Achtung Deutsche und Deutschinnen, dies könnte wehtun, denn Bela haut euch heute eins vor den Latz. Also: Er sei neulich mal mit ein paar Frauen in einem türkischen Restaurant gewesen. Bela sagt: „Na ja, Restaurant ist viel gesagt. Es war ein upgegradeter Imbiss mit Unisex-WC und Istanbul-Bildern. Aber schon mit Tischen und Stühlen.“
Wird das eine Ekelgeschichte? Nein! Bela holt zuerst aus, und dann ein Füllhorn des Lobes aus seinem Verbalkoffer. Das Essen sei gut gewesen. „Exzellent“, sagt er. Die Bedienung, ein Mädchen, sei „irre nett“ gewesen und habe mit ihm geschäkert, und dann…“ Bela macht eine Pause. „Und dann?“, fragen Caro und Alya wie mit einer Stimme. Ja, was dann passiert sei, hätte ihn einfach umgehauen.
Bela spießt ein Gnocco auf, tunkt es in die grüne Soße und steckt es langsam in den Mund. „Sag mal, musst du deine Erzählung strukturieren wie eine Netflix-Serie in vier Staffeln à sieben Teilen? Pure Information reicht“, blökt Caro und verzieht den Mund. Na, wenn wir die Story weiter hören wollten, dann dürften wir ihn eben nicht ständig unterbrechen, so Bela, spießt noch mal ein Gnocco auf, tunkt es in die grüne Soße und steckt es langsam in den Mund. Wieder ein Assist zur Unterbrechung. Diesmal nicht.
Nun stöhnt er und zeigt auf sein kauendes Maul. Er schluckt, setzt das Glas mit Cola an, trinkt, schluckt erneut und spricht: „Also: Als ich dann an die Kasse gegangen bin – ich habe natürlich eingeladen –, da stellte sich heraus, dass ich nicht mit Karte bezahlen konnte und kein Bares hatte. Aber das irre nette Mädchen hat gesagt: ,Zahl einfach beim nächsten Mal.’ Hey: Das waren fast 80 Euro! Und ich war zum ersten Mal da“, sagt Bela. „Die wollte, dass du wieder kommst?“, sagt Alya mit Singsang. „Quatsch! Ich hab’ sogar gesagt, dass ich so schnell nicht wieder komme, weil ich nicht um die Ecke wohne. Und da meinte sie, das sei auch okay. Versteht ihr: Die hat mir voll vertraut. Also bei den ganzen deutschen Läden ist mir das noch nie passiert. Wenn dir da 20 Cent fehlen, kriegst du deine Brezel nicht!“ Wir lebten eben in einer Kultur der Präzision und Korrektheit, nicht in einer der Menschlichkeit und Intuition, meint Caro.
Ich denke seitdem über diesen betrüblichen Satz nach und glaube: Er ist – tendenziell – richtig, auch wenn Belas Fall nur „ein“ Beispiel ist. Klar: Gehe ich in einen Laden, kümmert sich der Typ an der Kasse sowieso vor allem um den dämlichen Kasten vor ihm und sieht mich gar nicht an. Manchmal denke ich: Hey, ist es so schlimm, mich anzusehen? Aber ich bin halt unwichtig. Wichtig ist mein Geld. Wir leben in einem System entmenschlichten Handels und Handelns. Kein Wunder, dass die Leute zu Amazon rennen.
„Das ist die Ausgeburt des Kapitalismus“, sagt Caro. Alya prustet los und sagt: „Spielst du jetzt wieder Wie-werde-ich-Antikapitalist-im-21.-Jahrhundert?“ Sie wolle nur eine bessere Welt, sagt Caro, „auch für das Balg, das in deiner Kugel hier wächst“. Also was mich betrifft: Ich frage mich ja, warum Bela mit mehreren Frauen essen geht. So toll ist er doch auch wieder nicht. Irgendwas verschweigt uns der Kerl doch …
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