Das Interview

Neu Schau in Mannheim: Kunsthalle zeigt Expressionismus

Der Kunst des Expressionismus widmet sich die Mannheimer Kunsthalle in ihrer Herbstausstellung ab kommende Woche. Vize-Direktorin und Kuratorin Luisa Heese Luisa Heese erläutert die Hintergründe.

Von 
Thomas Groß
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Vize-Direktorin und Kuratorin Luisa Heese zwischen Plastiken von Georges Minne und Ernesto de Fiori (re.), die neben vielen anderen Werken in der neuen Ausstellung zu sehen sein werden. © Heiko Daniels

Mannheim. In ihrer großen Herbstausstellung widmet sich die Mannheimer Kunsthalle ab kommender Woche führenden Vertretern des künstlerischen Expressionismus in Deutschland und verfolgt dabei auch Spuren ihrer Werke in der Region. Über die Hintergründe der Schau spricht Luisa Heese, Vize-Direktorin des Museums, im Interview.

Frau Heese, mit einer Beförderung wächst die Verantwortung: Kaum waren Sie Inge Herold in der Funktion als Vize-Direktorin der Kunsthalle nachgefolgt, wurden Sie auch schon mit der großen Herbstausstellung zum Expressionismus betraut. Empfinden Sie das nun als Ihre Bewährungsprobe?

Luisa Heese: Inzwischen bin ich ja bereits über zwei Jahre als Kuratorin an der Kunsthalle tätig, und es ist eine tolle Aufgabe, ein so wichtiges künstlerisches Feld wie den Expressionismus und seine Verflechtungen in der Geschichte der Kunsthalle und der Stadt zu bearbeiten und daraus eine Ausstellung zu entwickeln. Diese entsteht jedoch als Teamwork von Direktor Johan Holten, der Kuratorin für Grafik Ursula Drahoss, der kuratorischen Assistentin Dorotea Lorenz und mir – somit muss ich mich in diesem Fall nicht allein bewähren, sondern kann mit einem tollen kuratorischen Team arbeiten!

Die letzte große Schau, die Inge Herold kuratiert hatte, war die Jubiläumsausstellung zur Neuen Sachlichkeit. Erzählen Sie nun, mit der Ausstellung führender Expressionisten, gleichsam die Vorgeschichte dazu?

Heese: Tatsächlich trug die Ausstellung, die 1925 in der Kunsthalle stattfand und auf die sich die Jubiläumsschau bezog, den Titel „Neue Sachlichkeit – Deutsche Kunst seit dem Expressionismus“. Sie markierte eine Abkehr von einer Kunstrichtung, die die vorangegangenen Jahrzehnte sehr stark geprägt hatte. Und ja, mit der Ausstellung „Kirchner, Lehmbruck, Nolde. Geschichten des Expressionismus in Mannheim“ möchten wir gewissermaßen diese Vorgeschichte genauer in den Blick nehmen. Kurz nach ihrer Eröffnung war die Kunsthalle Mannheim in den 1910er Jahren ja bereits ein wichtiger Ort für den Expressionismus, was sich auch früh in der Sammlung niedergeschlagen hat.

Sie deuten es schon an: Wie im Falle der Neuen Sachlichkeit, die vor hundert Jahren erstmals überhaupt als Richtung der damals zeitgenössischen Kunst in Mannheim präsentiert wurde, wird jetzt erneut ein regionaler Aspekt betont: „Geschichten des Expressionismus in Mannheim“ heißt die Schau eben im Untertitel. Was ist damit näher gemeint?

Heese: Die Ausstellung präsentiert nicht nur herausragende Gemälde, Skulpturen und grafische Werke des Expressionismus; sie stellt ebenso die unterschiedlichsten Kunstschaffenden, ihre Netzwerke und Interessen, aber auch die jeweiligen politischen Rahmenbedingungen vor, innerhalb derer expressionistische Kunst in Mannheim entstehen, präsentiert und gesammelt werden konnte – ab 1933 aber auch verfemt und beschlagnahmt wurde. Früh kauften die Direktoren Fritz Wichert und Gustav C. Hartlaub Werke für die Sammlung an und präsentierten Ausstellungen, die wegweisend waren. Mäzene wie Sally Falk stifteten der Kunsthalle nicht nur bedeutende Werke, sondern brachten auch Künstler wie Wilhelm Lehmbruck nach Mannheim. Herbert Tannenbaum betrieb seine avantgardistische Galerie „Das Kunsthaus“, bis er 1937 das Land verlassen musste. All diese Geschichten möchten wir ebenfalls beleuchten.

Ebenfalls in der Ausstellung zu sehen: Ernst Ludwig Kirchners „Roter Baum am Strand“ von 1913 aus der Mannheimer Sammlung Fuchs-Werle. © Thomas Henne

Die Kunsthalle wuchert also erneut mit den bedeutenden eigenen Pfunden und rückt in der Schau nicht zuletzt Hochkaräter aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt, nicht wahr?

Heese: Richtig – die Schau bringt sowohl zahlreiche Meisterwerke der eigenen Sammlung als auch Werke aus Mannheimer Privatsammlungen und internationale Leihgaben zusammen. Das Besondere an vielen Leihgaben ist deren historische Verbindung zur Kunsthalle: Über 570 Werke der Sammlung wurden bei den Beschlagnahmungsaktionen des NS-Regimes 1937 aus der Sammlung entfernt – nur die wenigsten davon kehrten zurück, die anderen sind heute in Sammlungen und Museen über die ganze Welt verstreut. Einige dieser Werke konnten wir nun dankenswerterweise als temporäre Leihgaben für die Ausstellung gewinnen.

Ein regionaler Aspekt kommt noch hinzu: Ein großer Teil der gezeigten Leihgaben stammt aus der Mannheimer Privatsammlung Fuchs-Werle. Welchen Stellenwert haben die Werke aus dieser Sammlung in der Ausstellung?

Heese: Der Mannheimer Unternehmer Hans Werle begann in den 1960er Jahren, seine Expressionismus-Sammlung aufzubauen. Beginnend mit einem Werk von Emil Nolde, kamen dann noch weitere hochkarätige Gemälde unter anderem von Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff und Otto Mueller dazu. Die Sammlung wurde dann an seine Tochter Lilo Fuchs vererbt und mit ihrem Ehemann Manfred Fuchs wurde diese weiter ausgebaut – beginnend mit einem Werk von Gabriele Münter, das uns besonders freut, denn sie fehlt leider gänzlich in der Sammlung der Kunsthalle. Somit stehen die Werke gleichberechtigt in der Ausstellung und bilden sehr spannende Bezüge zu den Werken der Kunsthalle, ein schönes Beispiel sind hier die doppelseitig bemalten Leinwände von Ernst Ludwig Kirchner.

Bestätigt sich durch die Zusammensetzung dieser Schau der Weg, den ein Museum vom Rang der Kunsthalle künftig vor allem beschreiten sollte – nämlich die Ausstellungstätigkeit besonders aus und mit der eigenen Sammlung zu gestalten?

Heese: Es ist ja kein ganz neuer Weg, Ausstellungen aus der eigenen Geschichte und Sammlung heraus zu entwickeln – sondern eine wichtige Aufgabe eines Museums, die eigene Geschichte immer wieder zu reflektieren und weiterzuerzählen. Und wir haben in der Kunsthalle das große Privileg einer hochkarätigen Sammlung, aus der wir thematisch breit schöpfen können. Eine Ausstellung wie die aktuelle ist eine gute Möglichkeit, eigene Bestände in diesem Umfang unter aktuellen Gesichtspunkten zu präsentieren. Einige dieser Werke sind dem Publikum bereits gut bekannt, andere selten gezeigte – insbesondere zahlreiche Arbeiten aus der grafischen Sammlung – können auch neu entdeckt werden.

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Die Bewertung älterer Kunst verändert sich im Lauf der Zeit. Sie verbinden offenbar auch kritische Ansätze mit der Präsentation, welche denn?

Heese: Wir beleuchten auch die Zeit und Themen, deren Diskurse sich bis heute stark verändert haben. Frauen konnten bis Ende der 1910er-Jahre nicht an öffentlichen Kunstakademien studieren und hatten als Künstlerinnen gänzlich andere Bedingungen als ihre männlichen Kollegen. Das Deutsche Kaiserreich war Anfang des 20. Jahrhunderts eine Kolonialmacht, Natur- und Völkerkundemuseen wurden mit Raubkunst gefüllt, der gesellschaftliche Blick auf das sogenannte Fremde war geprägt von Völkerschauen – auch in Mannheim fand 1907 ja eine solche statt. Das sind Kontexte, die aus heutiger Perspektive einen kritischen Blick auf Themen wie Exotismus – auch in der Kunst – unabdingbar machen. Ein weiterer Aspekt ist die Zeit von 1933 bis 1945, in der ein Großteil der expressionistischen Künstler und Künstlerinnen verfemt wurde, einige aber auch weiter von öffentlichen Aufträgen profitieren konnten. Auch dieses Kapitel werden wir eingehender beleuchten.

Luisa Heese und die Expressionismus-Schau

  • Die Kunstwissenschaftlerin Luisa Heese (41) wechselte im Juli 2023 als Kuratorin für zeitgenössische Kunst und Skulptur an die Kunsthalle Mannheim, wo sie seit diesem Sommer Vize-Direktorin ist. Zuvor hat sie drei Jahre lang das Würzburger Museum im Kulturspeicher geleitet.
  • Die Ausstellung „Kirchner, Lehmbruck, Nolde. Geschichten des Expressionismus in Mannheim“ wird am Donnerstag, 25.9., 19 Uhr, eröffnet. Sie ist dann bis 11. Januar in der Kunsthalle Mannheim zu sehen.
  • Allgemeine Info: www.kuma.art

Was betrachten Sie als eigentliche Schwierigkeit und Herausforderung bei dieser Ausstellung?

Heese: Es gibt so viele spannende Geschichten! Über jedes einzelne der Werke ließen sich unzählige Aspekte erzählen, über ihre inhaltlichen Sujets und Techniken, ihre Entstehung und die Wege, die sie bereits gereist sind. Da ist es eine Herausforderung, sich auf bestimmte Punkte zu begrenzen. Innerhalb des kuratorischen Teams konnten wir aber einen schönen Ausstellungsrundgang entwerfen, der viele wichtige Themen aufgreift, jedoch die Schau auch nicht überfrachtet.

Und auf welche besonderen Höhepunkte darf sich das Publikum freuen?

Heese: Es gibt natürlich viele Highlights in der Ausstellung. Aber ganz besonders ist sicherlich die Gelegenheit, die Gemälde aus der Sammlung Fuchs-Werle einmal in dieser Fülle zu betrachten. Sehr berührend sind außerdem jene Werke, die 1937 in der Kunsthalle beschlagnahmt wurden und nun für einen begrenzten Zeitraum wieder in Mannheim zu sehen sind: darunter wunderbare Gemälde von Wilhelm Lehmbruck aus dem Lehmbruck Museum in Duisburg oder auch Werke von Emil Nolde aus dem Kunstmuseum Basel und dem Statens Museum for Kunst in Kopenhagen. Persönlich freue ich mich außerdem sehr auf das reichhaltige Rahmenprogramm zur Schau, unter anderem ein öffentliches Gespräch mit Herrn Fuchs, der ja nicht nur Sammler, sondern auch wichtiger Förderer des Mannheimer Kulturlebens ist, und ein Symposium mit spannenden Vorträgen zu den Geschichten des Expressionismus, das im November stattfinden wird.

Die Ausstellung umfasst auch zahlreiche grafische Arbeiten, die, wie diese Arbeit von Erich Heckel („Fränzi liegend“, 1910), zwar zur Sammlung des Museums zählen, aber wegen ihrer Empfindlichkeit selten gezeigt werden. © Cem Yücetas

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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