Niemand kreiert so verquere Filmwelten wie der Texaner Wes Anderson. Unverwechselbar sind seine Filme, visuell überbordend, eigenwillig in Stil, durchgeknallt in Sachen Handlung. Zehn Kinofilme hat er seit seinem Kurzfilmdebüt mit „Bottle Rocket“ (1994) realisiert, für sieben Oscars wurde er nominiert. Kritiker- und Publikumsliebling ist er, regelmäßiger Gast auf den Filmfestspielen weltweit. „The Darjeeling Limited“ lief in Venedig, „Grand Budapest Hotel“ - mit dem großen Preis der Jury belohnt - in Berlin, „The French Dispatch“ in Cannes...
An die Côte d’Azur ist er dieses Jahr zum dritten Mal gereist, hat dort mit „Asteroid City“ Weltpremiere gefeiert. Heiß erwartet, frenetisch beklatscht, am Roten Teppich inmitten seines illustren Ensembles, darunter Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Tom Hanks, Jeffrey Wright und Adrien Brody, lautstark gefeiert. Für die gewerkschaftlich vereinbarte Minimalgage haben die renommierten Darstellerinnen und Darsteller sich dem Kult-Regisseur zur Verfügung gestellt. Nach dem Motto: Dabeisein ist alles. Eine Ehre die bislang nur inzwischen dem in Ungnade gefallenen Woody Allen zuteil wurde.
Nur mit einem Preis wurde es 2023 nichts, selbst die Kritiken waren insgesamt eher verhalten. Dabei bekommt man es wieder mit einem für Anderson typisches Werk zu tun. Zurück in die 1950er geht es. Ins Titel gebende Wüstennest, in dem - so verrät das Ortsschild - 87 Menschen leben. Vor ein paar tausend Jahren ist hier ein Meteorit eingeschlagen, seitdem besuchen Touristen den Ort. Ein Observatorium gibt’s, eine Autowerkstatt mit einer Zapfsäule, einen Diner und ein Motel, wo jüngst wegen eines Kurzschlusses ein Bungalow abgebrannt ist. Den hat der Betreiber (Steve Carell) einfach durch ein Zelt ersetzt.
Viel schräges Personal
Nun steht vor Ort wieder der regelmäßig stattfindende „Junior Stargazer“-Kongress an. Höhepunkt der „Sternengucker“-Veranstaltung ist die Auszeichnungsverleihung an die fünf besten Nachwuchserfinder. Soweit alles wie gehabt. Bis ein Raumschiff auftaucht, dem ein diebischer Alien - im Kostüm steckt der schlaksige Jeff Goldblum - entsteigt. Ganz klar. Eine Invasion, ein Fall fürs Militär. Kurzerhand erklärt Fünf-Sterne-General Gribson (Wright) das Kaff zum Sperrgebiet. Zum Ärger aller Anwesenden. Unter ihnen der verwitwete Kriegsfotograf Mitch Campbell (Schwartzman) und seine vier Kinder, sein Schwiegervater Stanley (Hanks) sowie die berühmte Schauspielerin Midge Campell (Johansson) nebst ihrer hochbegabten Tochter Dinah (Grace Edwards).
Viel schräges Personal. Dafür ist der Filmemacher, der zudem das Drehbuch verfasst hat - erneut nach einer von ihm und Kumpel Roman Coppola („Isle of Dogs - Ataris Reise“) ersonnen Story - schließlich bekannt. Dem Plot hat er noch einen Rahmen gegeben, ihn in eine Fernsehsendung eingebettet. Diese wird von Bryan Cranston („Breaking Bad“) moderiert, der den Autor Conrad Earp (Edward Norton) bei der Arbeit an seinem jüngsten Stück - Titel: „Asteroid City“ - begleitet. Mit diesem Dialoge, Akte und Besetzung diskutiert, während die Figuren zwischen den klar getrennten Ebenen - einerseits schwarzweißes 4:3-TV-Format, andererseits bunte Breitwandbilder - hin und her wechseln.
Wandelbare Johansson
- Sie ist Muse, Vamp, Wunderkind und Workaholic: Scarlett (Ingrid) Johansson, die Robert Redford als 13-Jährige in „Der Pferdeflüsterer“ besetzte.
- Schon als Dreijährige begann sie sich für die Schauspielerei zu interessieren, belegte Schauspielkurse und gab achtjährig neben Ethan Hawke in „Sophistry“ ihr Bühnendebüt. Zwei Jahre später war sie in der Komödie „North“ erstmals im Kino zu sehen, ihre erste Hauptrolle spielte sie 1995 in „Manny & Lo“. Zum Star avancierte sie in Sofia Coppolas „Lost in Translation“ – Darstellerpreise beim Filmfestival von Venedig und ein BAFTA Award inklusive. Seither war die 1984 geborene New Yorkerin für „Jojo Rabbit“ bzw. „Marriage Story“ jeweils für einen Oscar nominiert.
- Johansson, Mutter zweier Kinder, war mit Ryan Reynolds und Romain Dauriac verheiratet. 2020 ehelichte sie den „Saturday Night Live“-Autor Colin Jost.
Vielschichtigkeit ist in allen Belangen angesagt. Souverän zündet Anderson sein optisches wie akustisches Feuerwerk, das sich aus zahlreichen mal mehr, mal weniger launigen Vignetten und gewohnt gestelzten Wortwechseln zusammensetzt. Im Hintergrund steigen Atombombenpilze in den Himmel, im Vordergrund kreuzen sich die Wege der Stars. Margot Robbie schaut vorbei, Willem Dafoe, der auf den klingenden Namen Saltzburg Keitel hört, Tilda Swinton als Wissenschaftlerin Dr. Hickenlooper, was wohl als Hommage an den Independent-Filmer George Hickenlooper zu deuten ist. Die Kids erweisen sich als schlauer und tatkräftiger als die Erwachsenen, Hanks glänzt als Comedy-Minimalist und Johansson karikiert, die Augen hinter einer Sonnenbrille mit ovalen Gläsern versteckt, ihr eigenes Image.
Streng symmetrisch komponiert Kameramann Robert Yeoman („Die Royal Tenebaums“) seine pastellfarbenen Aufnahmen, süperb fallen die liebevoll gestalteten Sets aus, Wimmelbildern gleich gibt es in jeder Einstellung etwas zu entdecken. Der Soundtrack von Alexandre Desplat („Argo“) geht ins Ohr, genauso wie die zig 50ies-Oldies. Doch irgendetwas fehlt, man meint schon alles zu kennen. Man unterhält sich, bleibt aber unzufrieden. Vielleicht weil Bill Murray fehlt, oder Andersons alter Weggefährte und Ideenlieferant Owen Wilson.
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