Mannheim. Bob Hanning dürfte richtig gelegen haben. Der ehemalige Vize-Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB) prognostizierte vor knapp zwei Wochen, dass die Mannschaft mit den wenigsten Corona-Infektionen Europameister wird. So wie es aussieht, werden das also nicht die Deutschen sein. Zumindest haben sie schlechte Karten. Mehr als ein halbes Dutzend DHB-Spieler wurden bislang positiv getestet, auf ein Ende der Infektionskette kann der Verband nur hoffen. Gewissheit hat er keine. Was auch für alle anderen Teams gilt. Vermutlich wird sogar keine Nation die EM mit dem Kader beenden, mit dem sie ins Turnier startete.
Doch verkommt die Europameisterschaft damit zur Farce? Hat die EM noch einen sportlichen Wert? Muss sie sogar abgebrochen werden? Geht es dem Europäischen Verband (EHF) nur ums Geld? Und will er das Turnier um jeden Preis durchziehen? Letzteres könnte man ja vermuten. Die Isolationszeit für infizierte Spieler wurde von 14 auf fünf Tage reduziert; im Gegensatz zu vorangegangenen Turnieren ist es zudem möglich, unendlich viele Profis nachzunominieren. Die vielen Fragen sind also berechtigt, sie müssen diskutiert werden. Aber auf einer breiteren Ebene. Es geht nämlich nicht um den Handball im Speziellen, sondern den Sport als Ganzes.
Leben mit dem Virus
Vor knapp zwei Jahren hat die Fußball-Bundesliga auch alles dafür getan, ihre Saison zu beenden. Übrigens zu einer Zeit, als es keine Impfungen gab. Im Sommer 2021 wurde auf Biegen und Brechen eine Fußball-EM in ganz Europa durchgezogen. Mit teils ausverkauften Stadien. In der Deutschen Eishockey Liga gibt es gefühlt gerade mehr infizierte als gesunde Spieler. Aber wird die Saison deshalb abgebrochen? Natürlich nicht! Fielen zuletzt Biathlon-Weltcups aus, weil Johannes Kühn und Franziska Preuß positiv getestet wurden? Nein! Selbst der FC Bayern musste in der Fußball-Bundesliga antreten, als ihm wegen vieler Corona-Fälle fast keine Mannschaft mehr zur Verfügung stand.
Man kann das gut oder schlecht finden, dass jede Sportart ihre Turniere, Rennen und Ligen durchziehen will. Hin und wieder dürfte der Ausgang tatsächlich zur Lotterie werden. Aber es geht nicht um den Handball oder den Fußball oder den Biathlon-Weltcup, sondern um den Profisport. Um alles. Wenn von nun an also jeder Wettbewerb mit positiven Corona-Fällen automatisch als entwertet oder gar als Farce gilt und entsprechend abgebrochen werden soll, wird es ganz schnell gar keinen Profisport mehr geben. Also keine Fußball-Bundesliga. Keine Olympischen Spiele. Mit dem angestrebten Leben mit der Pandemie hätte das aber nichts mehr zu tun.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Corona-Sportveranstaltungen sind die neue Normalität
Marc Stevermüer zu den Corona-Fällen bei den Handballern