Enjoy Jazz

So großartig verfremdet Soap&Skin in Heidelberg David Bowie und Lana Del Rey

Die österreichische Indie-Popikone liefert bei Enjoy Jazz im Karlstorbahnhof ein glanzvolles, euphorisch gefeiertes Konzert in kammermusikalischer Besetzung.

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Imposant inszenierte Show: Anja Plaschg (links) mit Kammermusik-Ensemble im Karlstorbahnhof. Unter dem Künstlernamen Soap&Skin wurde die Österreicherin eine international anerkannte Ikone des Indie-Pop. © Rudolf Uhrig

Heidelberg. Gut, dass Enjoy Jazz ein „Internationales Festival für Jazz & Anderes“ ist. So erlebt das Publikum im ausverkauften Heidelberger Karlstorbahnhof hohen Indie-Pop-Besuch aus Österreich und feiert das ewige musikalische Wunderkind Anja Plaschg alias Soap&Skin völlig euphorisch mit stehenden Ovationen. Dabei fordert die Songwriterin, Sängerin, Musikerin und Schauspielerin die Hörgewohnheiten heraus. Durch enorme emotionale Intensität, mit einem mitunter avantgardistischen Mix ihrer Einflüsse im weiten Kontinuum zwischen Cat Power, Björk, Arvo Pärt oder Sergej Rachmaninow. Unter anderem.

Im Programm und auf dem jüngsten Album „Torso“ hört man, wer und was der 35-Jährigen musikalisch wichtig ist: Zwei Drittel der von einem orchestral aufspielenden Kammermusik-Quintett begleiteten, lichttechnisch grandios inszenierten Show bestückt sie mit Coverversionen von Rocklegenden und Popstars, Indie-Pop-Ikonen, Avantgarde- oder Filmmusik-Komponisten.

Am Anfang steht „The End“ von The Doors

Schon die Songs zur Einstimmung sind passend gewählt. Nach dem letzten Ton von Leonard Cohens „You Want It Darker“ kommt die Hauptdarstellerin unprätentiös und mit zartem Lächeln auf die Bühne, setzt sich ans Piano und spielt den Doors-Klassiker „The End“. Natürlich als ganz eigene Adaption – noch dunkler, gern reduziert bis auf den wesentlichen Kern, aber mit kraftvollen gesanglichen Eruptionen. So bekommt der düster brütende Rock-Klassiker eine ganz andere Form von Dunkelheit und Jim Morrisons Text erscheint in neuem Licht.

Das erinnert stark an Cat Powers Herangehensweise, ist nur avantgardistischer und gewagter. Motiviert ist das vor allem psychologisch: Mit den Songs anderer Künstlerinnen und Künstler könne sie sich selbst entkommen, erklärte Anja Plaschg einmal. „Es kann sowohl wunderbar als auch beängstigend sein, diese Orte zu betreten, diese voll eingerichteten Räume anderer Seelen zu öffnen (…) einen Punkt oder einen Winkel zu verändern, Worte von Fremden in den Mund zu nehmen, meine Geschichte in der Gestalt anderer zu erzählen.“

Das gelingt. Und nur so bleibt das Konzept eines fast kompletten Coveralbums auf Dauer interessant. Generell ist Soap&Skin unverdächtig, die großen Namen aus kommerziellen Erwägungen aufzurufen. Auch wenn ihr mit Gil Scott-Herons „Me And The Devil“ 2013 ein heimlicher Welthit gelungen ist. Der wurde allein auf Spotify fast 350 Millionen Mal gestreamt, mehr als 20 Mal so oft wie das an Blues-Wegbereiter Robert Johnson orientierte Original.

Letztlich ist sie ihrer Indie-Nische trotz Ausflügen in Theater, Film- oder Neue Musik stets treu geblieben. Auch wenn ihre frühe internationale Anerkennung geholfen hat, das Selbstbewusstsein der damals kaum wahrnehmbaren jungen Austropop-Szene zu schüren, aus der später die großen Mainstream-Erfolge von Wanda, Bilderbuch und Co. erwuchsen.

Schon der zweite Song, „Meltdown“ vom englischen Filmkomponisten Cllnt Mansell könnte aus einer modernen Oper stammen – trotz kammermusikalischer Besetzung mit drei Blas- und zwei Streichinstrumenten entsteht ein beeindruckendes Crescendo aus Licht und Ton. Emily Stewart (Violine, Background-Gesang), Anna Starzinger (Violoncello), Viola Falb (Bass-Klarinette), Martin Ptak (Posaune, Bass-Drum, Harmonium, Piano) und Martin Eberle (Trompete, Flügelhorn) agieren einfühlsam und qualitativ voll auf Augenhöhe mit der auch als Pianistin beeindruckenden Frontfrau.

Soap & Skin bei Enjoy Jazz 2025

Hauptteil

1. The End (The Doors)

2. Meltdown (Clint Mansell)

3. Maybe Not (Cat Power)

4. This Day

5. Mystery Of Love (Sufjan Stevens)

6. God Yu Tekem Laef Blong Mi (Hans Zimmer)

7. The Sun

8. Born To Lose (Ted Daffan‘s Texans)

9. Safe With Me

10. Vater

11. Heal

12. Italy

13. Johnsburg, Illinois (Tom Waits)

14. Gods & Monsters (Lana Del Rey)

15. Girl Loves Me (David Bowie)

16. Me And The Devil (Robert Johnson/Gil Scott-Heron)

17. Mawal Jamar (Omar Souleyman)

18. Sugarbread

Erste Zugabe

19. Pale Blue Eyes (The Velvet Underground)

Zweite Zugabe

20. Stars (Janis Ian)

21. Boat Turns Toward The Port

Hans Zimmers mystische Komposition „God Yu Tekem Laef Blong Mi“ gerät faszinierend exotisch. Auch die Song-Auswahl macht klar, dass es ihr nicht darum geht, Gassenhauer der Popkultur auszuschlachten. Von großen Namen wie David Bowie. Lou Reeds Band Velvet Underground oder Tom Waits eignet sie die eher entlegenen Songs „Girl Loves Me“, und „Johnsburg, Illinois“. Lana Del Reys Hit „Gods & And Monsters“ inszeniert Soap&Skin aggressiver, elektronischer und düsterer – aber zwingend tanzbar.

Ihre poppigsten Studionummern lässt sie live konsequenterweise weg. Bei ihren Studioversionen des 80er-Hits „Voyage, Voyage“ und von „What’s Up“ fräst sich der allseits bekannte Text zu stark durch das neue Arrangement. So bestünde wohl unerwünschte Schunkel- und Mitsinggefahr.

Ihre Theatermusik war auch schon im Pfalzbau zu hören

Und hier geht’s um Kunst. Das zeigt sich auch bei eigenen Songs, vor allem beim Solo-Piano-Stück „The Sun“ – bis zur totalen Feingliedrigkeit im zweistimmigen Outro von „Italy“ mit Geigerin Emily Stewart. Mitunter merkt man, dass sie unter anderem schon fürs Burgtheater in ihrer Wahlheimat Wien geschrieben hat. 2014 komponierte sie die Musik zu einer „Romeo und Julia“-Inszenierung, die unter anderem am Hamburger Thalia Theater und im Ludwigshafener Pfalzbau zu sehen war. Das ist nicht ihre einzige Verbindung zur Region: Plaschg ist liiert mit Indie-Songwriter Fabian Altstötter, Ex-Sänger der am Karlstorbahnhof groß gewordenen Band Sizarr aus Landau.

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Ausschweifende Ansagen gibt es nicht. Die Musik spricht für sich. Vor allem „Mawal Jamar“ aus der Feder des in die Türkei geflüchteten syrisch-kurdischen Stars Omar Souleyman – mit einem kurz angedeutetem Maschinengewehr-Stakkato. Kurz und eher scheu geht sie im fast euphorisch aufgedrehten „Sugarbread“ in den Saal. Nach drei begeistert aufgenommenen Zugaben enden 90 Konzertminuten, die auch hohe Erwartungen noch übertreffen.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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