Pfalz. Über die Pfalz rollt eine nicht schwächer werdende Welle der Entrüstung. Die Entscheidung von Pfalzwein e.V., das Amt der Pfälzischen Weinkönigin durch eine Botschafterin oder einen Botschafter zu ersetzen, stößt auf massive Kritik in vielen Teilen der Bevölkerung. Konservative Politiker wie der Neustadter Oberbürgermeister Marc Weigel (FWG) oder der Bad Dürkheimer CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger verurteilen den Schritt auf ihren reichweitenstarken Portalen in den sozialen Medien - und ernten vielfach Zustimmung. Von einem „historischen Fehler“ spricht Weigel. Steiniger sieht einen Verrat an der Marke „Weinkönigin“.
Gut gebrüllt, kann man dazu nur sagen. Tatsächlich wagt das Pfalzwein-Marketing aber genau den richtigen Schritt. Auch wenn es angesichts massiver Disruptionen in allen Teilen menschlichen Zusammenlebens eine große Veränderungsmüdigkeit gibt, ist der Schritt sogar überfällig. Wer sich mit Weinhoheiten länger unterhält, weiß auch um einige unangenehme Begegnungen mit politischen Würdenträgern und dem „Fußvolk“: Hier noch eine Hand am Hintern und da noch ein Küsschen zuviel. Distanz und Respekt waren da oft Mangelware. Welche junge Frau wollte sowas jemals? Und: Fällt das etwa auch unter Brauchtumspflege? Es hat einen Grund, warum in vielen pfälzischen Ortschaften jüngst immer weniger Bewerbungen eingingen. Das wird in der aktuellen Diskussion leider komplett vergessen.
Was ebenfalls verdrängt wird: Die Entscheidung wurde von jenen Leuten gefällt, die das finanzielle Budget für die Marketing-Kampagne stellen - nämlich von den bei Pfalzwein zusammengeschlossenen Winzern selbst. Keine Regierung hat es verordnet, keine Grünen-Partei hat die Weinkönigin verboten, wie manch Unwissender nun mutmaßen mag. Am 10. Juli trafen sich die Winzer in Neustadt, nachdem bereits im vergangenen Jahr ein solcher Schritt erwogen worden ist. Boris Kranz, Winzer und Vorsitzender von Pfalzwein, verteidigt die Entscheidung. Sie werde - „Stand jetzt“ - nicht zurückgenommen, denn sie ist von mehr als 40 Kollegen getroffen worden.
Wein ist ein Kulturgut - richtig. Aber für die Pfalz ist er vor allem zu einem riesigen Wirtschaftsfaktor geworden. Die Qualität ist größer als je zuvor, aber der Markt unter Druck. Die aktuelle Entscheidung folgt der Einsicht, dass das Marketing noch effektiver werden muss. Fokus also auf den Wein, nicht auf die Krone. Andere Regionen werden dem Beispiel folgen - früher oder später.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Aus der Zeit gefallen: Weinmarketing braucht keine Kronen mehr
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