Um Alpträume, Urängste und apokalyptische Fantasien geht’s im Kino gerne. Seelenlandschaften werden bebildert, der Nervenkitzel wird bewusst gesucht, das Happy End - zu dem es den Zeiten entsprechend immer seltener kommt - soll Erlösung bringen. Die Realität kann aber viel schlimmer, viel grausamer sein. Filme spiegeln die Wirklichkeit, lösen sie aber keinesfalls aus. Womit man beim Kino von Christoper Nolan, berühmt für seine „Dark Knight“-Trilogie, ist. Eine Vielzahl seiner Werke, siehe „Inception“ oder „Tenet“, reflektieren weniger die Welt, als unsere Wahrnehmung von ihr. Er führt vor, dass alles was wir sehen, wünschen oder fürchten, von uns selbst ersonnen, erschaffen und umgesetzt worden ist.
Für den perfekten Look
Dabei legt der 1970 geborene Londoner besonderen Wert auf Authentizität und technische Perfektion. Er ist einer der wenigen zeitgenössischen Regisseure, der es schafft, seine aufwendigen, sündhaft teuren Produktionen zu finanzieren und gemäß seinen Vorstellungen umzusetzen. Dabei gibt ihm der Erfolg recht, weltweit mehr als fünf Milliarden Dollar haben seine Extravaganzen eingespielt, elf Oscars und 36 Nominierungen erhalten. Extrem wichtig ist ihm der perfekte Look, wofür er - wie Quentin Tarantino („The Hateful Eight“) oder Kenneth Branagh („Mord im Orient-Express“) - gerne auf 65mm-Analogmaterial dreht.
Cillian Murphy - irischer Charakterkopf
- Die stechenden Augen, das kantige Kinn und die sinnlichen Lippen machen ihn unverwechselbar: Cillian Murphy, den das (TV-)Publikum als Boss der Gangsterbande „Peaky Blinders“ (2013 - 2022) kennt.
- 1976 wurde er im irischen Douglas geboren, den Wunsch Anwalt zu werden gab er nach abgebrochenem Jura-Studium am University College Cork auf, spielte Gitarre und sang in einer Band namens Sons of Mr. Greengenes, besuchte einen Theater-Workshop und landete auf der Bühne, wo er 1996 in einer Inszenierung von Enda Walshs „Disco Pigs“ überzeugte - wie 2001 in der Kinoadaption von Kirsten Sheridan.
- Seit 1997 ist der wandelbare Mime auf der Leinwand zu bewundern, den Durchbruch schaffte er 2002 in Danny Boyles Dystopie „28 Days Later“, überzeugende Auftritte absolvierte er in Ken Loachs „The Wind that Shakes the Barley“, Wally Pfisters „Transcendence“ und Say Potters „The Party“.
- Murphy, der regelmäßig von Christopher Nolan besetzt wird - siehe „Batman Begins“, „The Dark Knight“, „Inception“ oder „Dunkirk“ -, ist seit 2004 mit der Künstlerin Yvonne McGuiness verheiratet. Das Paar hat zwei, 2005 bzw. 2007 geborene Söhne.
Der Grund für den Rückgriff auf diese bereits 1896 entwickelte Technik liegt auf der Hand: die Bildqualität. Im vollen, auf 70mm projizierten Format kann eine Auflösungen von bis zu 16K erreicht werden, während im Home-Entertainment-Bereich zur Zeit 4K Standard sind. Hinzu kommt - neben dem schärferen Bild - der Umstand, dass schlicht wegen der Größe des zu belichtenden Materials mehr Platz für Details und ein größerer Farbraum zur Verfügung stehen. Der Nachteil: der Preis. Bereits 1962 kostete eine Kopie von David Leans „Lawrence von Arabien“ rund 70 000 Dollar. Was Nolan nicht abschreckte, bei seinem aktuellen Opus auf einer Kombination aus IMAX-65mm- und 65mm-Großbildfilm zu drehen - sowie zum ersten Mal in der Leinwandhistorie teilweise auf IMAX-Schwarzweiß-Analogfilm.
Film zeigt das Leben von Julius Robert Oppenheimer
„Oppenheimer“ führt, wie bereits Nolans (Anti-)Kriegsfilm „Dunkirk“, in die Geschichte zurück. Im Zentrum des Biopics steht Julius Robert Oppenheimer (1904-1967), theoretischer Physiker deutsch-jüdischer Abstammung. Das Drehbuch hat der Filmemacher mit Kai Bird und dem zwischenzeitlich verstorbenen Martin J. Sherwin geschrieben, das Pulitzer-Preis-prämierte Sachbuch „J. Robert Oppenheimer: Die Biographie“ des Autorenduos diente als Vorlage, als Chefkameramann fungierte der altbewährte Hoyte Van Hoytema.
Der Fokus liegt konsequent auf den von Cillian Murphy mit Verve gespielten, höchst ambivalenten Titelhelden. Ein brillanter, von Albträumen geplagter Mann ist dieser. In nur sechs Wochen lernt er Dänisch, auf dem Gebiet der Quantenphysik ist er ein Pionier. Privat sympathisiert er mit dem Kommunismus, tritt jedoch nie der Partei bei. Oppenheimer liegt es am Wohl des Individuums, er glaubt an Chancengleichheit, an Freiheit, ob geistig oder physisch. Aber er hat auch Schattenseiten, ist arrogant, unnahbar und ein Schürzenjäger. Dennoch, so findet der hochrangige Militär Leslie Groves (Matt Damon), ist er der geeignete Mann, um das geheime Manhattan-Projekt in Los Alamos in der Wüste New Mexicos zu leiten. Ziel ist es, eine Nuklearwaffe zu entwickeln, um den Zweiten Weltkrieg zu beenden. Was schließlich mit dem Abwurf der Atombomben auf die japanischen Metropolen Hiroshima und Nagasaki gelingt - und in Oppenheimer, zunächst als „Vater der Atombombe“ gefeiert, dann von breiten Bevölkerungsschichten verdammt, tiefe Zweifel an seinem Tun weckt.
Spionage und Verrat
In den Jahren 1941 bis 1949 ist der Plot verortet. Man wird Zeuge, welche Mühen der Bau der „Superwaffe“ bereitet, erfährt von den Intrigen im Hintergrund. Um Spionage geht es, um Verrat, um Lewis Strauss (Robert Downey Jr.), Mitbegründer der Atomenergiekommission, der den genialen Wissenschaftler zunächst fördert, dann jedoch als Landesverräter denunziert, um die eigene Polit-Karriere voranzutreiben. Zudem wird Oppenheimers schwierige Ehe mit der Biologin „Kitty“, brillant verkörpert von Emily Blunt, thematisiert.
Die wechselvolle Geschichte eines „modernen Prometheus“, der in der Mythologie den Göttern das Feuer stahl und dafür ewig bestraft wurde. Die Mär eines Egozentrikers, der die Zerstörung der Welt riskiert, um sie zu retten. Inmitten eines Schaulaufens der Stars: Branagh als pazifistischer Physiker Niels Bohr, Matthias Schweighöfer als Werner Heisenberg, Begründer der Quantenmechanik, Tom Conti als Albert Einstein oder Florence Pugh als Psychiaterin Jean Tatlock, die sich wohl aus Hassliebe zu Oppenheimer das Leben nimmt.
Ein ambitioniertes, überbordendes Projekt, technisch makellos umgesetzt. Das donnernde Tondesign lässt immer wieder die Kinosessel vibrieren, fast nonstop setzt einem der kreischende (Geigen-)Score von Ludwig Göransson („Black Panther“)- geradezu körperlich schmerzhaft - zu. Bis dieser schlagartig beim gelungenen Bombetest abbricht. Um den optischen Overkill noch zu unterstreichen. Weniger wäre insgesamt vermutlich mehr gewesen, auch in Sachen Laufzeit von drei Stunden. Dann jedoch hätte wohl jemand anders als Christopher Nolan auf dem Regiestuhl Platz nehmen müssen.
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