Kolumne #mahlzeit

Wie sich die Bahn aufs Abstellgleis manövriert

Ein pünktlicher Zug ist wie eine Fata Morgana. Kein Wunder, meint unser Kolumnist Stefan M. Dettlinger. Die Deutsche Bahn tut weltweit alles, um größer zu werden, verliert den Überblick und vernachlässigt das deutsche Kerngeschäft.

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Grundsätzlich finde ich Diskriminierung ja doof. Bei zwei Sachen mache ich aber gern eine Ausnahme: 1. bei der katholischen Kirche. 2. bei der Deutschen Bahn. Bei der katholischen Kirche weiß jedes Kind (besonders Jungs), warum. Und bei der Bahn wissen es alle, außer die fundamentalistischen Autofahrer.

„Mein Gott, die Bahn! Was für ein Irrtum! Das Ende der Illusion!“, sage ich in die fröhliche Tischrunde. Alle lachen. „Mhm“, meint Alya, „mein Freund fährt seit einem Jahr eine Strecke von 150 Kilometern und ist noch nie – also echt n o c h n i e …“ Alya muss so lachen, dass sie kaum reden kann, „… der war nicht einmal pünktlich. Also wenn ihr mal einen pünktlichen Zug seht, könnt ihr sicher sein, dass es eine Fata Morgana ist.“ Alle lachen.

„Wusstet ihr“, schaltet sich Bela ein, „dass die Bahn in mehr als 140 Staaten mit Bussen, Flugzeugen, Schiffen, Pkw, Lkw, Krankenwagen, Elektroautos und, ja, Zügen unterwegs ist? Das ist keine Deutsche Bahn, das ist eine weltweite Katastrophe!“ Alle lachen. Und Bela, der informiert ist, erzählt von 600 Gesellschaften, Firmen und Beteiligungen weltweit, erzählt von einem dunklen Imperium, das in Armenien, Aserbaidschan, Barbados, Ecuador, Kenia, Nigeria, Simbabwe oder Sri Lanka als DB unterwegs ist, oder auf dem Mond. Bela: „Dort stört es wenigstens keinen, wenn der Dödel-ICE ein Lichtjahr Verspätung hat. Solange die in ihren Hirnchen im Türmchen am Potsdamer Plätzchen nicht mal mehr den Überblick haben, wo sie überall drinstecken und wo überall das Geld versickert, haben die keinen Cent, um Loks, Weichen, Signale, Schienen und Toiletten zu reparieren“, sagt Bela. Keiner lacht. Stille.

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Ich habe das später, so gut es ging, überprüft. Es stimmt. Der deutsche Zugverkehr ist nur ein (Scham-)Haar im Weltreich der DB. Das ist echter Wirtschaftskolonialismus. Man expandiert in alle Richtungen des Universums, während zuhause – das steht bei Wikipedia – vor zwei Jahren beispielsweise allein 4230 Fernverkehrszüge mit insgesamt 99 652 Halten entfallen sind. Also wenn auch nur an jeder Haltestelle bescheiden gerechnet 20 Menschen und drei Hunde auf diese Züge gewartet haben, dann haben fast zwei Millionen Fahrgäste und fast 300 000 Hunde umsonst gewartet. Das ist ganz Hamburg beziehungsweise, auf die Hunde bezogen, ganz Mannheim.

Und: Im Januar 2019 soll der Rechnungshof die Auslandseinsätze der Bahn kritisiert haben: „Aus der globalen Geschäftstätigkeit der DB AG ergeben sich bislang keine positiven Effekte für die Ertrags- und Finanzlage der Eisenbahn in Deutschland.“ Diese Bahn ist zwar eine Aktiengesellschaft. Sie befindet sich aber zu 100 Prozent in Bundesbesitz, ergo: Deutsche Steuerzahler zahlen sich dumm und dämlich für die Weltherrschaft der Bahn.

„Mit der Bahn als Wunderwaffe gegen Klimawandel wird’s also nichts“, höre ich Alya, „jetzt ist mir auch klar, warum die Bundesregierung nichts gegen den Autoverkehr tut und eifrig weiter zwölfspurig denkt. Irgendwann fahren wir alle Auto. Die Bahn steht längst auf dem Abstellgleis.“ Alle lachen.

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mamo.de

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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