Pionier der Klimaforschung

Karl Friedrich Schimper: In Mannheim geboren, in Schwetzingen gestorben

Der in Mannheim geborene Naturkundler Karl Friedrich Schimper hat den Begriff „Eiszeit“ geprägt und ist ein Pionier der Klimaforschung. Die Lorbeeren erntete dafür aber lange ein Studienfreund. Verarmt starb Schimper in Schwetzingen.

Von 
Peter W. Ragge
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© REM

Sie haben Flecken, sind vergilbt und etwas verknittert. Aber sie sind der Beweis. „Die Eiszeit“ lautet die Überschrift der vier Blätter, die vom 15. Februar 1837 stammen. Von „Frost’s Reich“ ist da die Rede, das gewaltig sei, dazu von einem Winter, der das Herz Europas bedeckt und einst gar Heimat von Eisbären war. In diesem Gedicht hat Karl Friedrich Schimper erstmals den Begriff „Eiszeit“ verwendet. Jetzt ist es in der Ausstellung „Eiszeit-Safari“ der Reiss-Engelhorn-Museen zu sehen – als Beleg, dass dieses Wort auf den Mannheimer Naturforscher zurückgeht.

Aufgewachsen ist Schimper genau da, wo jetzt die Ausstellung „Eiszeit-Safari“ läuft – in D 5,9. Geboren wird er am 15. Februar 1803; in jenem Jahr also, als die rechtsrheinische Kurpfalz an Baden fällt. Das hat Folgen für den Vater, der als kurpfälzischer Ingenieurleutnant nicht vom badischen Staat übernommen wird. Daher tritt er in russische Dienste. 1814 wird die Ehe der Eltern geschieden, die Mutter muss Karl Friedrich und seinen jüngeren Bruder Georg Wilhelm alleine großziehen.

Tüchtiger Schüler

Ausstellung „Eiszeit-Safari“

Ort: Reiss-Engelhorn-Museen, Museum Weltkulturen, D 5, 68159 Mannheim, Tel.: 0621/293 37 71

Öffnungszeiten: Bis 13. Februar 2022 dienstags bis sonntags sowie an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr. Am 24. und 31. Dezember geschlossen.

Eintritt: Erwachsene 13,50 Euro, Kinder und Jugendliche (6-18 Jahre) 4,50 Euro, Begünstigte 11,50 Euro (inklusive Ausstellung „Versunkene Geschichte“ in D 5).

Corona-Regeln: Besuch derzeit nach den 3-G-Regeln (geimpft, genesen oder getestet), mit Erfassung der Kontaktdaten (Luca-App oder Formular) sowie Maskenpflicht. Von der Impf-/Testpflicht ausgenommen sind Kinder/Schüler. Alle Mitmachstationen werden desinfiziert, es gibt Geräte zur Luftreinigung.

Führungen: Öffentliche Führungen jeweils sonntags um 15 Uhr; sie sind auch für Kinder ab 6 Jahren geeignet.

Zusatzangebote: Kostenlose App mit zahlreichen Multimediainfos und Spielen. Der Download erfolgt kostenfrei über App-Stores oder per QR-Code im Museum. Zudem gibt es ein Begleitbuch (10 Euro), ein gesondertes Begleitheft für Kinder (4 Euro) und eine Faltkarte mit Eiszeit-Ausflugstipps in der Region (kostenlos), dazu im Internet unter digital.rem-mannheim.de Podcast und Videos.

Buchtipp: „Entlang des Rheins von Basel bis Mannheim. Wanderungen in die Erdgeschichte“, Verlag Dr. Friedrich Pfeil, an der Museumskasse zum Preis von 25 Euro.

Anfahrt: Ab Hauptbahnhof Mannheim Stadtbahnlinien 1, 3, 4 und 5 bis Paradeplatz, dort umsteigen in die Linie 2 oder 6 eine Station bis Haltestelle Rathaus/REM. Mit dem Auto bis Toulonplatz (Einfahrt Tiefgarage).

Künftige Veranstaltungen: Die Reiss-Engelhorn-Museen und die Stadt Schwetzingen wollen Karl Friedrich Schimper künftig jährlich gemeinsam mit einer besonderen Veranstaltung ehren.

Dennoch darf Karl Friedrich Schimper das angesehene Lyceum in A 4, Vorgänger des heutigen Karl-Friedrich-Gymnasiums, besuchen. „Er ist ein mustergültiger Schüler“, weiß Hiram Kümper, Professor am Historischen Institut der Universität Mannheim, der sich lange mit dem Nachlass Schimpers befasst hat. Daraus geht hervor, dass dem Schüler schon früh „tüchtiges und gelungenes Streben“ sowie ein „gutes und bescheidenes Betragen“ bescheinigt wird, so dass er 1822 auf die Universität Heidelberg wechseln darf.

Möglich machen das Stipendien wegen seiner guten Noten. Geld bekommt er unter anderem von, wie Kümper sagt, „reichen Hofratsgattinnen“, wie das damals üblich ist. Aber im Nachlass finden sich auch Briefe, in denen er zur Sparsamkeit ermahnt wird. Wenn er schon im Gasthaus speise, reiche doch abends Bier und Brot, heißt es darin. Von der Mutter hat der junge Karl Friedrich kein Geld zu erwarten – die wohnt in kargen Verhältnissen, zeitweise sogar im städtischen Armenhaus in R 5.

Anfangs in Theologie eingeschrieben, entwickelt er aber schnell tiefgreifendes Interesse an Naturwissenschaften, besonders Botanik. Bereits als Schüler hilft Schimper 1821 seinem Lehrer, dem Arzt und Botanik-Professor Friedrich Wilhelm Succow, bei der Herausgabe der „Flora Mannhemiensis“, einer Bestandsaufnahme der 313 in der Stadt vertretenen Pflanzenarten. Im Vorwort würdigt der Autor, dass Schimper „mit großem Fleiß“ die nötigen Pflanzen gesammelt habe.

Er dichtet lieber

Diese Liebe zur Botanik wird immer stärker – wobei auch ein väterlicher Freund Schimpers eine wichtige Rolle spielt: der badische Gartendirektor Johann Michael Zeyher, unter anderem verantwortlich für den Schwetzinger Schlossgarten. Schimper lernt in seinem Haus am Schlossgarten Zeyhers Pflegetochter Sophie Wohlmann kennen, lieben und sie verloben sich. Er pflegt für Zeyher zeitweise das Herbarium, also die Sammlung getrockneter, konservierter Pflanzenteile.

Von der Theologie schwenkt Schimper 1826/27 um zur Medizin, aber immer intensiver widmet er sich den Pflanzen. Er lebt von Stipendien, schlägt sich als Privatgelehrter durch. „Je mehr er sich als Wissenschaftler profiliert, umso selbstbewusster wird er“, schließt Kümper aus den Unterlagen.

Mit zwei Studienfreunden, Alexander Braun und Louis Agassiz, wechselt Schimper nach München. Schon 1829 wird er promoviert. Er lehrt, wird bekannt durch seine Blattstellungstheorie, wonach Blätter sich am Stängel einer Pflanze regelmäßig ordnen. Seine später als bahnbrechend betrachtete Theorie legt er dar am Beispiel vom Beinwurz, den er ausführlich erforscht und zu Ehren von Johann Michael Zeyher Symphytum Zeyheri nennt.

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Doch da passiert ihm bereits, „dass andere Leute seine Erkenntnisse publizieren“, wie Hiram Kümper sagt. Es gebe nämlich zwei Probleme: „dass Schimper sich regelmäßig für intelligenter hält als seine Freunde – und es vielleicht auch ist“.

Andererseits hat Schimper die Eigenart, seine Erkenntnisse in Reime zu fassen, Gedichte zu veröffentlichen und sich lieber der Lyrik zu widmen – doch wissenschaftliche Publikationen vernachlässigt er. Alexander Braun schreibt daher mit, was Schimper bei einem Vortrag 1834 vor Naturforschern über seine Blattstellungslehre sagt – und publiziert es. Darüber kommt es zum Bruch mit dem Freund.

Schimper dichtet lieber – und forscht weiter. Ihm fällt auf, dass im Voralpenland aber auch in Baden einzelne, teils riesige Felsen auftauchen, die nicht zu den sonst vorkommenden Gesteinen passen und nicht von Menschenhand dorthin bewegt sein können. „Sie liegen unvermittelt in der Landschaft“, so Wilfried Rosendahl, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen und verantwortlich für die Entwicklung der Ausstellung „Eiszeit-Safari“. Diese, wie man sagt, „Findlinge“ führt Schimper darauf zurück, dass solche Gletscher, wie er sie aus den Alpen kennt, auch anderswo gewesen sein müssen – denn nur derart gewaltige Eismassen könnten solche schweren Felsen bewegen.

Wirkung der Gletscher

„Das aus der Natur gelesen zu haben, ist sein Verdienst“, betont Rosendahl. Schimper entwickelt daraus die Eiszeit-Theorie und wird zum ersten Klimaforscher. Er beobachtet, kombiniert und weist nach, dass vor etwa 11 600 Jahren, während der letzten Eiszeit, „weite Teile des Kontinents mit Gletschern bedeckt sind, aber längst nicht alles“, so Rosendahl. Die nördliche Linie sei in der Höhe von Hamburg verlaufen, im Süden habe sich die Eisfläche bis etwa zum heutigen Rosenheim erstreckt. Bodensee oder Gardasee seien durch schmelzende Gletscher entstanden. „Dazwischen war eisfrei, auch bei uns“, bekräftigt Rosendahl, „es gab hier keine durchgehenden Minusgrade, sondern eine sehr vielfältige Tier- und Pflanzenwelt“.

Bei diesem Thema versäumt es Schimper erneut, seine Erkenntnisse über „Weltsommer und Weltwinter“, Klimaschwankungen und Zeiten der Vereisung fundiert zu publizieren. Lieber schreibt er Gedichte, hält Vorträge. Bei einer Tagung der Naturforscher im schweizerischen Neuenburg 1837 soll Schimper seine Eiszeittheorie vortragen – aber er fährt nicht hin. Das übernimmt Louis Agassiz – eigentlich Zoologe, „aber man ist ja befreundet“, wie Rosendahl sarkastisch anmerkt. Aber von wegen Freundschaft! Statt die von Schimper verfasste und per Brief an Agassiz geschickte „Ode an die Eiszeit“ mit poetischen Versen über den Weltwinter zu verteilen und klar auf den Urheber hinzuweisen, macht Agassiz sich einfach die Thesen Schimpers in einem eigenen Vortrag zu Eigen. „Er hält nicht, wie eigentlich geplant, einen Vortrag über fossile Fische, sondern referiert selbst über Gletscher und Steine“, merkt Rosendahl kritisch an.

Die diebische Elster

Der Museumsdirektor bezeichnet Agassiz als „Karrierist und guten Verkäufer“ – im Gegensatz zu Schimper, dem etwas verträumten, eigensinnigen Poeten. „Schimper beschwert sich bei Agassiz, die Freundschaft zerbricht“, so Rosendahl. Dabei sei Schimpers „Ode an die Eiszeit“ eindeutig „die Geburtsstunde des Wortes Eiszeit“ und der in Mannheim geborene Forscher das traurige Opfer eines Verrats. „Er wurde totgeschwiegen“, bedauert Rosendahl. Schimper ist so sauer, dass er von „literarischem Straßenraub“ spricht – seine Gedichte bleiben ihm stets wichtiger als die Naturwissenschaft– und in einem 1840 veröffentlichten Gedicht Agassiz als „diebische Elster“ (La pie agasse) bezeichnet. Als Agassiz wiederum 1841 ein dickes Buch über Gletscher herausbringt, erwähnt er Schimper und seine Urheberschaft bei dem Thema mit keinem Wort. „Das führt dazu, dass Agassiz international lange als Entdecker der Eiszeit galt – das bröckelt aber momentan immer mehr“, stellt Rosendahl befriedigt fest.

Schimper aber zerbricht daran. Er forscht zwar weiter. Doch daraus, dass ausbleibende wissenschaftliche Veröffentlichungen wie beim Thema Eiszeit ihm schaden, hat er nichts gelernt. Der bayerische Kronprinz Maximilian II. Joseph beauftragt Schimper zwar 1840, die Entstehung der Alpen zu ergründen. Dabei weist der gebürtige Mannheimer nach, dass das monumentale Gebirge nicht – was damals herrschende Meinung war – durch eine vulkanische Bewegung von unten her entstanden sein kann, sondern sich durch enormen horizontalen Druck Falten aufgebaut haben. Das nimmt man ihm lange nicht ab; heute ist es längst anerkannt. Doch Schimper hat das lediglich auf Pappe gekritzelt, nicht korrekt publiziert. Weil er den geforderten Bericht schuldig bleibt, entzieht ihm der bayerische Staat die Unterstützung.

Wohnung im Schloss

Als Privatgelehrter kehrt er 1843 nach Mannheim zurück, verbittert und mittellos. „Ständig hat er Schulden bei Vermietern, Gastwirten, Buchhändlern“, zählt Hiram Kümper auf. Mehrfach zieht er um, zeitweise wohnt er in dem Quadrat, in dem er aufgewachsen ist und in dem heute das Museum steht – nun in D 5,4, in der Gaststätte „Zum Weinberg“. Zeitweise versucht, wie Kümper dem Nachlass entnimmt, ein „Schimperkomitee“ aus wohlhabenden Bürgern den Lebensunterhalt des angesehenen, aber verarmten Forschers zu sichern. Ab 1845 gewährt Großherzog Leopold von Baden zumindest eine kleine Pension.

Wissenschaftlich hat Schimper weiter enormen Erfolg. Er gilt als Pionier zur Paläoklimatologie. 1849, im Zuge der Nachwehen der Badischen Revolution, verlässt der Forscher Mannheim und zieht erst in wechselnde Gaststätten und 1863 in das Schwetzinger Schloss, wo ihm der Großherzog eine kleine Wohnung zur Verfügung stellt und eine Rente zahlt. Hier kümmert sich Sophie Wohlmann um ihn – in alter Freundschaft, obwohl er 1830 die Verlobung mit ihr gelöst hatte. Als Schimper im Juni 1867 auf dem Weg vom Schloss zur Wohnung Sophies überfallen wird, trägt er schwere Verletzungen davon. Er bleibt ans Bett gefesselt und stirbt am 21. Dezember 1867 mit erst 64 Jahren.

Unrecht geschehen

In Schwetzingen ist eine Schule, im Mannheimer Stadtteil Neckarstadt eine Straße und in der Antarktis ein Gletscher nach ihm benannt. Und noch immer steht in der Nähe vom Haus Oberrhein am Rheinufer der „Schimperasso“, wie der Volksmund jenen Findling getauft hat, den der Naturforscher selbst 1837 in der Nähe der damaligen Gaststätte „Rheinlust“ hat aufstellen lassen.

Ganz in der Nähe, auf der Bismarckstraße vor dem Schloss, würdigt nun eine Bronzetafel der „Kurpfälzer Meile der Innovationen“ Schimper und seinen bedeutenden Beitrag als Entdecker der Eiszeit. „Ehre wem Ehre gebührt“ sagt Rosendahl dazu. Der Forscher habe es „längst verdient, dass man seine wichtige Arbeit mehr ins Bewusstsein bringt und dass er endlich Gerechtigkeit erfährt – denn ihm ist Unrecht geschehen“, so Rosendahl.

Redaktion Chefreporter