Nebel zieht durch den Pfälzerwald. Eine unwirkliche Stimmung, passend zum Ziel der Wanderung. Denn auch die Geschichte der Burg oben auf dem Bergsporn verbirgt sich im Nebel. Keine Urkunde erzählt von ihrem Dasein; selbst den wirklichen Namen kennt niemand. Der Weg mündet in der Ostseite der Ruine. Und der erste Eindruck ist enttäuschend: Niedrige Reste der Ringmauer und ein Haufen unbehauener Steine sind zu sehen. Doch gerade dieses insgesamt 60 Meter lange, „Zyklopenmauer“ genannte Gebilde innerhalb der Ringmauer bereitet Burgenforschern Kopfzerbrechen. Der Lehrer Christian Mehlis, der hier zwischen 1879 und 1885 gegraben hat, hielt diese Steinhaufen für Reste einer frühmittelalterlichen Befestigung. Noch die Autoren des im Jahr 2007 erschienenen Bandes IV.1 des „Pfälzischen Burgenlexikons“ deuten die mauerähnliche Struktur als „ältere Befestigung … wohl aus dem 9. oder 10. Jahrhundert“.
Ob dies zutrifft, wollten der Burgenforscher Jochen Braselmann und seine Mitstreiter im Auftrag der Landesarchäologie klären. Die Grabungen in den Jahren 2017 bis 2019 bringen tatsächlich neue Erkenntnisse. Es fällt auf, dass die Steine der „Zyklopenmauer“ ohne Fundament und teilweise ohne Verbund herumliegen. So sieht keine Mauer einer Wehranlage aus. Resultat der Untersuchungen: Es handelt sich um ein Baumateriallager. Braselmann: „Die Steine sehen aus wie abgekippt. Die Steinmetze haben sie aus dem Steinbruch vor der Burg geholt, um sie dann hier fertig zu bearbeiten.“ Auch ältere Keramik findet sich nicht. Fazit: Es gab keine Vorgängeranlage. Und noch etwas fällt den Ausgräbern auf: Im Ostteil der Burg wirkt die Ringmauer provisorisch und von minderer Qualität, während die restlichen Teile sorgfältig gebaut wurden. „Da haben sie geschnuddelt“, drückt es Jochen Braselmann auf gut Pfälzisch aus. Seine These: Die Burg war zum Zeitpunkt der Zerstörung unvollendet. Das gilt vor allem für die östliche Ringmauer, die wohl nicht die geplante Höhe hatte. Vielleicht ahnte die Besatzung die drohende Gefahr und wollte die Befestigungsanlagen möglichst schnell vollenden, ohne auf Perfektion zu achten.
Theorien um Zerstörung
Nächste Station sind die Grundmauern eines rechteckigen Gebäudes, des einzigen steinernen Wohnhauses der Burg, wie Braselmann erläutert. Ansonsten gab es nur Holzgebäude. Kein Palast also, aber bei Schlosseck steht der Verteidigungswert im Vordergrund, wie der ehrenamtliche Denkmalpfleger betont. Dann das Highlight: Bergfried und Schildmauer, beide aus mächtigen Buckelquadern errichtet. Zwischen 1879 und 1885 grub Christian Mehlis auch den Stumpf des fünfeckigen Bergfrieds aus, der komplett von Schutt bedeckt war. Und das prächtige Tor in der Schildmauer stand nicht aufrecht, sondern war ab einer Höhe von etwa 1,20 Metern komplett nach vorn in den Burggraben gekippt. Mehlis rekonstruierte es mit den dort aufgefundenen Steinen zur jetzigen Höhe von 3,50 Metern.
Tipps für Besucher der Ruine Schlosseck
Entfernung von Mannheim: etwa 30 Kilometer
Fahrzeit von Mannheim: etwa 30 Minuten
Parken und anschließender Fußweg: Parkplatz Klaustal gegenüber der Hardenburg. Auf Radweg auf der anderen Seite der B37 an Papierfabrik Schleipen vorbeilaufen. Etwa 200 Meter hinter der Papierfabrik an einem kleinen Parkplatz die B37 vorsichtig überqueren und auf dem breiten Waldweg weitergehen. An der Wegkreuzung mit dem Schild „Anfahrtspunkt für Rettungsfahrzeuge“ rechts gehen. Am Schild, das unter anderem auf Ruine Schlosseck hinweist, links auf den schmalen Weg abbiegen. Nach 400 Metern ist die Ruine erreicht.
Dieses letzte Teilstück ist nur Menschen zu empfehlen, die über eine gewisse Beweglichkeit und Trittsicherheit verfügen. Insgesamt beträgt die Wegstrecke etwa drei Kilometer.
Literatur: Jochen Braselmann: „Zyklopenmauer und Schleudersteine. Neue Ausgrabungen auf Burg Schlosseck im Isenachtal“, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz, 117. Band, Speyer 2019. kba
Der Zustand der Burg gegen Ende des 19. Jahrhunderts wirft einige Fragen auf. Die Ausgrabungen von Mehlis und Braselmann beweisen, dass die Burg nach kurzer Nutzung erobert und zerstört wurde. Doch weshalb blieb vom Bergfried, dem massivsten Teil einer Burg, lediglich ein Stumpf? Wenn sie nicht zur Gewinnung von Baumaterial abgetragen wurden, stehen die Bergfriede von Pfälzer Burgen noch in beachtlicher Höhe. Und dieser wies eine Mauerstärke von drei Metern, an der Spitze zur Angriffsseite hin sogar von sechs Metern auf. Dass eine drei Meter starke Schildmauer einfach so nach vorn umkippt, wirkt ebenfalls seltsam. Wurde die Burg nach der Eroberung planmäßig zerstört? Jochen Braselmann will diese Theorie nicht von der Hand weisen. Es gibt Beispiele für ein solches Vorgehen.
Die Wysburg in Thüringen galt zu Beginn des 14. Jahrhunderts als Räubernest. Vielleicht sollte mit diesem Begriff eine Partei in dem Machtkampf verunglimpft werden, der sich zwischen 1354 und 1357 abspielte, dem Vogtländischen Krieg. Dessen Details sollen hier nicht interessieren. Wichtig: Kaiser Karl IV., der in den Konflikt involviert war, forderte die Stadt Erfurt auf, Burgen der Gegenseite zu zerstören. Diese und verbündete Städte setzten dabei große Steinschleudern ein, damals der letzte Schrei der Belagerungstechnik. Die Geschosse schlugen eine Bresche in die Ringmauern und zerstörten Gebäude in der Burg. Auf die Eroberung folgte die planmäßige und gründliche Zerstörung.
Christian Tannhäuser und Hubert Roßbach schildern in der Fachzeitschrift „Archäologie in Deutschland“ (3/2014), wie das geschah: „Um den Wiederaufbau der Burg unmöglich zu machen, wurde sie nach ihrer Eroberung systematisch zerstört. So höhlte man die Ringmauer von außen bis zu circa zwei Dritteln der Mauerstärke aus. Das über diesen Hohlräumen noch bis zu acht Meter aufragende Mauerwerk stützte man zunächst mit Holzstempeln ab. Anschließend setzte man diese Konstruktion in Brand, wodurch die Mauern nach außen stürzten und dabei die vorgelagerten Gräben verfüllten. Ähnlich verfuhr man mit dem ursprünglich etwa 30 Meter hohen Bergfried, den man in nördlicher Richtung in die Vorburg fallen ließ.“ Spielte sich auf Schlosseck Ähnliches ab?
Es gibt noch eine andere Möglichkeit, um die starke Zerstörung der Burg zu erklären: ein Erdbeben. Der Burgenexperte Thomas Steinmetz vertritt die Auffassung, dass im 14. Jahrhundert Erdbeben Burgen in der Region zerstört haben. Als Beispiele nennt er etwa Hirschberg und Jossa an der Bergstraße. Der Bergfried der Hirschburg ist umgestürzt, mächtige Trümmer liegen wie von Riesenhand geschleudert verstreut umher, ähnlich bei Jossa. Trifft dies zu, hätte ein Erdbeben die ohnehin schon ruinierte Burg Schlosseck zusätzlich verwüstet.
Suche nach der Vorburg
Klar ist: Schlosseck fiel wohl gegen Ende des 12. Jahrhunderts einer Belagerung zum Opfer. Mehlis entdeckte neben Brandspuren zwölf ganze und mehrere halbe Steinkugeln mit einem Durchmesser von 20 bis 25 Zentimetern im Schutt der Burg. Sie waren von einem großen Hebelwurfgeschütz abgeschossen worden. Diese Blide gilt als die Artillerie des Hochmittelalters. Experimente in jüngerer Zeit belegen die verheerende Zerstörungskraft dieser Katapulte. Braselmann und seine sechs Mitstreiter entdeckten auch den möglichen Standort einer Blide.
Mehlis ließ 1880 die Steine aus dem Graben bergen und das Portal wieder aufrichten. Es zählt mit seinen Vogelplastiken und dem Männerkopf, aus dessen Mund Ranken wachsen, zu den schönsten seiner Zeit. Unter Historikern ist strittig, ob es sich bei den Vögeln um Reichsadler oder Falken, die Wappentiere der Grafen von Leiningen, handelt.
Damit sind wir bei dem nächsten Rätsel: Wer hat die Burg erbaut? Jochen Braselmann legt sich nicht fest, aber er neigt dazu, die Staufer als Bauherren zu sehen: „Es spricht einiges dafür, dass die Staufer die Burg in einem Gebiet ihrer Herrschaft errichteten, um das Kloster Limburg zu schützen und den leiningischen Territorialansprüchen Einhalt zu gebieten.“ Zerstört wurde die Burg wahrscheinlich während der Kampfhandlungen zwischen Welfen und Staufern nach dem Tod Kaiser Heinrichs VI. (1197). Die Leininger standen dabei zunächst aufseiten der Welfen und könnten für den Angriff in Frage kommen.
Ein letztes Rätsel: Die Größe der Wehranlage reicht nicht aus, um Pferde unterzubringen. Also muss es eine Vorburg gegeben haben. Aber wo? Westlich der Ruine liegt eine etwa fünf mal fünf Meter große und teilweise verschüttete Grube, deren Wände ausgemauert sind. Ein Rest der Vorburg? „Die Grube ist für mich unerklärlich“, bedauert Jochen Braselmann. Die Landesarchäologie sollte den 41-Jährigen und seine Mitstreiter erneut mit Nachforschungen beauftragen. Zu klären gibt es genug.
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