Als der noch unbekannte bulgarische Künstler Christo im März 1958 nach Paris kommt, da nimmt er seine Wohnung in der Rue Quentin Bouchart. Von seinem Dachfenster aus sieht er jeden Tag den Arc de Triomphe. Und so reift in ihm und bei seiner Frau Jeanne-Claude, die er in Paris kennenlernt, der Traum, dieses historische Bauwerk zu verhüllen. Nach 60 Jahren des Wartens ist die Aktion für September 2020 vorgesehen. Doch im Mai 2020 stirbt Christo. Nun setzt sein Neffe Vladimir Yavachev die Aktion um: Noch bis diesen Sonntag verbirgt sich eines der Wahrzeichen von Paris unter 25 000 Quadratmetern recyclebarem, silberblauem Stoff, verbunden durch mehrere Kilometer rote Seile.
Und wieder einmal bewahrheitet sich die Weisheit: Wer etwas verhüllt, der bringt es erst recht in die Öffentlichkeit. Plötzlich steht der Arc im Blickfeld der Welt, findet seine spannende Geschichte Interesse.
Der Geburtsort des Arc liegt in einem Feld auf einer Hochebene in der heutigen Tschechischen Republik. Hier, bei dem Ort Austerlitz, besiegt Napoleon am 2. Dezember 1805 die Armeen der alten Monarchien Europas. Historisch der Start einer neuen Epoche, militärisch ein Geniestreich, der daher noch heute in vielen Militärakademien der Welt Unterrichtsstoff ist. Diesen Sieg will Napoleon baulich verewigen
Auftraggeber Napoleon
Der Kaiser, fasziniert vom Imperium Romanum und bestrebt, Paris zum neuen Rom zu machen, wählt dafür die architektonische Form des Triumphbogens. Eine Pforte, die im Alten Rom nach siegreichen Schlachten von Heerführern und Soldaten durchschritten wird, quasi als ein heiliger Akt, der die Kämpfer vom Furor des Krieges reinigt.
Nach dem Vorbild des Titusbogens, im 1. Jahrhundert im Herzen des Forum Romanum entstanden, lässt Napoleon am Stadtrand seinen Arc errichten. Am 15. August 1806, seinem 37. Geburtstag, wird in acht Metern Tiefe der Grundstein gelegt.
Das Fundament muss so tief sein, denn der Bau wird 50 Meter hoch, zwölf Meter höher als der Reichstag, 45 Meter breit und 22 Meter tief. Alleine die Fundamentierungsarbeiten dauern zwei Jahre. Noch vier Jahre nach Baubeginn stehen die vier Pylone nur bis zu einem Meter Höhe. Die Steine kommen aus der Umgebung von Paris, ähneln Marmor, genauso weiß, aber noch härter und schwerer. So sehr, dass sie per Schiff bei seichtem Wasserstand der Flüsse nicht transportiert werden können.
Nicht das einzige Problem, das der Fertigstellung des Projektes entgegensteht. Im Januar 1811 stirbt Architekt François Chalgrin, in der gleichen Woche sein Nachfolger. Und 1814 verliert der Bauherr seine Macht: Napoleon hat seinen Triumphbogen nie vollendet gesehen.
Vollendung erst 1836
Zwölf Jahre lang tut sich nichts. 1823 lässt König Louis XVIII. die Arbeiten wieder aufnehmen. Die vier Pylone zeigen große Reliefs, das eindrucksvollste an der Ostfassade, das den Auszug von Freiwilligen in die Schlacht zeigt. Das Gesicht der schreienden Gestalt, für das Bildhauer François Rude das seiner Ehefrau als Modell nimmt, ist so eindringlich, dass es die Betrachter geradezu erschreckt, als das Bauwerk am 29. Juli 1836 eingeweiht wird.
Um den Glanz des 1821 im Exil verstorbenen Napoleon zu nutzen, bedient sich die wackelige Monarchie seines Ruhms: Der Arc nennt die 660 Generäle Napoleons und die 158 Schlachten, die er gewonnen hat, beginnend mit der Kanonade von Valmy 1792 – die verlorenen fehlen, vor allem Waterloo. Als Napoleons Leichnam am 15. Dezember 1840 von St. Helena nach Paris heimgeholt wird, passiert er den Arc.
Im Mai 1885 folgt hier die Würdigung eines weiteren Toten: Einen Tag lang und die Nacht über wird Victor Hugo unter dem mit Trauerflor geschmückten Arc aufgebahrt. Zwei Millionen Menschen erweisen dem Autor von „Les Miserables“ die letzte Ehre – die größte nicht organisierte Menschenansammlung in der Geschichte Frankreichs.
So wird der Arc, seit 1867 verkehrstechnisch nicht mehr Tor, sondern Kreuzung, ein Symbol Frankreichs. Als 1870/71 die preußische Armee in Paris einfällt und ihn besetzen will, stellt sich ihr eine große Menschenmenge entgegen. Die Preußen lassen von ihrem Vorhaben ab. Aus Freude wird vor Ort ein Feuer aus Stroh und Dung entzündet.
Am 14. Juli 1880 wird hier erstmals eine Militärparade abgehalten, die seither jedes Jahr am Nationalfeiertag stattfindet. Die größte aller Zeiten erfolgt am 14. Juli 1919 – zu Ehren des Sieges über Deutschland im Ersten Weltkrieg. Dessen „Vater“, Regierungschef Georges Clemenceau, sagt: „Wer an diesem Tag dabei war, hat gelebt.“ Es ist das einzige Mal, dass der Triumphbogen seine ursprüngliche Funktion erfüllen kann.
Jean Navarre, ein Fliegerass aus dem Weltkrieg, hat sogar den Plan, an jenem Tag den Arc zu durchfliegen; beim Üben vier Tage zuvor stürzt er ab und kommt zu Tode. Am 7. August 1919 versucht es sein Kamerad Charles Godefroy und schafft es – mit voller Geschwindigkeit und etwas geneigt. Denn sein Flugzeug misst sieben Meter Spannbreite, der Durchgang des Arc neun Meter.
Doch den mit der Parade gefeierten Sieg hat Frankreich teuer erkauft – mit 15 000 Versehrten und 1,4 Millionen Toten. Um sie zu ehren, wird am 28. Januar 1921 unter dem Bogen ein unbekannter Soldat begraben. „Hier befindet sich die Seele Frankreichs“, sagt Kriegsminister Maginot, als er die Ewige Flamme entzündet, zur Symbolik: Denn hier ruht ein Soldat, der für sein Vaterland alles gegeben hat, sogar seinen Namen und seine Identität. Doch auf Grund des Grabes kann nun niemand mehr durch den Arc marschieren. Vom Denkmal des Krieges wird er damit zum Denkmal des Friedens.
Deutsche Besatzung
Ein neuer Krieg wird damit nicht verhindert. Am Morgen des 14. Juni 1940 marschiert die Deutsche Wehrmacht in Paris ein und umrundet den Arc – für die Franzosen ein dramatischeres Zeichen der Demütigung als Hitlers Besuch am Eiffelturm. Frankreich ist seiner Seele beraubt. Doch Widerstand regt sich.
Am 11. November 1940, dem Jahrestag des Sieges über Deutschland von 1918, tauchen in der ganzen Stadt Flugblätter auf: Studenten fordern die Pariser auf, sich zum Grabmal des Unbekannten Soldaten zu begeben. Ab 16 Uhr finden sich immer mehr Menschen ein, vor allem Schüler und Studenten, am Ende 3000. Die Besatzer sind verunsichert. 200 Menschen werden verhaftet. Als Paris am 26. August 1944 befreit ist, beginnt General de Gaulle seinen Triumphzug durch die Stadt natürlich am Grabmal unter dem Arc.
Sportliche Höhepunkte
Heute ist der Arc Schauplatz für das Ende nur noch sportlicher Wettkämpfe. Seit 1975 führt letzte Etappe der Tour de France zum Arc. „Es ist etwas ganz Besonderes, nach drei Wochen auf dem Rad hier anzukommen“, bekennt der dreimalige Sieger Marcel Kittel in einer Fernsehdoku des Senders „arte“: „Man spürt die Aura, auch wenn ich damals nicht viel Zeit hatte, nach links oder rechts zu gucken.“ Und als Frankreich 1998 Fußball-Weltmeister wird, da endet der Festzug der Mannschaft am Arc de Triomphe mit einem Feuerwerk.
Und auch für Aktionen, bei denen es darauf ankommt, Bilder zu erzeugen, die in die Medien gelangen, ja um die Welt gehen, ist der Arc bevorzugtes Ziel. Etwa für die Proteste der „Gelbwesten“. Radikale unter ihnen beschmieren am 1. Dezember 2018 die Wände, zerstören gar ein Relief. Gemäßigte setzen sich sofort um das Grabmal, um es schützen. Doch es ist zu spät: Erstmals in seiner Geschichte ist der Arc beschädigt – Anfang vom Ende der positiven Grundstimmung für die „Gelbwesten“.
Doch vor allem ist der Arc immer noch ein Verkehrsknoten: Allein aus den Champs-Elysées strömen täglich 65 000 Fahrzeuge auf den Platz. Ziel der Stadtpolitik ist daher die ökologische Transformation des Arc: weniger Autos, mehr Grün.
Informationen für Besucher
Lage: Der Arc de Triomphe bildet den westlichen Endpunkt der Avenue des Champs-Elysées. Der Platz hieß bis 1970 Place de l´Etoile, seither Place Charles de Gaulle, zur Würdigung des Generals und Staatschefs.
Denkmal: Im Boden eingelassen ist das Grabmal des Unbekannten Soldaten mit der Ewigen Flamme. Sie wird jeden Tag neu entfacht. An den Jahrestagen der Siege über Deutschland im Ersten Weltkrieg 1918 (11. November) und im Zweiten Weltkrieg 1945 (8. Mai) sowie am Nationalfeiertag (14. Juli) ist der Ort wegen staatlicher Zeremonien öffentlich nicht zugänglich.
Zugang: An diesem Platz kommen zwölf Straßen zusammen – ihn zu überqueren ist eine Mutprobe. Fußgänger nutzen daher besser die gut ausgeleuchtete Unterführung.
Besichtigung: Der Arc verfügt über eine Aussichtsplattform, von der aus ganz Paris überblickt werden kann. Darunter befindet sich ein Museum.
Öffnungszeiten: Täglich ab 10 Uhr geöffnet, im Sommer bis 23 Uhr, seit 30. September bis 22.30 Uhr. Nicht geöffnet an Neujahr, 1. Mai, 8. Mai (vormittags), 14. Juli, 11. November (vormittags) und 25. Dezember.
Infos im Web: http//arc-de-triomphe. monuments-nationaux.fr
Christo-Aktion: Verhüllt ist der Arc de Triomphe noch bis einschließlich diesen Sonntag, 3. Oktober. Für Kurzentschlossene, die sich das einmalige Ereignis nicht entgehen lassen wollen: Die Bahnfahrt nach Paris dauert gerade mal drei Stunden. Wer morgens losfährt, kann am Abend des gleichen Tages wieder zu Hause sein. -tin
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