In jedem Kunstmuseum sind Frauenkörper zu sehen – aber nur selten schenken Besucherinnen und Besucher ihnen ungeteilte Aufmerksamkeit. Die am Sonntag startende Ausstellung „Frauenkörper – Blick auf das Weibliche von Albrecht Dürer bis Cindy Sherman“ im Kurpfälzischen Museum hingegen lenkt den Fokus auf das, was oft als schmückendes Beiwerk empfunden wird.
Manch einer (oder eine) mag sich fragen: Warum? Ist es nicht wichtiger, über Gleichberechtigung in gesellschaftlichen Belangen, über die Verteilung von Sorgearbeit in der Familie, über Gehälter, über Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen auf der Karriereleiter zu sprechen? Müssen unbedingt nackte, teils vulgäre Körper ins Spiel gebracht werden?
Ja, müssen sie. Denn Körper existieren nicht losgelöst von ihrer gesellschaftlichen Umgebung. Frauen merken das. Männer – sofern sie nicht in anderen Kategorien wie Hautfarbe oder sexueller Orientierung von der Norm abweichen – nicht. Die alltägliche Sexualisierung trifft jede Frau. Sie trifft jede Frau, die auf der Straße unterwegs ist, wenn ihr urplötzlich hinterhergepfiffen oder gar nachgestellt wird. Sie trifft jede Frau, die in einer Notlage ist, etwa in der Notlage, ungewollt schwanger zu sein. Sie trifft jede Frau, die öffentlich, insbesondere im Internet, ihre Meinung sagt.
Der männliche Blick, der Frauen als begehrenswerte Objekte darstellt, ist auch heute noch präsent – in Werbung, Film und in der Musikindustrie. Man kann kritisch anmerken, dass die Ausstellung ihn teils reproduziert. Doch durch die Fokussierung demaskiert sie ihn gleichermaßen. Die ausgestellten zeitgenössischen Künstlerinnen nehmen ihre Körperdarstellung selbst in die Hand. Durch Hypersexualisierung entlarven sie Klischees. Sie zeigen auch ungeschönt, was niemand an weiblichen Körpern sehen will, und erklären damit, unter welchem Druck weibliche Körper stehen.
Ob es auch Ausstellungen über Männerkörper gibt? Natürlich – letztes Jahr gab es etwa eine im Gropius-Bau in Berlin. Aber die (überwiegend männliche) Kunst hat seit je her sich eben eher mit der Frau befasst, der „Andersartigen“. Männliche Körper sind die „Norm“. Das zeigt sich etwa in der Medizin und bei Crashtestdummies. Gerade die beiden Beispiele zeigen: Diese Normalität sollte aufgebrochen werden – sonst kann es tödlich enden. Frauenkörper müssen normalisiert werden. Nichtbinäre Körper müssen normalisiert werden. Denn Vielfalt ist Normalität.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Frauenkörper endlich auch als Norm ansehen
Julia Brinkmann zur Ausstellung in Heidelberg