Jetzt also wird Juli Zeh gegrillt. Twitter macht’s möglich, das Asozialste, was es an Medien gibt. Alle schmeißen da ihren Verbalmüll rein. Zeh, die Schriftstellerin, die „Unterleuten“ war und „Über Menschen“ geschrieben hat, befindet sich nun „Zwischen Welten“ – so die drei letzten Titel ihrer Romane – und muss sich nun Sachen anhören wie: „Ihre Bücher sollten verbrannt werden!“ Zu lesen war das in einem Twitter-Shitstorm der Güteklasse 1.
„Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem jemand Literatur verbrennen will“, sage ich zu Alya, Bela und Caro, „und das alles, weil Zeh das Wort Sarrazin in den Mund genommen hat: ,Es stimmt, dass Sarrazin das richtige Thema am Wickel hatte.’“ Alya und Bela nicken: „Das wissen wir doch alles.“ Caro pumpt Luft ein: „Me too.“ Okay, Sarrazin geht gar nicht, und den Deutschland-schafft-sich-ab-Thilo auch noch für eine Themensetzung zu loben – das kann nicht gut gehen. Der Typ hat immerhin idiotische Rassentheorien und meinte, alle Basken (oder Juden) hätten eine genetische Identität oder so. Also ich hoffe, dass ich mit Sarrazin keine genetische Gemeinsamkeit habe.
„Das Problem ist doch, dass alle zu allem immer etwas sagen müssen“, meint Caro, „auch wenn sie dumm, ungebildet oder ,nur’ dogmatisch borniert sind.“ Ob das alles nicht genau so sein müsse in Demokratien, fragt Bela. Darum sei doch Jahrhunderte gekämpft worden. Seit 1789: „Und ich kann doch nicht sagen: Du bist intelligent, du darfst deine Meinung sagen. Du aber, der von Tuten, Blasen und Rachmaninow keine Ahnung hat, halt’ den Mund! Wer sollte so was entscheiden dürfen?“
„Na, du sicher nicht“, meint Caro, und Alya schaut mitleidsvoll drein und nickt. Es stimmt: Es gibt Meinungsfreiheit. Punkt. Juli Zeh sieht man nun in einer Radikalisierungsspirale, weil sie der Meinung ist, dass wir, was Zeh schon in „Über Menschen“ erzählt, selbst Neo-Nazis zuhören sollten. Immerhin ist eines unserer Probleme, dass die meisten nicht aus ihren Selbstbestätigungsbubbles rauskommen. „Also ich frage euch“, sage ich in die Runde: „Sind die radikal, die fordern, dass man Radikalen zumindest zuhören sollte. Oder sind es die, die vom Mainstream abweichende Meinungen gern verbieten würden und brüllen: Bücher verbrennen!“
Schweigen (alle). Schmatzen (Caro). Im Hintergrund röchelt die Kaffeemaschine.
„Juli Zeh muss die letzten Jahrzehnte in diesem Wolkenkuckucksheim gelebt haben, von dem man so viel hört (Rechtschreibfehler von der Redaktion korrigiert)“, meint auch einer der Twitterzwitscherer. Ich frage mich wirklich, was die ganzen Profilneurotiker davon haben, wenn sie zu allem ihren mitunter recht braunen Senf dazugeben und dabei die Hose runterlassen.
„Also ich finde ja“, sagt Caro jetzt (leider mit vollem Mund), „dass der Shitstorm doch gerade Juli Zehs These beweist: dass man in unserer Zeit keine von der Mehrheit abweichende Meinung haben kann, ohne von der Mehrheit dafür als vermeintlich rechts- oder linksradikal gekreuzigt zu werden.“ Caro sollte twittern. Sie könnte das Niveau dort anheben.
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