Heidelberg. Es ist gerade, als wollte zumindest die Kunstszene sich noch einmal vergegenwärtigen, was Menschsein heißt, bevor unsere Spezies endgültig mit humanoiden Robotern verschmilzt. Themenausstellungen allerorten, die Menschheitsbedingungen beschwören - „Mutter“ in Mannheim, „Frauenkörper“ in Heidelberg … es ist ein internationaler Trend. In Heidelberg geht es um den Zeitraum der letzten 500 Jahre, „von Albrecht Dürer bis Cindy Sherman“, wie es heißt.
Kuratorin Dagmar Hirschfelder, die eigentlich als Leiterin der Gemäldegalerie Berlin schon „nicht mehr da“ ist, hat dem Kurpfälzischen Museum zum Abschied mit der Schau ein Glanzlicht hinterlassen. Dass zwei Drittel der Exponate von europäischen Leihgebern stammen und ein gutes Drittel aus dem eigenen Haus kommt, wobei manches selten oder nie gezeigte Stück einen Auftritt erhält- allein das wäre einen Besuch wert. Dabei wird das Thema „Frauenkörper“ ausschließlich als Akt aufgefasst, und natürlich fängt alles mit Adam und Eva an, schließlich besitzt das Haus ein bezauberndes kleines Gemälde von Lukas Cranach d. Ä. (1525).
Schau mit Rahmenprogramm
Die Schau bietet in sechs Kapiteln einen Überblick über die Entwicklung der weiblichen Aktdarstellung vom 16. bis 21. Jahrhundert anhand von Bildern, Grafiken, Skulpturen, Fotografien und Videos aus eigenen Beständen sowie von europäischen Leihgebern. Zu den großen Namen zählen Albrecht Dürer, Rembrandt, Lovis Corinth, Käthe Kollwitz und Max Beckmann.
Das umfangreiche Rahmenprogramm enthält Führungen, Workshops, Vorträge, Performances und Künstlergespräche. Infos und Anmeldungen unter Tel. 06221-58-34010, www.museum.heidelberg.de.
Katalog mit Essays von Dagmar Hirschfelder, Alexandra Karentzos, Henry Keazor und Andreas Rutz, 48 Seiten, 29,95 Euro im Museumsshop und im Buchhandel.
Venus in allen Versionen
Nacktheit im religiösen Kontext - außerhalb dieses Themas fast undenkbar. Mit Albrecht Dürer kam ein anderer Aspekt hinzu: das Interesse an den Proportionen des Körpers, die Erforschung von Wirklichkeit, ein Wissen, das seit der Antike vorhanden war, aber aus der Verschüttung hervorgeholt werden musste. Und seit das Thema weiblicher Akt sich etabliert hatte, ergab sich eine Fülle von Bedeutungen daraus, irisierend zwischen erotischer Attraktion und erzählerischen (meist mythologischen) oder genremäßigen Zusammenhängen.
Venus in allen möglichen Versionen, schlafend, mit Mars, mit Adonis, beim Urteil des Paris, üppig mit Girlanden nackter Körper beim „Venusfest“ nach Peter Paul Rubens - und da der antike Mythos voll ist von entblößten Göttinnen, kamen bald auch andere hinzu, etwa „Diana und Aktaeon“ in einer hinreißenden Frankenthaler Porzellanszene von Carl Theodors Hofkünstler Franz Conrad Linck (1730-1793). Ohnehin gelang der Kuratorin durchgehend die subtile Konfrontation von Gemälden und Grafik einerseits mit kleinformatigen Skulpturen andererseits, so dass zu den vielen zweidimensionalen auch die „richtigen“ Körper hinzukommen.
Der „männliche Blick“
Die sechs Kapitel, in die sie das unerschöpfliche Material einteilte, sind nicht identisch mit Stilepochen, aber manchmal ein bisschen eben doch, etwa wenn es in Barock und Rokoko um Grazie und Fülle weiblicher Körper geht und das „Verführen und Begehren“ den „männlichen Blick“ einerseits zur Fastpornografie treibt - etwa bei Hans Sebald Behams kleinem Kupferstich „Die Nacht“ (1548) -, andererseits zum anmutigen Spiel von Verhüllen und Entblößen, in dem sich Delikatesse mit Lust mischt: Die Sängerin „La Trompetina“ ist es selbst, die bei einem Nachfolger von Rokokomaler Antoine Pesne in einem kurzen Augenblick Gesicht und Dekolleté freigibt. Anhand einer solchen Szene stellt sich die Frage nach weiblicher Aktivität überhaupt, denn der „Standard-Akt“ steht meist in sich ruhend da oder er liegt und schläft. Musste der weibliche Akt immer nur von Männern gemalt werden?
Offenbar hat sich das erst im 20. Jahrhundert geändert, aber was Frauen thematisieren, und das völlig schonungslos im Gegensatz zu ihren männlichen Vorgängern, ist der eigene Körper. Annegret Soltau zerschnitt die Fotos ihrer Körperteile und nähte sie anders zusammen, Maria Lassnig zeigt in zerquälten, unproportionierten Selbstakten ihre psychischen Dramen, und selbst Paula Modersohn-Becker, eine der ersten mit dem Thema Selbstakt, legte auf den Anschein von Grazie und Anmut wenig, auf malerische Wahrhaftigkeit großen Wert.
Über den Akt hinaus
Im letzten Kapitel „Aktuelle Körperdebatten“ geht Dagmar Hirschfelder über den Akt hinaus. Die iranische Künstlerin Parastou Forouhar, bekannt durch die Folterdarstellungen, mit denen sie den Mord an ihren Eltern verarbeitet, zeigt eine friedliche Szene am Wasser, bei der sich eine formlose schwarze Wolke den Treppenstufen nähert: eine Frau im Tschador, gesichtslos, identitätslos, als Mensch nicht erkennbar. Daneben ein Video von Kirsten Geisler mit dem virtuellen Catwalk eines nackten Models: Idealbild der Modebranche, als Frau mit menschlichen Zügen kaum erkennbar.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Ausstellung im Kurpfälzischen Museum Heidelberg: Frauenkörper endlich auch als Norm ansehen