Mannheim. Manchmal ist es gut, wenn Kreative ihre Komfortzone verlassen. Bei dem Saxofonisten und Flötisten Shabaka ist das definitiv der Fall. Bekannt wurde er als Star des neuen britischen Jazz mit der Band Sons Of Kemet. Die erreichte große Popularität durch tanzbare, Groove-orientierte Musik, bei der Shabaka aber als limitierter Instrumentalist erschien, der sich dem Diktat des Rhythmus unterordnete. Bei Enjoy Jazz ist das nun anders: In der Alten Feuerwache Mannheim, wo er mit dem südafrikanischen Pianisten Nduduzo Makhathini auftritt, brilliert er mit früher nicht gehörter Virtuosität.
Aus der angekündigten Weltpremiere ist zwar nichts geworden, tags zuvor traten die Zwei bereits in Leipzig auf. Aber das Mannheimer Publikum erlebt den nicht minder attraktiven Reiz der zweiten Nacht. Von Beginn an verwandelt das Duo den nüchternen Saal in eine Andachtshalle. Der Ton ist kontemplativ, das Konzert, bei dem auch Synthesizer zum Einsatz kommen, beginnt mit atmosphärischem Ambient-Rauschen und behutsam tastenden Flötenspiel. Die beiden erzeugen in sensiblem Austausch ein magisches musikalisches Kraftfeld, schaffen eine betörende meditative Gegenwelt.
Spirituelle Klänge von heilsamer Kraft in der Alten Feuerwache in Mannheim
Die von Spiritualität beseelte Darbietung mutet an wie ein Ritual und entführt in idyllische Sound-Landschaften. Alltagshärte bleibt hier außen vor: Die Flöte klingt hauchig leicht und luftig, das Piano schäumt in sanftem Wohlklang. Beide Instrumentalisten beschwören in schwelgerischer Poesie die Schönheit des Augenblicks. Es ist eine selbstlose Musik, in der nicht Virtuosität im Zentrum steht, sondern eine Stimmung von – Linderung. Dass Makhathini seine Musik als Heilung versteht, ist in jeder Sekunde spürbar, vor allem in seinen mit pastoraler Stimme gemurmelten Poeme, oder sind es Gebete?
Einmal mehr verblüfft der Pianist, wie im Vorjahr bei seinem Enjoy-Jazz-Auftritt mit Vijay Iyer, durch Zurückhaltung. Zwar lenkt er den Fluss der Duo-Improvisationen bisweilen durch choralartige Melodien, sensibel eingestreute rhythmische Partikel und stimuliert sein Gegenüber mit pointillistisch perkussiven Einsprengseln, aber es ist Shabaka, der die Initiative an sich reißt. Er brilliert mit höchster Eloquenz auf einer Vielzahl von Flöten, besticht auf der Klarinette, wo er einen wunderbar warmen Ton und eine konturenklare Phrasierung an den Tag legt. Und er begeistert bei Solo-Einlagen, in denen er zu Ostinato-Loops seine Instrumente bläst wie in meditativer Trance.
Nach einer guten Stunde aber bricht angestaute Energie aus ihm heraus: in einem eruptiven Solo auf dem Tenorsaxofon, das mit schreiender Kraft jäh in ekstatische Free-Jazz-Sphären emporschnellt. Es ist der Höhepunkt des Auftritts. Danach ist die Luft raus, den Musikern gelingt es nicht, die Darbietung strukturell abzurunden.
Aber derart westlichen Vorstellungen mögen sie auch nicht folgen. Das zeigt sich im anschließenden ersten „Artist Talk“ des Festivals, bei dem Maxi Broecking das Duo interviewt. Makhathini erklärt, er wolle seine Musik dekolonialisieren, knüpfe an alte Traditionen seines Volkes an, das von den Kolonisatoren zerstört worden sei. Man konnte es zuvor hören: Diese Musik will Schmerzen heilen.
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