drüber geht. Seit 2018 hat sich vieles aufgestaut. Schon damals gibt es an der Schule einen SEK-Einsatz.
Aus Lernort Schule wird ein Hort von Wut und Gewalt
„Ein Lernort ist das schon lange nicht mehr“, gesteht eine Lehrkraft auf Anfrage nach dem erneuten Amok-Alarm am vergangenen Mittwoch. Die Polizei muss an diesem Tag in einem stundenlangen Mega-Einsatz wieder die Schule räumen. Ohnehin gehört das Anrücken der Polizei und der Feuerwehr zum Alltag an der Karolina-Burger-Realschule Plus. Die Pressestelle des Ludwigshafener Präsidiums gibt für die Jahre 2022 bis einschließlich 2024 insgesamt 121 Vorgänge im Zusammenhang mit dieser Schule an. 118 Mal sei eine Strafanzeige erfasst worden.
Auf die Schulzeit heruntergebrochen bedeutet das, dass die Polizei einmal pro Woche mit der Schule befasst ist. Hinzu kommen mehr als 100 Feuerwehreinsätze in dieser Zeit, weil Schüler aus Jux den Alarm auslösen. Das kostet die Stadtverwaltung eine Stange Geld. Bei rund der Hälfte der Strafanzeigen handele es sich um Körperverletzungsdelikte, so eine Sprecherin der Polizei. Ob es sich bei der Schule um einen Brennpunkt handelt, wollen wir von ihr wissen. Ihre Antwort: „Die Karolina-Burger-Realschule Plus stellt keinen Schwerpunkt der polizeilichen Arbeit dar und ist aus polizeilicher Sicht als nicht auffällig zu bewerten.“ Dabei gehören auch Sachbeschädigungen zu den Delikten, die regelmäßig vorkommen.
Weder die Stadt Ludwigshafen noch Aufsichtsbehörde antworten auf Fragen
In dem Brief ist von fußballgroßen Löchern in den Wänden die Rede. Neue Tische würden mutwillig beschädigt, weiße Wände mit Beleidigungen sexueller Art beschmiert. In Deutschland nicht zulässige Böller würden teilweise in die Unterrichtsräume geworfen. Beleidigungen unter Schülern wie „Hurens...“ gehörten zur absoluten Normalität. Wörtlich heißt es im Schreiben: „Das Kollegium erlebt eine Aggression und Enthemmtheit (…), die in diesem Ausmaß bisher nicht vorkam und absolut schockierend ist.“ Als eine Lehrerin einmal nach einer Schlägerei im Klassensaal unter Schock steht, wird ihr von einem Vorgesetzten geraten, sich „ein dickeres Fell“ zuzulegen.
Als diese Redaktion versucht, den Schulleiter mit all diesen Problematiken zu konfrontieren, verweist er einen Tag nach dem Amokalarm an die Aufsichtsbehörde. Einen Katalog aus zwölf Fragen, den wir dorthin am Donnerstagmorgen per Mail senden, bleibt trotz gesetzter Frist unbeantwortet. Es gebe noch Abstimmungsbedarf, heißt es am Montagnachmittag auf Nachfrage. Nicht mal den Anteil an Migranten in der Schülerschaft teilt man uns mit.
Und die Stadt Ludwigshafen als Schulträger? Auch an die dortige Pressestelle gingen am vergangenen Donnerstag Fragen, die bis Montag unbeantwortet blieben. Die Anzahl der Feuerwehreinsätze und die Höhe der Kosten konnte man hier nicht so schnell recherchieren. Warum seit Jahren Türschlösser fehlen, muss zunächst ebenso offen bleiben. Bleibt die Frage, was mit dem Mädchen passiert ist, das im Mai die Lehrerin an der Karolina-Burger-Realschule Plus mit einem Messer bedrohte. Gegen die 16-Jährige startet nach Auskunft des Frankenthaler Landgerichts im Dezember ein Sicherungsverfahren zur Hauptverhandlung: Die Anklage lautet auf versuchter Totschlag.
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