Zeitreise Geschichte

Blutgetränkter Boden: das Kolosseum in Rom

Im Kolosseum von Rom kamen 300.000 Menschen und Millionen von Tieren zu Tode. Heute besuchen jährlich bis zu zwölf Millionen Menschen diesen historischen Ort.

Von 
Konstantin Groß
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Das Kolosseum in Rom: Auch als Ruine ist das größte jemals gebaute Amphitheater der Welt mit seinen 48 Metern Höhe noch eindrucksvoll. © Konstantin Groß

Mannheim. Ob „Quo Vadis“ oder „Gladiator“ - keine historische Epoche ist in unserer Vorstellung so stark von Hollywood geprägt wie das Antike Rom. Auch wenn die Filmklassiker mit der Realität nur wenig gemein haben. Dabei ist diese Realität schaurig genug: Um die 300.000 Menschen kommen im Kolosseum von Rom zu Tode, die Zahl der gemetzelten Tiere geht in die Millionen. Blutgetränkt also ist der Ort, den jährlich bis zu zwölf Millionen Menschen besuchen. Wer aufmerksam ist, kann den einstigen Schrecken erahnen, aber auch Manches über uns Menschen an sich erkennen, auch wenn die Ereignisse fast 2.000 Jahre zurückliegen.

Die Ursprünge des Kolosseums führen ins Jahr 72 nach Christus. Das riesige Römische Reich erstreckt sich von Nordafrika bis nach Britannien. Gewaltherrscher Nero ist vier Jahre tot. Seine Nachfolger löschen alles aus, was an ihn erinnert. Wo sich zuvor der künstliche See von dessen Palast erstreckt, lässt Kaiser Vespasian eine riesige Arena errichten. Finanziert übrigens aus der Plünderung Jerusalems zwei Jahre zuvor, vor allem dem Tempelschatz.

Das Innere des Kolosseums mit Rängen und Keller. Rechts die Fläche der Arena, die man zur Demonstration nachgebaut hat. © Konstantin Groß

Als Vespasian im Jahre 79 stirbt, ist der Bau fast fertig. Sein Sohn und Nachfolger Titus lässt den drei Geschossen ein viertes hinzufügen. Als auch dies im Jahre 80 steht, wird das Bauwerk mit 100 Tage währenden Spielen eröffnet. So etwa „Seeschlachten“, für die 7.000 Kubikmeter Wasser in die Arena geschafft werden. Schon im Jahr darauf stirbt der Kaiser. Dessen Bruder und Nachfolger Domitian vollendet das Bauwerk mit dem Kellergeschoss.

Das Kolosseum bietet mehr als 50.000 Menschen Platz

Das Kolosseum hat die ideale Form einer Ellipse, 188 Meter lang und 156 Meter breit. Die Arena in seiner Mitte misst 86 mal 54 Meter. Die vier terassenförmigen Stockwerke bilden eine Gebäudehöhe von 48 Metern und bieten 50.000 Sitzplätze.

Die unterste Reihe, das Podium, ist der herrschenden Elite vorbehalten, wobei sich in der Mitte der langen Seite des Ovals die kaiserliche Loge (Pulvinar) befindet. Die drei Stockwerke darüber staffeln sich gemäß den gesellschaftlichen Schichten, der oberste Sektor also für Sklaven und Frauen. Der Eintritt ist für alle frei. Neben billigen Grundnahrungsmitteln dienen derartige Lustbarkeiten („Brot und Spiele“) dazu, die Massen bei Laune zu halten.

Das heute offene Untergeschoss der Arena mit den Kerkerzellen für die auf ihre Hinrichtung Wartenden und die Raubtiere. © Konstantin Groß

Das Bauwerk ist architektonisch und logistisch eine Meisterleistung. 80 Eingänge ermöglichen den Zuschauern, auf direktem Wege zu ihren Plätzen zu gelangen und auch rasch wieder hinaus. Innerhalb von fünf Minuten kann die gesamte Arena geleert werden. Der vielsagende Fachbegriff für dieses System lautet denn auch Vomitorium - von lateinisch „vomere“ für „erbrechen“.

Die Arena ist mit Holzbohlen ausgelegt und mit Sand vom Monte Mario bedeckt, einem besonders saugfähigen Material; das ist auch nötig angesichts der Menge an Blut, das hier fließt. Unterhalb der Arena befindet sich das Hypogäum, ein Gewirr aus Gängen und Zellen: den Kerkern der auf ihre Hinrichtung Wartenden, den Käfigen der Tiere, dem unterirdischen Zugang aus der benachbarten Gladiatorenschule.

Mit Hilfe eines komplexen Systems von Aufzügen und Flaschenzügen können aufwändige Dekorationen und Bühnenbilder in die Arena befördert werden. Dazu werden die Holzbohlen aufgeklappt. Innerhalb weniger Minuten entsteht so eine komplette Wald- oder Wüstenlandschaft als Kulisse für das Geschehen.

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Die Zuschauer sind den ganzen Tag über in der Arena. Um sie vor Hitze zu schützen, wird ein riesiges Sonnensegel aus rotem Leinen aufgezogen, 70 Tonnen schwer - eine statische Glanzleistung. Installiert wird das Tuch an 240 Masten von Leuten, die von Natur aus schwindelfrei sind und sich mit den gefährlichen Kräften von Wind in solcher Höhe auskennen: 500 Soldaten der bei Miseum im Golf von Neapel stationierten Marine. Um den Geruch des dennoch unvermeidlichen Schweißes zu mindern, wird parfümiertes Wasser gesprengelt.

Der Tag im Kolosseum beginnt mit Tieren: Bären, Löwen, Giraffen, Elefanten. Die exotischen Arten stammen aus Nordafrika, das ja damals unter römischer Herrschaft steht, über das Mittelmeer nach Rom verbracht. Entweder werden hungrige Löwen auf ausgezehrte Elefanten gehetzt oder Giraffen und Bären von Kämpfern mit Speeren malträtiert, bis sie tot sind. Die Kadaver werden abtransportiert und geschlachtet. Auf dem Nachhauseweg erhalten die Besucher ein Stück Fleisch. Kann man sich das Leid der Tiere vorstellen? Ihre Todesängste? Ihre Schmerzensschreie? Und wie sich die Menschen daran ergötzen? Stadtführerin und Historikerin Milka Simrak warnt dennoch vor Überheblichkeit: „Die Menschen damals ticken genauso wie wir heute.“ In der Tat: Was ist der nach wie vor blutige Stierkampf in Spanien Anderes?

Infos und Tipps zum Kolosseum in Rom

Lage : Das 3.400 Quadratmeter große Areal des Kolosseums liegt im historischen Herzen von Rom.

Bedeutung : Größtes je gebautes Amphitheater der Welt. Seit 1980 Weltkulturerbestätte. In einer internationalen Online-Wahl 2007 zu einem der „Neuen Sieben Weltwunder“ gewählt.

Aussehen : Vom äußeren Ring der viergeschossigen Fassade ist nur die nördliche Hälfte erhalten, ansonsten lediglich der innere Ring, aber der komplette Unterbau der Arena. Ein Teil des Bodens der Arena wurde nachgebaut, ebenso wie einer der 28 Lastenaufzüge.

Besichtigung : vom 30. März bis zum 30. September von 8.30 bis 19.15 Uhr. Eintritt: ab 18 Euro. Infos: www.parcocolosseo.it.

Führung : Buchen über getyourguide.de. Fackundige Leitung. Dauer: vier Stunden (einschließlich angrenzendes Forum Romanum und Palatin). Preis: 80 Euro. Also nicht ganz billig und besonders im Hochsommer etwas stressig, aber dennoch absolut ermpfehlenswert!

Besonderheit : Seit 1964 passiert an jedem Karfreitagabend in Anwesenheit des Papstes ein Kreuzweg das Kolosseum, das fünf der 14 Kreuzwegstationen enthält.

Symbolwert : Seit 1999 Monument gegen die Todesstrafe. Sobald in einem Staat auf der Welt die Todesstrafe abgeschafft wird, wird das Kolosseum 48 Stunden lang in bunten Farben angestrahlt.

Filmdokus : „Arena der Gladiatoren“, ZDF 2023 (auf Youtube). -tin

Doch wo will man Empathie für Tiere erwarten, wenn sie sogar für Menschen nicht aufkommt? Etwa bei den grausamen Hinrichtungen, die jeweils um 12 Uhr mittags auf dem Programm stehen, und bei denen die Verurteilten von Raubtieren zerrissen werden. Das von der Kirche und Hollywood gepflegte Narrativ von gemarterten Urchristen ist für hier jedoch historisch nicht belegt. Derartige Kreuzigungen erfolgen vielmehr auf dem Circus Maximus.

Nachmittags steht der Wettstreit der Gladiatoren an. Professionelle Kampfmaschinen, Superstars mit hohem Sozialprestige und erotischer Ausstrahlung; ihr Schweiß wird in kleinen Fläschchen an Frauen verkauft, die damit die Viralität ihrer Ehemänner zu stärken glauben.

Gladiatorenkämpfe sind die Formel 1 der Antike

Die Kämpfe der Gladiatoren sind die Formel 1 der Antike. Auch sie stehen im Dienst von „Rennställen“, Gladiatorenschulen, in denen eine fünfjährige, extrem teure Ausbildung erfolgt, mit bester Ernährung und optimaler ärztlicher Versorgung.

Die Kämpfe finden unter den Augen zweier Schiedsrichter statt, denn sie sollen absolut fair sein. Immerhin geht es um viel Geld, wird auf ihren Ausgang doch gewettet. Für den Unterlegenen lautet am Ende die Alternative: iugola („Abstechen!“) oder missum („Leben lassen!“). Die meisten von ihnen sterben zwischen 18 und 25 Jahren. Allerdings weit weniger häufig, als angenommen, nach Schätzungen jeder Vierte oder gar „nur“ jeder Achte. Entschieden wird das alleine per Daumenzeig durch den Kaiser, der aber zuvor die Stimmung im Publikum aufnimmt. Politisch eine Art Ersatz-Demokratie.

Recherche vor Ort bei 39 Grad: Autor Konstantin Groß im Inneren des Kolosseums. © Konstantin Groß

Ein halbes Jahrtausend geht das so. Als das Römische Reich zerbricht, verliert das Kolosseum seine Bedeutung. Zumal das Christentum, inzwischen Staatsreligion, tödliche Gladiatorenkämpfe ablehnt („Du sollst nicht töten“); der letzte findet 438 statt, die letzte Tierhatz 523. Mit dem Verfall der Stadt im 6. Jahrhundert nutzen die Bewohner das Kolosseum als Wohnraum, ziehen zu diesem Zweck in den Arkaden Zwischendecken ein, puhlen, noch heute sichtbar, die seltenen, daher wertvollen Metallteile aus den Wänden.

Das Mauerwerk wird ab dem Mittelalter von reichen Familien und den Päpsten als Steinbruch genutzt, auch für den Petersdom. Allerdings nicht an der Nordseite. Denn die passiert jeweils ein neuer Papst auf einem weißen Esel an der Spitze eines großen Trosses vom Vatikan zur Lateran-Basilika - Sitz des Bischofs von Rom, der der Papst ja auch ist.

Die Zerstörung endet, als Papst Benedikt XIV. 1744 den Erhalt des Bauwerkes anordnet und es zur christlichen Märtyrerstätte erhebt. Das anbrechende bürgerliche Zeitalter entdeckt das Kolosseum als Ausflugsziel. Im 19. Jahrhundert wird damit begonnen, den Bau systematisch zu sichern und archäologisch zu erforschen. Ausgerechnet der faschistische Diktator Mussolini intensiviert dieses Ansinnen, um seiner Herrschaft ab 1922 eine historische Dimension zu verschaffen. 1929 lässt er in der Arena ein großes Kreuz errichten. Es steht dort noch heute.

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