Mannheim. Es ist alles so schwarz und weiß an diesem Abend in der quadratisch gestapelten Operntrutzburg zu Mannheim, dass einem die Augen bald flimmern vor lauter Gegensatz. Gut und Böse. Monotheismus und Polytheismus. Sachsen und Brabanter. Zivilisation und Natur. Weiß und Schwarz. Entweder oder. Als habe jemand Wagners Welt, diesen feinen Kosmos eingewobener, eingeflochtener und gesprenkelter Zwischentöne, Nuancen und Übergänge, mit der Axt in zwei Hälften gehackt: hier das Licht, dort der Schatten. Und dazwischen, im Niemandsland der Wahrnehmung, muss dann doch noch der Schimmer eines Schwanengefieders Platz haben, das im „Lohengrin“ so unausweichlich ist wie die glitzernde Ahnung von etwas Gralsrittergöttlichem.
„Harry Potter“, „Star Wars“ oder „Herr der Ringe“ lassen grüßen
Das ist also der neue Mannheimer „Lohengrin“, wie ihn sich der viel erprobte Schweizer Meisterregisseur Roger Vontobel ausgedacht hat. Bei aller Übertreibung: Man muss dann doch nicht sooo lange danach suchen, dass auch hier nicht alles ist, wie es scheint. Lohengrins linker Arm ist schwarz wie seine linke Augenhöhle (Kostüm: Martina Lebert). Es ist, sinnbildlich gedacht, vielleicht ein bisschen wie bei „Harry Potter“, „Star Wars“ oder „Herr der Ringe“: Die beiden Seiten, das Dunkle und das Helle, bedingen sich und zerren unentwegt an denen, die sich auf dem richtigen Weg wähnen. Und zum Glück gibt es ja die Musik, die, vom Opernorchester unter Roberto Rizzi Brignoli oft fein ziseliert und dosiert, sämtliche Zwischentöne liefert.
Im Opal wird dabei inszenatorisch aus vollen Rohren geschossen. Von Sparkurs ist an diesem gediegenen und sehr konservativen Hochglanzopernabend nichts zu spüren. Wagner ist ja immer eine Art Leistungsschau immanent, klar, vor allem bei den großen Choropern mit Hundertschaften auf der Bühne, die gestylt, bemalt, gewandet und bewegt werden müssen, die mitunter absolut überwältigende Dezibel auftürmen und im „Lohengrin“ durchaus zum Verzweifeln mit ihrem „Sieg! Sieg! Sieg! Heil!“ unangenehme Erinnerungen in uns wachrufen. Ja, Hitler liebte das.
Die Sachsen fuchteln ständig mit Laserspeeren und Laserschwertern herum
Den dunklen Heerscharen an Brabantern, die verzweifelt nach einem legitimen Führer suchen, stehen die hellen und gottesfürchtigen Sachsen von König Heinrich gegenüber, die ständig mit Laserspeeren oder -schwertern herumfuchteln und unaufhörlich Licht aussenden, als seien sie alle höchstpersönlich von Gott verschickt worden.
Vontobel und Bühnenbildner Fabian Wendig setzen auf eine sich drehende dunkle Einheitsbühne. Blätterlose, tote Baumreihen gehen hier fließend in eine Holzhütte über, die Brautgemach, Bretterverschlag und Kirche in einem ist. Ein Volk in Agonie. Hier wird gespielt. Meistens im Stehen. Selten sieht man menschliche Regungen. Immer, wenn es darum geht, Unerklärliches oder Übersinnliches anzudeuten oder unser Kopfkino anzuwerfen, geht der Gazevorhang nieder und Clemens Walter und Jonas Dahl zeigen Videobilder. Gesichter. Hände. Füße. Körper. Dreck. Nebelschwaden. Vieles ist gestaltlos, manches konkret. Bisweilen meint man, Soldaten marschieren zu sehen.
Es ist fast so etwas wie der Gegenentwurf zum letzten Mannheimer „Lohengrin“ von Tilman Knabe. Hat der eine, Knabe, versucht, die Geschichte heutig und realistisch zu erzählen, so, dass weder Zauber noch Mystik darin noch eine Rolle spielen, sondern einzig menschliche Niedertracht, so erzählt der andere, Vontobel, quasi alles wie von Wagner vorgesehen. Handelten bei Knabe Menschen, sind es bei Vontobel eher distanzierte öffentliche Rollen und Kollektive.
Lohengrin als steife Comicfigur auf der Bühne
Dass sich hier, in diesem öffentlich-staatlichen Setting, das Private, also der Mensch mit seinen innersten Regungen, nur schwer bemerkbar machen kann – logisch. Lohengrin, hier eine Art Comicfigur, die immer wieder mit dem zum Schwan verzauberten Gottfried steif über die Bühne stapft, steht ja per se im Zentrum. Jonathan Stoughton bewegt sich auch unmenschlich ungelenk. Er hat einige schöne Töne parat, die er gekonnt in den Raum gleiten lässt, doch selbst sein „Nie sollst du mich befragen“ buchstabiert er zu sehr und singt jeden einzelnen Ton, als wäre er nicht Teil einer größeren musikalischen Idee. Astrid Kesslers Elsa, als Brudermörderin angeklagt, droht in diesem monumentalen Theater schier unterzugehen. Zart und zerbrechlich zeichnet sie die Figur – und braucht ziemlich lang, bis sie – etwa im „Euch Lüften, die mein Klagen“ und dem folgenden Duett mit Ortrud in Akt II – mit ihrem lyrischen Timbre volle stimmliche Präsenz entfaltet (die Wagner-Stele, mit der sie im Anschluss an die Vorstellung ausgezeichnet wird, hat die tolle Sängerin selbstredend hoch verdient).
Der neue Mannheimer „Lohengrin“
- Entstehung: Richard Wagner begann die Arbeit an „Lohengrin“ während eines Kuraufenthalts in Marienbad im Sommer 1845, wo er den Prosaentwurf verfasste. Die Komposition erstreckte sich bis 1848. Die Uraufführung fand am 28. August 1850 im Weimarer Hoftheater unter der Leitung von Franz Liszt statt.
- Handlung: Im Antwerpen des 10. Jahrhunderts wird Elsa von Brabant beschuldigt, ihren Bruder Gottfried ermordet zu haben. Ein unbekannter Ritter erscheint auf einem Schwan, verteidigt Elsa im Zweikampf und besiegt ihren Ankläger, Friedrich von Telramund. Der Ritter heiratet Elsa unter der Bedingung, dass sie niemals nach seinem Namen oder seiner Herkunft fragt. Als Elsa dieses Versprechen bricht, muss der Ritter sie verlassen und kehrt mit dem Schwan zurück. Gottfried, der durch einen Fluch verschwunden war, erscheint wieder und wird zum Herzog von Brabant gekrönt.
- Termine: 31.10. (18 Uhr), 2., 8., 16., 23.11. (17 Uhr), 23.11. (18 Uhr), 11.02.2026 (15 Uhr). Die Vorstellung dauert mit zwei Pausen rund viereinhalb Stunden.
- Info: Auf der Website des NTM und unter 0621/1680-150.
Solche Probleme kennt Joachim Goltz als Friedrich von Telramund nicht. In allen möglichen Schattierungen ätzt, ächzt und ächtet er, stets mit dem richtigen Stimmsitz, locker über dem Orchester und als Figur bühneneinnehmend. Julia Faylenbogens Ortrud überzeugt über weite Strecken. Manchmal entsendet sie den beißenden, geraden Ortrud-Ton, wie man ihn vielleicht noch von Gabriele Schnaut oder Waltraud Meier im Ohr hat. Ein Ton wie eine Schwertklinge. Aber nicht immer. Nikola Diskics Heerrufer ist sowohl stimmlich als auch darstellerisch hoch präsent. Und Patrick Zielke verleiht Heinrich einen beneidenswerten Tieftöner; in den Regionen oberhalb des d‘ fehlt es dann etwas an Obertönen, und sein „dann schmäht wohl niemand mehr das deutsche Reich“ geht dann doch auch hinauf bis zum f‘.
Wagner wollte wie Lohengrin bedingungslose Liebe
Worauf Vontobel so richtig hinauswill, ob er überhaupt über Wagner hinauswill, man weiß es nicht. Das Werk liegt vor einem ausgebreitet, mehr oder minder unverfälscht, und man ertappt sich dabei, wie man Distanz einnimmt zur absurden und abstrusen Geschichte, zum Menschen Wagner, der wie Lohengrin unhinterfragte und bedingungslose Liebe haben wollte, zu all diesem mittelalterlichen Fantasystoff. Und dann, plötzlich, stehen einem dann doch Tränen in den Augen – hervorgerufen durch die Musik, die Rizzi Brignoli im Orchestergraben mit dem Orchester, mit Chor und Solisten transparent macht, schon gleich im glitzernden Oszillieren der vier Violinengruppen des Vorspiels.
Es ist halt doch ein absolutistisches Überwältigungsgesamtkunstwerk, das Wagner hier erfunden hat. Und vielleicht würde einen weniger Steifheit und noch mehr Emotion auf der Bühne dann doch den Verstand kosten und in den Wahnsinn treiben. Das war immerhin beim munter, aber nicht euphorisch applaudierenden Publikum am Ende nicht der Fall.
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