Mannheim.
Das denkt die Redaktion – allerdings vor der Spielzeit
Über den Gesamtspielplan: Stefan M. Dettlinger attestiert dem Nationaltheater Mannheim, dass mit der neuen Spielzeit „wieder mal alles gut“ sei: Die Saison biete „alles, was Theater leisten muss“ – gesellschaftliche Reflexion, Bildung, Unterhaltung und Raum für Experimente. Gerne würde man dem Theater „eine Eins plus geben“, merkt Dettlinger an, wenn da nicht ein entscheidendes Detail wäre.
Er kritisiert, dass das Theater sich immer stärker an junge Menschen und Minderheiten richtet, während „das Volk vor sich hin altert“ und fragt: „Wer kümmert sich kulturell um diese vielen Millionen?“ Deutschland gehöre zu den Ländern mit der ältesten Bevölkerung, doch das neue, bunte Saisonheft spreche „unverhohlen an junge, woke, gegenderte, diverse, politisch korrekte und hippe Leute.“ Auch wenn die Jungen die Alten von morgen seien, gebe es „auch die Alten von heute“, doch die Oper – die Sparte für diese „Methusalem-Gesellschaft“ – biete im Mai nur acht Vorstellungen.
Der von Frank Schirrmacher einst beschworene „Aufstand der Alten“ bleibe „aus, oder: Sie gehen einfach nicht mehr hin“. Das Nationaltheater wolle „kultureller Grundversorger“ sein, was dafür spreche, dass man „eine Balance sucht zwischen den Interessen“.
Mit Blick auf die Jugend fragt Dettlinger, ob die ständige Vereinfachung von Stoffen richtig sei und ob das Theater mit der schnellen Rezeption der „Generation Smartphone“ brechen und es dieser „schwerer machen“ sollte. Denn laut Experten würden die Fähigkeiten zum konzentrierten, tiefgehenden Lesen bei jungen Menschen abnehmen. Während also die Gesellschaft „am Methusalem-Syndrom leidet“, arbeite das Theater „am Ganymed-Komplott“: An der ewigen Jugend, so Dettlinger, habe das Theater noch zu arbeiten.
Über die Sparten Schauspiel, Tanz und Junges Theater: Ralf-Carl Langhals zitiert Goethes Vers „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus“ als ironisches Motto für Theaterspielpläne und betont, dass viele Theater versuchen, die Vielfalt der städtischen Gesellschaft zufriedenzustellen. Besonders lobt er Ulrike Stöck vom Jungen Nationaltheater, die ihr Angebot differenziert nach Altersgruppen und Bildersprache ausrichte: Vom „Baby Rave“ für Säuglinge bis zu zweisprachigen Produktionen für Jugendliche wie „Mutter dili“ – Mannheims Nachwuchs sei „gut bei ihr aufgehoben.“ Sie biete Märchen, Stücke für verschiedene Wahrnehmungsstile und mit „Hall of Fans“ ein Theatererlebnis über Jugendkultur an.
Auch Ballettdirektor Stephan Thoss setze auf Vielfalt: „Tanz für alle“ biete Mitmachgelegenheiten, thematisiere Liebe und Geschlechterrollen. Zugleich präsentiere er mit „Boléro“ und „Christmas Rhapsody“ Wohlfühlabende – ohne Anbiederung, da der Anspruch international bleibe.
Beim Schauspiel stellt Langhals jedoch fest, dass die „Goethesche Mischung“ nicht immer gelingt. Schauspielintendant Christian Holtzhauer sei „höchst ambitioniert“, doch fragt Langhals, ob sich nicht vor allem eine „woke Jugend“ angesprochen fühlen solle, während andere Wünsche unberücksichtigt blieben. Wer sich nach klassischem Sprechtheater sehne, finde kaum Angebote; Kanon-Stücke wie der „Faust in einfacher Sprache“ würden „nur noch mit schrägem Dreh“ gespielt. Für alle, denen das zu einseitig ist, bleiben ab Herbst nur Becketts „Endspiel“ oder Kleists „Zerbrochner Krug“. „Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!“, bleibt Goethes ironischer Rat.
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