Mannheim. Den kenn ich doch! „Er ist’s!“ Wenn auch nicht der Frühling, so doch Till Weinheimer, denkt man im lauschigen Foyer des Schwetzinger Theaters am Puls. In den Nullerjahren hat er am Mannheimer Nationaltheater unter Schauspieldirektor Jens-Daniel Herzog acht Jahre lang „groß gespielt“. So nennt man das, wenn ein Mime als Schillers Karl Moor, Shakespeares Jago, Wedekinds „Marquis von Keith“, Goethes „Egmont“ oder Molières „Tartuffe“ Inszenierung für Inszenierung hintereinander weghaut. Der Mann kann was, sein Bruder Chris ebenso. Und auch er war einst am NTM engagiert - als Schauspielmusiker.
Am Berliner Ensemble erstellten und inszenierten die Gebrüder 2021 eine Bühnen-Fassung von Klaus Manns Ehrgeizlingsroman „Mephisto“ über Star, Nazi-Günstling und Ex-Schwager Gustav Gründgens alias Hendrik Höfgen.
Im Berliner Parkett saß Joerg Steve Mohr, Prinzipal eben jenes rührigen Schwetzinger Theaters am Puls... Sie ahnen es, hier verbindet sich einst und heute, fern und nah zu einem genüsslichen Kurpfälzer Amalgam. In Berlin entstand die mit Couplets und Schlagern der 1930er Jahre dramaturgisch sinnvoll durchsetzte Spielfassung für Schauspielschüler, in Schwetzingen trifft sie bei Musikfreund Mohr auf ein junges Ensemble mit großer Spielfreude.
Schlüsselroman einer Epoche
„Mephisto“, erschienen 1936 im Exil, gilt als Schlüsselroman seiner Zeit. Auch wenn Autor Klaus Mann oft mit dem Satz „Alle Personen stellen Typen dar, nicht Porträts“ zitiert wird, sind die realen Personen nicht zu übersehen. Die Manns flohen, Gründgens nutzte NS-Deutschland für den Aufstieg. Wie untrennbar Kunst und Politik verwoben sind, zeigt auch die Inszenierung von Joerg Steve Mohr, der seinen Hendrik mit dem facettenreich spielenden Ole Pampuch ideal besetzt hat. Er „spielt groß“, wie einst Gründgens, in seinem Glanze sonnt man, in seinem Schatten quält man sich. Selbst privat zeigt er den egozentrischen Mimen als Schauspieler - alle Dramen des Lebens sind einen melodramatischen Auftritt wert, während sein Geliebter (groß und ernst: Georg-Alexander Geck), seine Frauen und Kolleginnen notfalls nur Tritte wert sind.
Diese sind bei der wandlungsfähigen und höchst vielversprechenden Johanna Withalm ebenso in guten Händen wie bei Marie Eberhardt, der fraglos besten Sängerin des Abends. Der Weinheimersche Plan, Dialogisches und Erzählerisches musikalisch zu verweben, geht auf. Ist der narrative Blitzlichtreigen anfangs auch ein wenig zu nervös wie die stimmliche Sicherheit noch etwas premierenlabil, nimmt die Sache Richtung Pause Fahrt auf.
Sprachlich durch den glänzenden Erzähler Max Rohland, der zudem darstellerisch nicht nur als Hermann Göring überzeugt, und musikalisch durch Daniel Prandl am Klavier: Auf seinen Power-Langstrecken-Diesel mit pianistischer Finessen-Sensorik ist drei Stunden lang Verlass.
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Regisseur Joerg Steve Mohr kann sich bei Spiellänge eben manchmal nicht bremsen, das Handwerk ist aber hohe Schule. Seine Regie glänzt an Szenenübergängen, in Modulation, an Ideenreichtum und Einfällen und zeigt Gespür für die qua Teufelspakt verloren gehenden humanen Werte. Anpassung und Widerstand, Karrieredenken und künstlerische Moral waren und bleiben ein kulturpolitisch weites Feld, das hier fruchtbringend bearbeitet wurde. Applaus!
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