Sag’ mal, wo warst du so lang ?“, fragt Alya Bela, der sich schmalbeinig hinsetzt und einen Smoothie an die Lippen führt. Alyas Bauch rundet sich. Der enge Pullover spannt. Da drin wächst Leben. Sie ist im fünften Monat. Vor zwei Monaten, als sie uns mitteilte, dass sie schwanger sei, hat sie gesagt: „Ich muss mein Leben ändern!“ Klar. Neue Verantwortung und so. Jetzt sagt sie: „Du musst dein Leben ändern! Bela, du brauchst mir nicht zu sagen, wo du warst. Ich weiß es. Du warst auf dem Klo, und zwar so verdammt lang, dass ich auch weiß, was du dort gemacht hast.“
„Ach? Und das wäre?“, fragt Bela noch ganz entspannt, kratzt sich dann zur Sicherheit aber doch verlegen am Kopf. „Du hast ge-daddelt!“, sagt Alya. „Ach so, das meinst du“, sagt Bela, „ertappt!“
Tatsächlich ist mir auch schon aufgefallen, dass die Leute, ja, auch Männer, seit sie überwiegend Sitz-Pinkler sind, immer länger auf der Schüssel hocken. Ich nehme mich da nicht aus. Ich versuche auch, die Klofläche von der Steuer abzusetzen. Ich meine: Ich arbeite dort. Außerdem steht kein Bett drin. Die meisten Leute kommen heute gut gelaunt und entspannt vom Klo, haben dort online sündhaft teure Anzüge von Ermenegildo Zegna gekauft, effizient Dienst-Mails erledigt und noch schnell auf Facebook gepostet, dass es heute Abend bei Musik von Bad Religion und Damenbesuch von Vivi „die geilsten“ Veggie-Burger (von Wheaty) gibt.
„Das stille Örtchen mutiert langsam zum neuen Büro“, meint auch Alya, „das ist ein Kulturverlust. Früher lagen auf den Klos meiner Freundenden Gedichtbände rum. Ich habe dort Mörike und Rilke gelesen und Hölderlins ,Hälfte des Lebens’ auswendig gelernt. Heute? Nichts. Alle daddeln und wischen, was das Zeug hält.“ Er habe, sagt Bela, bei seinen Freunden immer nur Bücher wie „WC-Pedia“, „Shit happens“, „Das Kacka-Buch“, „Die Klo-Chroniken“ oder – was Bela offenbar besonders lustig findet, denn er kichert – den „Geschäftsbericht“ gelesen: „Nichts also, was ich wirklich vermisse. Aber ich habe ja auch kein Studium an der philosophischen Fakultät absolviert wie ihr. Ich hatte, ja, auch nicht dasselbe soziale Umfeld.“
Ja, meint Alya, sie wisse ja, dass Bela Minderwertigkeitskomplexe habe. Aber wer BWL studiere, sei hinterher halt auch ein BWL: ein blöd wabernder Lackaffe. „Autsch, Alya, wie wär’s mal mit einem Witz-Laxativ. Ich muss nämlich feststellen: Die Schwangerschaft bekommt deiner Kreativität nicht unbedingt gut. Der tat echt weh! Und ich meine da nicht mir.“
Die Toilette ist tatsächlich der stillste und mit dem Badezimmer auch einzige Ort, in dem wir ganz allein in Klausur gehen. Klar: Jeder sollte dort machen dürfen, was er will. Bücher oder Zeitung lesen, die Ruhe genießen, starren, daddeln. Natürlich ist es bedauerlich, wenn hier kein Hölderlin mehr rumliegt, wobei: Hat sich der da wirklich wohl gefühlt? Daraus jetzt aber ein Verbot zu machen. Hm. Bei der körperlichen Mission Ausscheidung nun jedoch die Rede von einem „Wischen impossible!“ anzuführen, bekäme auf dem ehemals stillen Örtchen jedenfalls unnötige Doppelbedeutungen …
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