Deutsches Architekturmuseum Frankfurt

Langer Weg zum Hochhaus

Wie kam es, dass wir heute so wohnen wie wir wohnen? Das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt zeigt, wenn auch in sehr großen Zeitsprüngen, anhand detailgenauer Modelle die wichtigsten Etappen von der Urhütte aus Ästen bis zu modernen Wolkenkratzern.

Von 
Peter W. Ragge
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Im Boden stecken viele Zweige, etwas schräg gestellt, ganz dicht. Davor sind Steine gerollt. Das Dach? Nun ja, zwei oder mehrere Astgabeln vielleicht, auf denen ein Stamm als First liegt. Darüber haben sie Laub und Felle geworfen. In der Mitte glimmt das Feuer, darum herum schlafen die Bewohner.

Das erste Haus – so hat man es sich vorzustellen. „Der Mensch konnte gerade erst aufrecht gehen, hat das Feuer entdeckt“, sagt Christina Budde, Kuratorin Architekturvermittlung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt. Der Homo Erectus hat so gelebt, etwa 400 000 Jahre vor Christus. 1966 stoßen Bauarbeiter bei Ausschachtungsarbeiten für den Neubau eines Appartementhauses in Nizza auf einige Belege dafür, Archäologen werten sie als „die ältesten nachweisbaren Spuren menschlichen Aufenthalts“, wie Budde mit Blick auf das Modell sagt.

Sie spricht einfach von der „Urhütte“ – denn „Von der Urhütte zum Wolkenkratzer“ heißt die Dauerausstellung in diesem Museum. Es ist die umfangreichste Sammlung von Modellpanoramen zur Architekturgeschichte in Deutschland. Die 24 Modelle, überwiegend von Ivor und Sigrid Swain in zehnjähriger Arbeit faszinierend detailreich gefertigt, bieten eine „spannenden Zeitreise durch die Geschichte der menschlichen Siedlung“, so Budde und seien „das Herzstück“ des Hauses am Frankfurter Museumsufer.

Es könnte auch in Mannheim stehen. Zumindest geht die Idee, in Deutschland ein Architekturmuseum zu gründen, auf ein Treffen 1906 in der Quadratestadt zurück. Debattiert wird die – noch heute aktuelle – Frage: „Mit welchen Mitteln kann Einfluss gewonnen werden auf die künstlerische Ausgestaltung privater Bauten in Stadt und Land?“ 37 Architektur- und Ingenieurvereine aus ganz Deutschland schlagen dazu die Gründung eines „Museums der Baukunst in deutsch-nationalem Sinne“ vor. Doch dann kommt der Erste Weltkrieg dazwischen.

„Haus-im-Haus“

Jahrzehnte vergehen. „Erst im Zuge der Pläne für das Frankfurter Museumsufer hat sich das dann hier konkretisiert“, blickt Brita Köhler, die Pressereferentin des Museums, auf die Ära des bis heute unvergessenen Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann (SPD) und des Oberbürgermeister Walter Wallmann (CDU) zurück. Die Eröffnung erfolgt 1984 in zwei Gründerzeitvillen am Schaumainkai, umgebaut und erweitert nach Plänen des Kölner Architekten Oswald Mathias Ungers.

In die Mitte der Villa hat er ein „Haus-im-Haus“ gesetzt. „Das zieht Touristen sogar aus dem Ausland an“, hebt Köhler hervor. Auf einer Grundfläche von fünf mal fünf Metern sind im Untergeschoss zunächst nur vier Stützen zu sehen, im Stockwerk darüber werden sie dann von Wänden umschlossen, im nächsten Geschoss mit Fenster- und Türöffnungen ergänzt und schließlich mit einem Satteldach gekrönt. Das steht symbolisch für die Fort-Entwicklung des Hausbaus.

Wie er sich detailliert entwickelt hat, zeigt die noch auf den Gründungdirektor des Museums, den Kunst- und Architekturhistoriker Heinrich Klotz, zurückgehende Dauerausstellung. Sie setzt bewusst früh an, bei den umherziehenden Horden, die sammeln, jagen, in Höhlen, unter Felsdächern oder ersten, sehr primitiven Hütten hausen.

Hölzerne Hütten

Und das ist keinesfalls nur Geschichte. „Naturvölker ohne Berührung zur Zivilisation leben und bauen bis bis heute, ganz simpel“, verweist Anne Etheber, Mitarbeiterin in der Architekturvermittlung, auf Behausungen der Yanoami-Indianer Südamerikas, irgendwo im Gebirgsland zwischen Brasilien und Venezuela. Auf kleinen Lichtungen im Regenwald bauen sie hölzerne Hütten mit auf Pfosten ruhenden Pultdächern – zu Nachbarn und dem Dorfplatz in der Mitte offen, nach hinten zum Urwald hin als Schutz gegen Tiere und Fremde geschlossen.

Welch ein Sprung zur Zivilisation ist dagegen der Blick auf das Modell der Hügelhäuser von Catal Hüyük, eine Siedlung der Mittelsteinzeit, also um 6500 v. Chr., im südlichen Anatolien in der heutigen Türkei. Als „einer der ersten Versuche der Menschen von städtischem Leben“ beschreibt Etheber die aneinandergereihten rechteckigen Häuser aus Schilf und Lehm, später auch Trockenziegeln. Das Besondere daran: Die Leute leben auf den Dächern, hier – und nicht seitlich – sind auch die Eingänge, von denen man über Leitern ins Innere gelangt, „als Schutz gegen wilde Tiere und Überschwemmungen“, wie sie erläutert. Die Toten werden innerhalb des Hauses bestattet.

Die erste Stadt

Die frühesten Steinhäuser sind von Zypern belegt, vom Dorf Khirokitia um 5500 v. Chr. – wobei das Modell davon nur die Ausgrabung der Reste der Urform der einräumigen steinernen Hütte zeigt. „Wie die Dächer konstruiert waren, weiß man nicht“, so Anne Etheber. Einen gewaltigen Kontrast dazu stellen die Terrassentempel vom Ende der Jungsteinzeit, also um 2700 v. Chr., dar, wie man sie aus Khafajah kennt. In der Mitte überragt das riesige Tempelgebiet die zahlreichen darum gruppierten Häuser. „Die erste richtige Stadt, die erste Gesellschaft mit einer Hierarchie, wo schon Steuern erhoben werden“, weiß die Architekturvermittlerin über das frühe Mesobotanien, heute im Irak gelegen: „Und erstmals sind sakrale und profane Bauten getrennt“, so Etheber.

Wie weit entwickelt die Baukunst in Ägypten ist, zeigt der Terrassentempel von Der el-Bahari, um 1400 v. Chr. entstanden, der erste Monumentalbau in Oberägypten und Grabanlage für gleich drei Pharaonen. „Einzigartige Baukunst, und das alles mit der damaligen Technik“, betont Anne Etheber.

Das gilt ebenso für Mykene, führende griechische Stadt zwischen 1600 und 1200 v. Chr., bekannt durch die Ausgrabungen von Heinrich Schliemann. Doch nicht allein Palast, Grabstätten, monumentale Zitadellen und die machtvolle Zyklopenmauer faszinieren hier die Architekten. Hier taucht erstmals ein neuer Haustyp auf – Megaron, ein langgestreckter, rechteckiger Baukörper mit einem offenen Vorraum.

„Etwas ganz Neues“ bringt dann, so Anne Etheber, die römische Antike mit sich: „Jetzt bilden sich Städte heraus, in denen nicht nur den Tempel der Mittelpunkt darstellt, sondern auch nicht religiöse öffentliche Zentren, in denen sich die Bürger treffen“ – das Forum. Umgeben ist es von Ladenstraßen und von Wohnhäusern, die bei den Römern erstmals auch mehrstöckig sind. Beispielhaft dafür steht Pompeji, beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. von Asche und Lava bedeckt, dadurch aber konserviert.

Wieder primitiv

Nach all der prachtvollen Baukunst traut man seinen Augen kaum, wie es danach wieder abwärts gegangen ist. „Der Zusammenbruch durch die Völkerwanderung“, erklärt Etheber schulterzuckend: „Ein Rückschritt, es wird alles wieder sehr primitiv.“ Das zeigt das 1951 bis 1954 bei Ausgrabungen in der Nähe von Warendorf entdeckte frühmittelalterliche Gehöft aus dem 7. Jahrhundert n. Chr.. Da sind höchstens Kirchen aus Stein, die bäuerlich geprägten germanischen Stämme hausen in Gebäuden aus Holz, mit Stroh und Moos bedeckt. Weil die Naturmaterialien die Zeiten meist nicht überdauert haben, sind Archäologen auf Vermutungen angewiesen – erhalten haben sich meist nur Pfostenlöcher im Erdreich und Holzreste.

Prachtvoll wird es indes ab dem 11. Jahrhundert – zumindest bei Sakralbauten. Der Speyerer Dom, 1030 von Kaiser Konrad II begonnen, steht in der Frankfurter Ausstellung stellvertretend dafür, gilt er doch als Vorbild der gesamten europäischen Kathedralenarchitektur. „Es ist der Repräsentationsbau des Kaisertums dieser Zeit schlechthin“, so Karla Pohl, auch sie Mitarbeiterin der Architekturvermittlung.

Glaube prägt Architektur

Und nicht nur da prägt der Glaube die Architektur – auch bei den Klöstern. Das beinahe über 400 Jahre (1185 bis 1556) errichtete und immer wieder erweiterte Kloster Bebenhausen ist ein gutes, bis heute erhaltenes Beispiel für solch eine Großanlage. Neben den Wirtschaftsgebäuden der Mönche, die autark leben wollen, entwickeln sich um Umfeld nach und nach doch Dörfer.

Ab dem 12. Jahrhundert ergeben sich immer mehr Stadtgründungen, oft im Zusammenhang mit Burgen und an Handelswegen, ab dem 15. Jahrhundert dann auch als autonome, vom jeweiligen Landesherren unabhängige Freie Reichsstädte. Büdingen, in einer Momentaufnahme von 1390, ist so ein Beispiel mit seinen charakteristischen mehrstöckigen Fachwerkhäusern mit spitzen Giebeln, eng aneinander gebaut, umgeben von Mauern und Wehrtürmen. Handel und Gewerbe sind kennzeichnend für frühe Städte.

In der Renaissance geht es dann um die „Idealstadt“, neben Sakralbauten treten – etwa in Italien – die „Palazzi“, die Paläste der Bürger. Pienza, in den Bergen Mittelitaliens gelegen, ist um 1460 die erste geplante Stadt der Renaissance. Im Barock werden die Häuser der Bürger wieder kleiner – absolutistische Herrscher verlangen Unterordnung, richten die Planstädte nach ihren Residenzen aus. „Es wird planmäßig gebaut, man schaut auf Symmetrien, auf Plätze, auf Ordnung“, so Pohl. In der Ausstellung verkörpert die Kleinstadt Arolsen in Nordhessen mit ihrer Schlossanlage den absolutistischen Geist, doch Mannheimer kennen ja den Grundsatz der barocken Planstadt mehr als gut.

Mit der Industrialisierung im frühen 18. Jahrhundert kommt zu Holz und Stein als neuer Baustoff immer mehr Eisen dazu – und bald auch Glas. Der von Joseph Paxton für die Weltausstellung 1851 geschaffene Kristallpalast steht für die Ingenieurleistungen in der Architektur – ein in nur zehn Monaten errichtete Stahlskelettbau, wegweisend für spätere Hochhäuser.

Sozialer Wohnungsbau

Gleichzeitig gibt es aber Dreck, zerbrochene Fenster, bröckelnde Steine, eindringende Feuchtigkeit – in den Elendsvierteln im 19. Jahrhundert, wo Arbeiter auf engstem Rau unter ärmlichen Umständen leben. Der Gegenentwurf – das ist der Soziale Wohnungsbau, in Frankfurt vom 1924 zum Stadtbaurat berufenen Architekten Ernst May propagiert und später in ganz Deutschland umgesetzt. „Luft, Licht und Grün“ sollen die Wohnungen bieten, als Alternative zu den tristen, dreckigen Hinterhöfen des 19. Jahrhunderts. „Sie bieten auf wenig Raum alles, was man zum Wohnen braucht, ein Stückchen Garten für Selbstversorger dazu“, beschreibt Karla Pohl das Beispiel der „Zickzackhäuser“ der Frankfurter Siedlung Bruchfeldstraße, die sogar alle über Bad und Zentralheizung verfügen – ein in den 1920er Jahren nirgendwo sonst erreichter Standard.

Zugleich wachsen, zunächst in Amerika, die ersten Hochhäuser empor, entstehen die modernen Metropolen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzt sich das Hochhaus auch in Europa, in Deutschland durch.

Ebenso wächst aber auch das Bewusstsein für ökologisches Bauen. So ist der 1994 bis 1997 nach den Plänen von Norman Foster errichtete Commerzbank-Tower in Frankfurt mit knapp 259 Metern plus 40 Meter langer Antenne nicht nur das höchste Gebäude Deutschlands. Mit weitestgehend natürlicher Belüftung, energiesparender Beleuchtung, einem umfangreichen Wassereinsparungskonzept sowie alle acht Stockwerke eingefügte begrünte Öffnungen gilt er lange als Musterbeispiel für umweltfreundliche Architektur.

Deutsches Architekturmuseum

  • Anschrift: Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt am Main, Tel.: 069/21238844, www.dam-online.de
  • Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Feiertage (auch Karfreitag, Ostern, Pfingsten, Tag der Arbeit, Christi Himmelfahrt, Fronleichnam) 11 bis 18 Uhr, Mittwoch 11 bis 20 Uhr, Montag geschlossen.
  • Eintritt: Neun Euro, ermäßigt 4.50 Euro. Freien Eintritt zu den Ausstellungen erhalten Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre, Inhaber der Museumsufer-Card und des Museumsufer-Tickets.
  • Service: Alle Ausstellungs- und Veranstaltungsräume sind barrierefrei zu erreichen. Es gibt ein Café und eine Garderobe mit Schließfächern.
  • Führungen: Kostenlose öffentliche Führungen durch die gerade laufenden Sonderausstellungen „SOS Brutalismus“ (über Betonbau) samstags und sonntags, jeweils 14 Uhr, und über Frauen in der Architektur samstags und sonntags, jeweils 15 Uhr
  • Anfahrt: Mit dem Zug bis Frankfurt Hauptbahnhof, von dort 15 Minuten Fußweg über Kaiserstraße/Holbeinsteg bis zum Museumsufer. U-Bahnen U1, U2, U3, U8 (Schweizer Platz/Museumsufer), Straßenbahnen 15,16 (Schweizer Straße/Gartenstraße) oder Bus 46 („Museumsuferlinie“ bis Untermainbrücke). Mit dem Auto bis zur Anschlussstelle Frankfurt-Süd (Nr. 51), dann Richtung Stadtmitte/Stadion (B 43), weiter Richtung Stadtmitte/Messe. Parkhaus an der Walter-Kolb-Straße, aber insgesamt wenig Parkplätze.

Redaktion Chefreporter

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