Blech und Plüsch im Freinsheimer Spielzeugmuseum - ein Blick in Uromas Kinderzimmer

Das Freinsheimer Spielzeugmuseum erinnert an die Nürnberger Firma Bing, einst größte Spielzeugfabrik der Welt und dann Opfer der Weltpolitik. Ein Besuch dort eröffnet einen sehr liebevoll-nostalgischen Blick in Uromas Kinderzimmer

Von 
Peter W. Ragge
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Mit ihr fing alles an: Die Aufziehlokomotive mit passenden Wägelchen ist das erste Exponat und führt zum Aufbau des Spielzeugmuseums. © Spielzeugmuseum Freinsheim

Man will gerne sofort loslegen, die Tierchen knuddeln, die Züge rollen, die Flugzeuge steigen, die Dampfmaschine rattern lassen und den kleinen Herd anheizen in der Puppenküche. Ein Besuch in Freinsheim ist ein Eintauchen in längst vergangene, aber glückselige Spiel- und Lebenswelten ohne Computer, nur mit Plüsch und Blech. Sie werden hier, auf drei Ebenen mit 300 Quadratmetern, wieder lebendig.

Schon die Umgebung lässt das Herz jedes Nostalgikers lachen. Zwischen schnuckeligen Fachwerkhäusern und der historischen Stadtmauer mit ihren schmucken Türmchen schmiegt sich das Gebäude einer Sammlung, die über 2000 Exponate von einer einst berühmten, aber untergegangenen Spiel- und Haushaltswarenfirma umfasst. Viele sind liebevoll hinter Glas präsentiert, einige darf man aber auch anfassen.

Eine Dampfzugmaschine, zwei Tiger, zwei Wagen mit der Aufschrift „Hagenbecks Menagerie“ – wer der legendären Firma Bing in der Pfalz nachspüren will, dessen Blick fällt zunächst auf eine Hamburger Legende. Die Wagen sind typisches Blechspielzeug, wie es in den 1920er Jahren in fast jedem Kinderzimmer steht. Robustes Eisenblech, gut haltbare Lackierungen, teilweise Uhrwerksantrieb oder Fahrerfigur – so haben Jungs viel Spaß.

Plattenspieler für Kinder: „Kiddyphone“. © Spielzeugmuseum Freinsheim

Wobei es nicht nur um Spaß geht beim Spielen in jenen Jahren. Das zeigen ein paar Schritte die Treppen hinauf in das erste Obergeschoss, denn hier sind zahlreiche sogenannte Antriebsmodelle zu sehen. Ein Metzger an Wurstkessel und Hackklotz, ein nähender Schneider mit einem Gesellen, der bügelt, dazu Schuster, Schlosser, Schreiner, ein durch ein Wasserrad angetriebenes Sägemodell – die ganze Welt des Handwerks gibt es da, um im Kinderzimmer Impulse für die Berufswahl zu setzen. Die Druckmaschine ist sogar mit Druckerschwärze und Typen geliefert worden. Bewegt wird das alles per Dampfmaschine.

Bei den heutigen Vorsichtsmaßnahmen wäre es undenkbar – aber seinerzeit gilt es als völlig normal, dass die Industrie im Kleinformat in die Kinderzimmer Einzug hält. Dampfmaschinen sind beliebte Spielzeuge, und keiner hat Angst, so ein befeuertes, mit heißem Wasserdampf betriebenes Ding könne vielleicht zu gefährlich sein. Es gibt für Kinder sogar ein – funktionstüchtiges – Brauereimodell mit Sudkessel und Rührwerken, das den lieben Kleinen gute Einblicke in industrielle Abläufe bietet.

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Flohmarkt mit Folgen

Mit Dampf werden auch einige der Modelleisenbahnen angetrieben, andere noch mit Uhrwerk. Später kommt Strom hinzu, anfangs mit vier Volt starken Chromsäurebatterien, schließlich mit 110 Volt aus dem, wie man es seinerzeit nennt, „Lichtnetz“, ehe ab 1927 eine Reduzierung auf die – deutlich sichereren – 24 Volt erfolgt. Für alle Techniken, für alle Spurweite sind in Freinsheim Beispiele zu sehen, teils sogar in Glasröhren an der Decke, um angesichts der Vielzahl von Exponaten jeden Platz auszunutzen.

Mittendrin: ein dunkelroter Zug mit gelber Verzierung der London, Midland and Scottish Railway (LMS), bestehend aus Lok, Kohlentender sowie drei Waggons. Sie ist das erste Exponat des Museums: „Damit hat alles angefangen“, erinnert sich Uwe Groll an den April 1996. Seine Frau motiviert damals den aus Mannheim stammenden Wirtschaftsingenieur, der an der damaligen Fachhochschule für Technik in Mannheim studiert hat, zu einem Flohmarktbesuch.

Alles ist im Detail da: die Puppenküche. © Spielzeugmuseum Freinsheim

„Um 5 Uhr morgens mit Taschenlampe, in Wiesbaden – für einen Langschläfer eine Höchststrafe“, erzählt er lachend. Bei einem Stand zwischen viel Geschirr habe er eine Aufziehlokomotive mit passenden Wägelchen entdeckt – die Antwort auf seine Frage nach dem Kaufpreis habe ihn indes „sprachlos gemacht“, wie er noch heute weiß: 380 D-Mark. In der Erläuterung durch den Verkäufer hört Groll erstmals den Namen „Bing“ und dass es sich da um eine absolute Seltenheit handelt. Seine Frau schickt ihn weg und handelt den Verkäufer auf 280 Euro herunter. „Mir kam dies immer noch sehr viel vor, ich hatte ja noch keine Ahnung von Blechspielzeug“, so Groll. Doch das sei „der Beginn einer leidenschaftlichen Sammlertätigkeit“ geworden, so Groll.

Maße und Gewichte

Aber Groll ist mehr als nur Sammler, der sich in altes Blechspielzeug verliebt und in Vitrinen stellt. Als er 2006/07 beginnt, ein Museum einzurichten, konzipiert er es bewusst als Darstellung von Industrie-, Spielzeug- und Kulturgeschichte. Für ihn bleibt es aber Hobby – Groll ist im Hauptberuf Unternehmer, spezialisiert auf Zertifizierungen von Entsorgungsfachbetrieben. Seine Frau Marion, eine Kinderpädagogin, hat die Leitung des Museums übernommen, bringt gerade in die Präsentation viel Erfahrung ein und führt das dem Museum angeschlossene Café, womit sich „das Gesamtkonzept auch wirtschaftlich selbst trägt“, wie Uwe Groll formuliert.

Spielzeugmuseum Freinsheim - Besucher-Service

Anschrift:Spielzeughaus“ Museum & Café, Historisches Spielzeugmuseum Freinsheim, An der Bach 9, 67251 Freinsheim, Telefon 06353/91 65 57.

Öffnungszeiten: November bis Mitte März: Samstag, Sonntag und Feiertage 14 bis 18 Uhr, Mitte März bis Ende Oktober: täglich 14 bis 18 Uhr.

Eintritt: Erwachsene: 4,50 Euro, Kinder ab 6 Jahren: 2,50 Euro.

Anfahrt: Am Dreieck Viernheim von der A 67 auf die A 6 Richtung Saarbrücken wechseln Ausfahrt Grünstadt/Dt. Weinstraße, Richtung Bad Dürkheim nach Freinsheim oder über Dreieck Hockenheim von der A 6 auf die A 61 Richtung Ludwigshafen/Mainz, am Kreuz Ludwigshafen auf die A650 Richtung Bad Dürkheim wechseln, der Ausbaustrecke folgen und nach der Ausfahrt Maxdorf Richtung Erpolzheim. Das Museum verfügt über keine eigenen Parkplätze. Kostenlose Parkplätze für Pkw direkt im Ortskern begrenzt sowie außerhalb der Stadtmauer. Sonntags ist Freinsheim verkehrsberuhigt.

Nahverkehr: S-Bahn S 6 ab Mannheim-Hauptbahnhof über Frankenthal nach Freinsheim oder RNV Linie 9 Mannheim-Bad Dürkheim, dort dann weiter mit Regionalbahn. pwr

Der Firma Bing ist das auf Dauer nicht gelungen – trotz enormer Erfolge in vielen Jahren. Die Firmengeschichte gleicht einer Fahrt mit der in Freinsheim gezeigten Blech-Spielzeugachterbahn – übrigens dem einzigen öffentlich ausgestellten betriebsfähigen Exemplar von Bing, das erhalten ist. Die Firmengeschichte geht auf das Jahr 1864 zurück, als die Brüder Adolf Bing und Ignaz Bing von deren Vater Salomon (einem Färber) ein kleines Geschäft übernehmen, mit dem sie 1866 nach Nürnberg ziehen. Es ist zunächst ein reines Großhandelsunternehmen für Haushaltswaren und Spielzeug.

Als mit der Errichtung des Deutschen Reichs 1871 die Maße und Gewichte im ganzen Land vereinheitlicht, Meter und Kilogramm als verbindlich erklärt werden, profitiert davon auch Bing, indem es Maßstäbe, Gewichte und passende Behältnisse liefert. Das neue Deutsche Reich boomt, und Bing beginnt mit der Produktion von Haus- und Küchengeräten. „Nürnberger Metallwaarenfabrik Gebrüder Bing“ lautet nun der Titel. Als sie ab 1878 auch Blechspielwaren produziert und die bei der Bayerischen Landesgewerbe- und Industrieausstellung 1882 präsentiert, gibt es für die „schön gestalteten Blech- und Lackierwaren“, wie es heißt, eine goldene Medaille.

1885 beschäftigt Bing bereits 500 Mitarbeiter. Zehn Jahre später folgt die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft „Nürnberger Metall- und Lackierwarenfabrik, vorm. Gebrüder Bing“. 1906 wird mit nun schon 3000 Mitarbeitern ein Jahresumsatz von 7,2 Millionen Mark erzielt.

Tolles Tretauto

Es ist die Zeit, als auf Firmenrechnungen riesige Firmengebäude mit rauchenden Schornsteinen abgebildet werden. Stolz zeigt man, was man hat. Optische, mechanische und elektrische Spielwaren, wie es offiziell heißt, werden hergestellt. „Die Kataloge haben teilweise 300 Seiten“, hebt Groll hervor. Das Unternehmen floriert und exportiert, und mit dem technischen Fortschritt in der Welt zieht der auch in die Kinderzimmer ein. Eisschränke der Marke „Boreas“ – aus Holz, in denen Stangeneis Kühlung bringt – und Emaillebadewannen gehören wie viele andere Haushaltsgeräte zum Sortiment, ein Gemeinschaftsunternehmen mit AEG produziert elektrische Bügeleisen für die Mama und verkleinerte Exemplare für die Puppenstube der Tochter.

Echter Luxus: das „Kinder-Automobil“. © Spielzeugmuseum Freinsheim

Der Wunschtraum vieler Jungen dagegen ist das rote, schicke „Kinder-Automobil“. Man könnte es einen Vorläufer der Bobby-Cars nennen. Das Tretauto wird als „sehr starke, solide Bauart“ angepriesen, verfügt über Gummipedalen und Gummibereifung, sogar mechanische Fahrtrichtungsanzeiger, elektrische Beleuchtung und Hupe. „Schraubenschlüssel, Ölkanne und Putzwolle sind mitgeliefert worden“, weiß Groll, „aber so etwas konnten sich natürlich nicht alle Eltern für ihre Kinder leisten“, räumt er ein.

Kleinere Blechautos dagegen schon, Busse und Lkw etwa, Postautos und – besonders beliebt – die Feuerwehr. Aber auch beim Spielzeug zeigt sich die Zeit: Flugzeuge, mit Uhrwerk zum Aufziehen, entwickeln sich zum Renner. Weil Unterseeboote die großen Hoffnungsträger der Kaiserlichen Marine sind, stellt Bing so etwas auch für Kinder her. Das Blech-U-Boot kann, per Uhrwerk angetrieben, ab- und auftauchen und sei „unsinkbar“ zitiert Uwe Groll aus dem Katalog. Auch einen „Froschmann“ gibt es als Spielzeug, ebenso mit Tauchfunktion.

Mit Dampf betrieben: Handwerksmodell. © Spielzeugmuseum Freinsheim

Der „Wunderfisch“ aus Blech dagegen schwimmt, so erzählt es Groll, wenn das Uhrwerk abgelaufen ist, einfach weiter an der Oberfläche. Wohl eher für den Export bestimmt gewesen sei ein Sumpfboot aus den 1920er Jahren, das der Sammler bekommen hat, nachdem es ein deutscher Urlauber kurz vor dem verheerenden Tsunami 2004 auf der thailändischen Insel Phi-Phi entdeckt. Bing ist eben weltweit vertreten.

Gesellschaftsspiele kommen auf – Bing ist dabei, erzielt mit dem „Elektrischen Frag- und Antwort-Spiel – Unterhaltend und belehrend für Jung und Alt“ gleich einen Markterfolg. Und in den 1920er Jahren zählt Bing zu den führenden Herstellern von „Jugendsprechmaschinen“. So nennt Bing die Mini-Grammophone wie „Kiddyphone“, unter der Marke „Bingola“ werden eigene Schalleckplatten produziert.

Streit um Puppen

Stichwort Marke – damit nimmt man es nicht immer so genau. Als Bing seinen Stofftieren, darunter Plüschbären mit markanter Brummstimme, wie das Vorbild Margarete Steiff eine Marke als Knopf im Ohr verpasst, finden das die Steiff-Anwälte nicht so lustig und gehen mit Erfolg dagegen vor. Seither klebt das „Bing“-Emblem am Unterarm. Streit gibt es auch mit der Puppenmacherin Käthe Kruse, weil Bing ganz ausdrücklich Imitationen von Käthe-Kruse-Puppen anpreist – bis Kruse vor dem Leipziger Reichsgericht in letzter Instanz gewinnt. „Der erste Urheberrechtsstreit in der Spielzeuggeschichte“, so Groll.

Einen anderen Puppenhersteller, „Kämmerer & Reinhardt“, gliedert Bing bei sich ein. Das Unternehmen wächst und wächst, gründet einen eigenen „Verkaufsapparat“, wie man eine Vertriebsfirma damals nennt: „Concentra. Die errichtet in allen großen Städten Deutschlands und der Welt, von Berlin über Alexandra, Kairo, Mailand bis nach Santiago, riesige Niederlassungen und Ausstellungen, auch in der Messestadt Leipzig gibt es ab 1928 ein eigenes „Meßhaus“ mit vielen elegant und üppig ausgestatteten Musterzimmern – aber stets nur zugänglich für Händler, nie für Verbraucher.

Doch es folgt ein jäher Niedergang. Weltwirtschaftskrise und Inflation wirken sich aus. „Bing war global extrem vernetzt und entsprechend heftig betroffen“, so Groll. 1932 wird ein Konkursverfahren eröffnet, im Dezember 1934 durch Zwangsvergleich beendet und 1938 werden mehrere neue Firmen mit dem Namen Bing ins Handelsregister eingetragen – aber ohne die Spielzeugsparte und ohne die vorherigen jüdischen Eigentümer. Da gebe es ein „historisches Loch“ in den Unterlagen und auch er könne nur spekulieren, welche Auswirkungen die NS-Diktatur gehabt hat, sagt Groll bedauernd.

Zwar bestehen diese Firmen teilweise bis nach dem Krieg. Das sächsische Werk wird enteignet. In Nürnberg gibt es 1950 ein Insolvenzverfahren, das 1958 endet. 1967 wird der Firmenname von Amts wegen gelöscht – nur Bing Power Systems als Vergaserhersteller existiert noch. „Aber Bing lebt weiter“, betont Groll, und meint damit nicht nur sein Museum. Ob die Modellbahnmarken Trix und Fleischmann oder der Spieleverlag Noris – sie alle sind mit Hilfe von oder durch ehemalige Bing-Mitarbeiter entstanden.

Redaktion Chefreporter

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