Interview

Die Scorpions vor Show in Mannheim: "Wohl nie wieder Konzerte in Russland"

Scorpions-Frontmann Klaus Meine und Gitarrist Matthias Jabs sprechen im Interview über den Ukraine-Krieg, die neue Version ihrer Wende-Hymne „Wind Of Change“ und ihre Show am 16. Mai in Mannheim

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Live sind die Scorpions immer noch eine Attraktion (hier 2019 bei Rock in Rio, v.l.): Pawel Maciwoda, Rudolf Schenker, Matthias Jabs und Klaus Meine. © dpa/AP/Leo Correa

Mannheim.. Schon kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine war den Scorpions klar: „Wir können Russland nicht mehr mit Strophen wie ‚Follow the Moskva – Down to Gorky Park‘ romantisieren“, sagte Sänger Klaus Meine im März 2022 bei einem Gastspiel in Las Vegas. Deshalb habe die weltweit erfolgreiche Hardrock-Band aus Hannover als Statement zur Unterstützung der Ukraine den Anfang der Wendehymne „Wind Of Change“ umgetextet.

Jetzt heißt es „Now listen to my heart – It says Ukraine, waiting for the wind to change“ (Hört jetzt auf mein Herz – Es sagt: Die Ukraine wartet auf den Wind, um zu wandeln). Vor ihrem Konzert am 16. Mai in der SAP Arena sprachen wir per Videocall mit dem 74-jährigen Frontmann Meine sowie mit Scorpions-Gitarrist Matthias Jabs (67) über ihre Gefühle in Bezug auf ihr wichtigstes Lied, die große Fanbasis in Russland und die ersten Konzerte in Mannheim.

Herr Meine, was ging Ihnen durch den Kopf, als sie an Silvester am geschichtsträchtigen Brandenburger Tor die neue Version von „Wind Of Change“ gesungen haben?

Klaus Meine: Dass wir an gleicher Stelle schon mal gespielt haben. Aber in entspannteren Zeiten, als man nach 1989/90 den Wind des Wandels auch deutlich gespürt hat. Das Konzert war zehn Jahre nach dem Mauerfall am 9. November 1999 mit 166 Musikern der Berliner Philharmoniker. Heute geht einem da viel durch den Kopf. Vor allem hofft man, dass dieser schreckliche Krieg bald vorbei ist.

Hat schon vor 50 Jahren im Rosengarten gesungen: Klaus Meine. © Marc Theis

Hätten Sie sich vorstellen können, dass der „Wind Of Change“ so heftig rückwärts bläst? Ja nicht nur in Russland, auch in den USA mit Trump & Co., Ungarn, der Türkei, Thüringen oder Sachsen werden autokratische Strukturen stark.

Meine: Damit haben wir doch alle nicht gerechnet. Unsere Generation reibt sich jeden Morgen verwundert die Augen. Wir wachen auf, hören die Nachrichten – und gehen mit den furchtbaren Bildern aus der Ukraine ins Bett. Natürlich hätten wir nie im Leben für möglich gehalten, dass nach so einer langen Friedensphase so etwas im Herzen Europas passieren könnte.

Herr Jabs, wie ist das Feedback von Ihren zahlreichen Fans in Russland?

Matthias Jabs: Ich habe noch ein paar Kontakte- Die Leute sind einfach nicht so informiert wie wir informiert sind. Ich sehe es nicht, dass wir noch mal in Russland auftreten. Nicht wegen der Fans. Die bedauern das natürlich. Aber wegen der äußeren Umstände fühlt es sich einfach nicht richtig an. Ich würde mir allerdings wünschen, dass wir bald in der Ukraine spielen, nachdem der Krieg zu Ende ist.

Die Scorpions sind mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder schon wegen der gemeinsamen Heimat Hannover befreundet. Verstehen Sie seine Position in Bezug auf Wladimir Putins Russland?

Meine: Nein.

Das große Versprechen des Rock ‚n’ Roll seit Chuck Berry oder Elvis in den 1950ern war, dass er dabei hilft, alles etwas liberaler, toleranter und gleicher zu machen. Es scheint sich nicht einzulösen. Oder glauben Sie noch daran?

Jabs: Musik kann auf jeden Fall immer noch eine ganz starke Kraft sein, weil sie Menschen weltweit verbindet. Das sehen wir ja selbst, seit wir nach zwei Jahren Pause wieder weltweit touren dürfen. Es ist toll, zu sehen, welche Wirkung unsere Musik auf die Menschen hat. Allerdings muss man auch sagen, gegen solche Autokraten und Gewalt kommt auch Musik nicht wirklich an.

Gitarrist Matthias Jab findet es die richtige Zeit, sich von Hochglanz-Produktionen zu verabschieden. © Marc Theis

Apropos Glauben an Rockmusik: „Rock Believer“ gilt als das stärkste Scorpions-Album seit Jahrzehnten. Hat Ihnen Ihr Drummer Mikkey Dee von Motörhead den Hochglanz-Sound weggeprügelt?

Meine (lacht): Mikkey war hier in den Peppermint Studios in Hannover am Start. Er hat uns alle motiviert und inspiriert. Wir sind ja schon seit 2016 mit ihm zusammen, haben unzählige Live-Shows gespielt weltweit. Er hat der Band auf jeden Fall einen frischen Shot of Energy gegeben. Gerade hier im Studio war es super: Wir haben alle in dem Raum hier hinter uns zusammengespielt, nicht an getrennten Orten, um es dann irgendwie zusammen zu fügen. Nein, wir haben ganz old-fashioned aufgenommen. Deshalb ist das Album der Scorpions-DNA, die wir zu reaktivieren versucht haben, auch sehr nahegekommen.

Jabs: Ursprünglich war geplant, mit einem amerikanischen Produzenten in Los Angeles aufzunehmen. Durch die Pandemie ging das nicht. Also haben wir ihn gesehen, wie wir Sie jetzt beim Interview sehen: auf einem Bildschirm. Und zwar um 18 Uhr in Hannover, während er mit der Kaffeetasse in der Hand gerade erst früh aufgestanden war. Wir haben schnell gemerkt: So kann man nicht arbeiten. Deshalb haben wir einfach selbst produziert. Und das hat den Effekt gehabt, dass der Hochglanz, den wir auf den vorhergehenden Alben produzentenbedingt hatten, verschwunden ist.

Vor allem die Gitarren klingen frisch wie lange nicht, fast wie auf den Kultplatten der frühen Scorpions. Hätten Sie nicht früher selbst produzieren oder mehr Einfluss nehmen müssen? Sie wissen ja, wie es geht.

Jabs: Ja, das haben wir schon immer gedacht. Wir waren auch immer extrem aktive Musiker, die nicht nur darauf hören, was der Produzent sagt. Wir haben immer Anregungen gegeben, um es noch besser zu machen – egal ob bei Keith Olsen, Dieter Dierks, Bruce Fairbairn oder unserem schwedischen Team. Natürlich hätten wir es auch früher selbst machen können. Aber alles hat seine Zeit. Und jetzt wurde quasi von außen entschieden: Es geht gar nicht anders, weil keiner von A nach B reisen kann. Wahrscheinlich war es einfach der richtige Zeitpunkt.

Michail Gorbatschow (links, 1931-2022), ehemaliger Präsident der Sowjetunion, und Klaus Meine, Sänger der Band Scorpions, unterhalten sich auf einem Treffen in der Gorbatschow-Stiftung 2019 in Moskau. Anlass war der 30. Jahrestag des Mauerfalls © dpa/Deutsche Botschaft Moskau

Einige der neuen Songs kamen auf der bisherigen Tour neben den großen Scorpions-Hits zu Ehren. Wird das auch in Mannheim so sein?

Meine: Wir freuen uns darauf, dass die „Rock Believer“-Tour in Deutschland endlich stattfindet und auch die neuen Songs mit unseren deutschen Fans zu teilen. Wir haben sie ja schon bei mehr als 60 Shows gespielt.

Sechs Wochen später kommen KISS auf ihrer „End Of The Road“-Abschiedstour in die SAP Arena. Am 18. Mai 1976 haben Sie im Rosengarten für die maskierten Kollegen das allererste Deutschland-Konzert eröffnet. KISS waren ja sehr wild unterwegs – haben Sie da eine Anekdote parat?

Eine der erfolgreichsten deutschen Bands

  • Klaus Meine wurde am 25. Mai 1948 in Hannover geboren. Seit 1969 ist er Sänger, Texter und Co-Bandleader der Rock-Band Scorpions. 1980 begann er, auch zu komponieren. Sein größter Erfolg ist die Wende-Hymne „Wind Of Change“.
  • Matthias Jabs kam am 25. Oktober 1955 in Hannover zur Welt und bererbte 1978 Ulli Jon Roth als Lead-Gitarrist der Scorpions.
  • Die Urformation gründete Gitarrist Rudolf Schenker 1965. 1969 stießen sein Bruder Michael und Meine dazu. 1972 erschien das Debütalbum „Lonesome Crow“. 
  • Mit dem Einstieg von Star-Gitarrist Uli John Roth und dem Bass-Virtuosen Francis Buchholz 1973 stieg das Niveau der Band noch und ihre Platten wurden international beachtet.
  • Der große kommerzielle Erfolg kam 1979 mit „Lovedrive“, der Millionenseller „Love At First Sting“ machte die Formation Rudolf Schenker, Meine, Buchholz, Matthias Jabs (Gitarre) und Herman Rarebell zu Weltstars. Dank der Ballade „Wind Of Change“ verkaufte sich ihr elftes Album „Crazy World“ (1990) am Besten: über 14 Millionen Mal. Mit mehr als 110 Millionen verkauften Tonträgern zählen die Scorpions zu den erfolgreichsten Rock-Bands überhaupt.
  • Auf der Tour zum 19. Studioalbum „Rock Believer“ spielen die Scorpions am Dienstag, 16. Mai, 20 Uhr, in der Mannheimer SAP Arena. Karten: eventim.de ab 89,60 Euro plus Gebühren.

Meine (lacht): 1976? Wir sind da backstage am Start gewesen und sind den Kollegen wohl auch mehrmals über den Weg gelaufen. Aber man kannte ja damals keinen von denen ohne Masken und Schminke. Insofern hätten das auch die Roadies sein können. Aber es war eine Supershow, sehr beeindruckend mit Pyro-Effekten und Krachern auf der Bühne. Wir dachten, die wollen den ganzen Rosengarten in die Luft sprengen. Wir mussten wie so oft in diesen Jahren richtig Gas geben, wenn wir irgendwo im Vorprogramm gespielt haben. Das waren gute Lehrstunden, wenn man gegen den Hauptact bestehen wollte.

Ihr eigenes Mannheim-Debüt liegt noch länger zurück: Die Scorpions haben vor 50 (!) Jahren auf der „Lonesome Crow“-Tour gleich dreimal im Rosengarten gespielt, Januar, April und November. Können Sie sich daran noch erinnern?

Meine: Ich kann mich an den Rosengarten erinnern (lacht). Bei all diesen Gigs in den frühen 70ern musste man immer alles geben, um weiterzukommen. Damit beim nächsten Mal noch mehr Fans kommen. So haben wir uns früh eine Fanbasis aufgebaut, ab 1975 auch in England und Benelux. 200 Prozent volles Brett jeden Abend und das am Besten sechsmal die Woche.

Auch deshalb bekam das jüngste Scorpions-Album "Rock Believer" gute Kritiken, hier präsentiert von der Kernbesetzung Matthias Jabs (links), Klaus Meine und Rudolf Schenker . © dpa

KISS sind ja auf Abschiedstour. Von dem Etikett haben sich die Scorpions verabschiedet, oder?

Jabs: KISS haben das Etikett vor 20 Jahren ja erfunden, glaube ich. Und wir haben es vor zehn Jahren auch schon mal angekündigt. Aber das haben wir tatsächlich verabschiedet: Bei uns heißt es jetzt „Open end“ – Ende offen.

Mannheim und Hannover haben eins gemeinsam: Es sind die beiden einzigen deutschen Städte im Citys-of-Music-Netzwerk der Unesco. Wie macht sich das in Hannover bemerkbar?

Meine: Es gibt hier Musikzentren, in denen auch über diese Initiative Proberäume für die jungen Bands geschaffen wurden. Da sieht man immer mal ein Schild am Eingang: Hannover City of Music. Darüber hinaus könnte hier sicher noch mehr passieren, um dieses wichtige Thema gerade für junge Musiker mehr zu unterstützen.

Was denken Sie, welche Musik würden die Scorpions machen, wenn Sie heute 18 wären?

Meine: Ich glaube, wir würden es ganz genau so wieder machen. Die großartigen Bands aus den 60ern wie die Beatles, die Stones, The Who und die ganze gitarrenorientierte Musik, die uns gefallen hat, würde uns heute auch beeinflussen. Classic Rock ist ja immer noch da. Das ist ein Grund, warum wir das Album „Rock Believer“ genannten haben. Weil wir sehen es ja auf unseren weltweiten Tourneen: Rock ist nicht tot, wie es immer wieder behauptet wird. Es gibt immer wieder eine junge Generation, die klassischen Rock neu entdeckt – und neue Rocksongs schreibt.

Wie geht’s nach der Tour weiter?

Jabs: Die Tour geht bis Juli 2023. Wir sind jetzt gerade dabei, die Weichen zu stellen für 2024. Also zu schauen: Was wollen wir machen? Da ist auf jeden Fall noch jede Menge Gas in the Tank.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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