Mannheim. Es ist ein Auftritt, wie man ihn aus Wahlkämpfen kennt. Harald Schmidt betritt die Bühne, er zeigt mit ausgestrecktem Finger auf einzelne Menschen im ausverkauften Saal, formt mit beiden Händen ein Herz und genießt den Jubel, der im entgegenschlägt. Das habe er geübt, erzählt er: „Politikergesten. Sie bedeuten nichts, aber sie schaffen Gemeinschaft.“
Zum zweiten Mal „schwätzt“ der mittlerweile 68-Jährige im Mannheimer Capitol mit seinen Schauspieler-Kollegen Bernd Gnann zwei extrem unterhaltsame Stunden lang – wobei Schmidts Redeanteil den seines Sidekicks deutlich übersteigt. Dafür brilliert Gnann mehrfach als Sänger, musikalisch begleitet vom virtuosen Ernst Kies alias „Igor aus Kasachstan“ am Akkordeon.
Harald Schmidt zeigt sich in Mannheim wieder einmal als grandioser Parodist
Schmidt und Gnann trennen 16 Lebensjahre, aber sie haben auch einiges gemeinsam: die schwäbische Herkunft und den Dozenten Felix T. Müller während ihrer Ausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Die 2022 bei dessen Beerdigung entstandene Idee eines zu großen Teilen improvisierten Bühnenprogramms ist zum Dauerläufer geworden. Die große Resonanz legt nahe, dass der ehemalige Late-Night-Talker mehr als zehn Jahre nach seiner letzten Fernsehshow doch von vielen vermisst wird. Und schon der Auftakt dieses an Aktualität kaum zu überbietenden Abends zeigt: Als „Aktivrentner“ mag Harald Schmidt den Anzug durch Jeans und Sakko ersetzt haben. Ein messerscharfer Beobachter, entlarvender Satiriker und grandioser Parodist ist er noch immer.
Vom Feinsten ist sein Standup-Intro: Er springt direkt hinein ins Tagesgeschehen und reiht ihm assoziativ durchs Hirn schießende Pointen wie Perlen zu einer Gedankenkette: Von Friedrich Merz kommt er auf Emmanuel Macron und dessen Frau Brigitte, die jetzt Werbung für die Deutsche Bahn mache. „Ach nein, das ist ja Anke Engelke.“ Der Kunstraub im Louvre und die ebenfalls beklaute deutsche Aufzugfirma bringen ihn auf Nicholas Sarkozy, der jetzt eine Fußfessel von Chanel trage, und irgendwann auch wieder zurück zum deutschen Bundeskanzler und der unvermittelten Frage an Bernd Gnann: „Passen wir beide eigentlich noch ins Stadtbild?“
Einen solchen Leckerbissen für Kabarettisten lässt Schmidt natürlich nicht liegen: Wie ein roter Faden zieht sich das „Stadtbild“ anschließend durchs Programm. Auch das analoge Fernsehen dient ihm als sprudelnde Informations- und Inspirationsquelle: Den schwitzenden Finanzminister Lars Klingbeil weist „Dirty Harry“ ebenso auf seine zunehmende Leibesfülle hin wie Omid Nouripour, der sich „ein Nackenhörnchen ins Genick“ habe implantieren lassen.
Ganz offensichtlich sieht Schmidt keinen Anlass, seinen Humor zu überarbeiten und ihn geschmeidiger an diversen Befindlichkeiten zu orientieren. Von Altersmilde ist nichts zu spüren: Er ist zynisch, giftig, unverschämt und rassistisch wie eh und je. Allerdings sind seine verworrene Familiengeschichte um die nigerianische Tochter Waltraud und das Hörbuch des isländischen Schriftstellers Hallux Valgus so umwerfend komisch wie sein – offenbar tatsächlich spontaner – Ausruf, als Bernd Gnann zur hinreißenden Schlussnummer als Mireille Mathieu auf die Bühne kommt: „Du siehst aus wie die Ehefrau von Friedrich Merz.“ Volltreffer.
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