Kolumne #mahlzeit

Ist Neutöner Karlheinz Stockhausen keine Kunst und kann weg?

Kennt noch jemand Karlheinz Stockhausen? Bela kennt ihn und hasst ihn. Unser Kolumnist Stefan M. Dettlinger verteidigt ihn - aber ein bisschen halbherzig klingt das am Ende schon

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Seit langem liegt neben meinem Schreibtisch eine Graphic Novel über Stockhausen. Stockhausen ist nicht, wie jetzt vielleicht manche meinen, ein Kaff im Odenwald. Vielmehr ist – oder besser: war – Stockhausen ein visionärer Komponist, der das Maul ziemlich weit aufgerissen hat mit Sprüchen wie: „Verbünden kann man sich nur mit der Zukunft.“ Dabei war der Gute mit Doris und Mary verheiratet. Egal. Da Stockhausen Jahrgang 1928 war, wuchs er im Zeitalter übelster Dogmen auf. Nach den Nazis mit ihrem Arier-Käse kam die Avantgarde mit ihrer Adorno-Knechtschaft und wollte allem, was mit der Vergangenheit zu tun hatte, einen Serienmörder auf den Hals hetzen. An Stockhausen kann man sehen, wie die moderne Musik dadurch in eine Sackgasse rauschte. Er gilt der Musikwissenschaft als großer Erneuerer, als Pionier elektronischer Musik und als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Gespielt wird er nie. Es ist wie bei James Joyces „Ulysses“: Alle reden davon. Gelesen hat es (fast) keine. Als junger Mensch habe ich viel Stockhausen gespielt und Joyce gelesen. Es hat mich fasziniert.

„Kennt ihr eigentlich Stockhausen?“, frage ich. „Stockhausen ist Mist“, sagt Bela, „es ist elend quälend. Ich hab’ mal …“ Was das denn sei, fragt Caro. „… die ,Gruppen’ für drei Orchester gehört“, sagt Bela, „ein bisschen Diddldie, ein bisschen Diddlduh, Bumms, Zack, Schhhhh und dann noch viel Pffff und Krrrrrr – Rumms.“ Das wolle doch keiner hören, er lasse sich auch nicht von Musikologen diktieren, was gut sei. Man könne auf Stockhausen genauso verzichten wie auf Joseph Beuys mit seinem Ekelfett und -filz: „Das ist keine Kunst! Das kann weg!“

„Ich wusste ja schon immer, dass du faschistoide Züge hast, Bela. Das war jetzt der Beweis“, meint Caro. Ob sie Stockhausen schon mal gehört habe, fragt Bela Caro überflüssigerweise, worauf sie den Kopf schüttelt. „Dann kannst du hier nicht mitreden, sorry. Stockhausens Musik ist – er zögert – ja, Körperverletzung!“

Also einen Vorwurf kann man unserer Tischrunde sicher nicht machen: dass die Gedanken nicht frei wären. Ich frage mich aber, wie ich als Mitesser aus diesen beiden Polen, dem des Hasses und dem der Unkenntnis, noch etwas Gewinnbringendes hervorkitzeln kann. Ich versuche es so: „Also bei mir hat es da eine Entwicklung gegeben.“ Große Gesichter. „Ich habe Stockhausen gespielt. Klavierstücke. Heute sehe ich das kritischer. Aber damals hat mich daran dasselbe fasziniert wie an Bachs ,Kunst der Fuge’: der Versuch, eine göttliche Superordnung herzustellen, die so kosmisch wie mikrophysikalisch ist.“ Bela: „Hat super funktioniert!“ Ich rede weiter: „Solange man einen Sinn hat für Klang, Raum, Zeit, Philosophie, Religion und Außenseitertum kann man diese Musik lieben und auch daran glauben, dass sie aus Menschen bessere Wesen macht. Kunst kann das.“

Bela prustet los und sagt: „Aber doch nicht der Karlheinz!“ „Sei doch nicht so ignorant, Bela. Du musst das nicht lieben. Aber ernst nehmen musst du es schon.“ Ich glaube, ich schenke Bela das Buch neben meinem Schreibtisch.

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