Mannheim. Wie viel Popkultur passt in exakt 90 Minuten? Wenn Sophie Passmann die Gastgeberin ist, lautet die Antwort: enorm viel. Die feministische Internet-Ikone, Bestseller-Autorin und Podcasterin peitscht bei der Lesung ihres neuen Buches „Pick Me Girl“ die Pointen durch die voll besetzten Stuhlreihen in der Alten Feuerwache. Das Liebesleben von Taylor Swift, die Traurigkeit von Hermann Hesse - dazwischen ist für die 29-Jährige genug Raum für tiefsinnige Gedanken, bissige Punchlines und eine gute Flasche Wein.
Das Phänomen "Pick Me Girl"
Es geht um weibliche Scham und den männlichen Blick. Passman philosophiert darüber, welche Version unserer selbst wir sein könnten, wenn das Patriarchat nicht wäre. Ihre These: Alle Frauen waren zumindest ab und zu schon mal ein „Pick Me Girl“. Der Begriff, der vor allem über TikTok in das Leben junger Menschen gespült wurde, beschreibt das Phänomen, das eigene weibliche Geschlecht abzuwerten, um beim männlichen besser anzukommen. Über den eigentlich unlustigen Witz eines Mannes zu lachen. Lieber Bier als Prosecco zu bestellen, weil das lässiger rüberkommt. Nicht so anstrengend sein wie die anderen Mädchen. Zu suggerieren, „Ich bin cooler als die anderen – pick me“. Ihr gerade erschienenes 216-Seiten-Buch sorgte in den Medien für Furore und stieg direkt auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller-Listen ein. In der „Zeit“ etwa wurde vorab ein Kapitel gedruckt; nicht irgendeines, sondern das mit dem höchsten viralen Potenzial. Denn es ging nicht nur darum, ob und wie sich bekennende Feministinnen Schönheitseingriffen unterziehen dürfen. Sondern, dass Frauen Geld und Schmerzen investieren, weil sie sonst schwer im Leben gewinnen können. Passmann schreibt, und das Netz schreit.
"Drei bis vier Hochkultur-Rentner"
In Mannheim liest Passmann nicht, sie erzählt. Dabei sitzt sie mal auf einem Barhocker, mal auf dem Boden. Springt auf, gestikuliert. Sie reagiert auf Zwischenrufe aus den Reihen und ist vor allem dann wirklich großartig, wenn sie spontan ist. Wenn eine Pointe nicht lang geplant ist, sondern einfach aus ihr herausbricht. Und natürlich, ihre Pointen sind immer gut, sie hat ihr Handwerk gelernt.
Sie provoziert gerne, freut sich über die „drei bis vier Hochkultur-Rentner“, die im Publikum sitzen. Ein Blick über die Köpfe im Saal zeigt: Nicht nur die Zielgruppe (weiblich, Mitte 20, gut gebildete Mittelklasse) ist anwesend, es haben auch einige der für ihren ersten Bestseller namensgebenden „alten weißen Männer“ Platz genommen.
Felix Lobrecht für Feministinnen
Sie alle hören davon, wie etwa 12-jährige Mädchen Heidegger in die Tasche stecken („Fragen sich kurz, bin ich schon, wer ich sein werde und spielen weiter Polly Pocket“) oder identitätspolitische Fragen. Dazwischen reihen sich immer wieder klassische Stand-Up-Comedy-Elemente, inklusive der erwartbaren Lacher über die aktuelle und Hetze über die vorherige Tourstadt („ein Shitstorm wegen Pforzheim wäre wie Urlaub für meinen Anwalt“). Selbstironisch nennt sie sich den „Mario Barth für Feministinnen“ und das stimmt zweifellos so nicht. Ganz unironisch kann man aber den Namen durch Felix Lobrecht ersetzen.
Im Gegensatz zum tiefgehenden Buch bleibt dieser Abend in jedem Augenblick absolut Instagram-tauglich - Netzfeminismus im Endlevel. Empowerment wie im Barbie-Film. Sophie Passmann hat das Spiel auf jeden Fall durch und gewonnen.
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