Geht ‘ne Blondine in ‘nen Laden und verlangt ‘ne blaue Deutschlandfahne. Der Verkäufer schaut sie an und …“
„… du willst uns jetzt aber nicht einen Blondinenwitz erzählen, oder!“, unterbricht Caro Bela sofort. Bela ist ein ruhiger Zeitgenosse. Manchmal wirkt er ein bisschen naiv-verpeilt, auch luxusverblendet. Jetzt jedenfalls verweist er, während er Caro pomadig beim Tofukauen zusieht, darauf, dass er den Witz gerade erst gelernt habe – bei einem Gedächtnisspezialisten. Er sei stolz, dass er, die ehemalige Spaßbremse, nun 20 Witze erzählen könne. „Dank einer Merktechnik arbeiten meine Gehirnhälften endlich mal zusammen und leisten gemeinsam 500 Prozent mehr“, so Bela, worauf Caro laut prustet. Den Blondinenwitz trage Bela auf den Haaren, er habe noch einen Witz zwischen den Zehen, einen in der Achselhöhle, hinterm Ohr, im Lendenbereich und an Körperteilen, auf die er jetzt nicht näher eingehen könne – und wolle.
„Blondinenwitze sind sexistisch“, ruft Caro mit der Impertinenz des Papstes ex cathedra. Okay, Bela spielt jetzt den Unwissenden (eigentlich den Advocatus Diaboli). Er fragt: „Wie das denn?“ Natürlich ist er nicht so doof. Er weiß, was Caro meint und meint: „Im Witz macht man sich doch immer über Leute lustig. Am Bauchnabel habe ich auch einen über weiße alte Männer, wenn du willst …“ („… verschone mich“, so Caro), „… da machen sich Blondinen über drei Typen lustig, die …“
Meine Meinung dazu ist ja bekannt. Ich weiß zwar, dass man über niemanden mehr Witze machen darf. Ostfriesen. Blondinen. Fritzle. Kohl. Othello. Vopo. Den Papst. Die Sarotti-Werbefigur of color. Den deutschen Gartenzwerg. Buddha. Gott. Egal. Das ist traurig. Ich finde aber: Geht nicht, gibt’s nicht! Tu’s trotzdem! Ich will ja auch, dass über mich Witze gemacht werden. Ich sehe es als Stärke an, über sich selbst lachen zu können, und bin sicher: Selbst Gott lacht lebenslänglich über seinen (Achtung: Witz!) folgenreichen Blackout am sechsten Tag der Schöpfung (AT 1, 24-31).
Witze lockern auf, denke ich, während Bela und Caro im Hintergrund vor sich hin streiten. Sie lösen Verklemmungen. Schon Platon wusste es. Sie haben eine wichtige soziale Funktion und ersparen uns (Achtung: Sigmund Freud!) auch den „Hemmungsaufwand“, den Erziehung und Gesellschaft uns eingeimpft haben. Witz und Irrwitz entstehen doch durch Tabubruch, sie regen verschüttete Gefühle und Triebe in uns an, die am Tor des Bewusstseins das Schild lesen: Wir müssen draußen bleiben. Deutschland wird langsam zur witzfreien Zone.
„Na jetzt erzähl schon den Rest, komm’“, höre ich Caro nun durch den Schleier meines Denkens sagen. War das wirklich sie? „Nä“, sagt Bela. „Los“, befiehlt Caro. Also spricht Bela: „Okay, der Verkäufer sagt, Deutschlandfahnen gibt’s nur in Schwarz, Rot, Gold. Dann die Blondine: Okay, dann nehm’ ich sie in Rot!“ Caro lacht. „Du, als Kind war ich auch blond“, sagt sie. Und lacht weiter. Ich glaube, die hat Affenpocken (ach, die dürfen jetzt auch nicht mehr so heißen. Es heißt, die Affen treffen sich schon montags zu Spaziergängen …).
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